Also war die Tharsis-Beule der wichtigste Faktor bei der Gestaltung der Marsoberfläche. Der andere bedeutende Faktor war der Einsturz von Meteoriten. In uralter Zeit, vor drei bis vier Milliarden Jahren, fielen Meteorite in gewaltiger Menge auf den Mars, millionenfach; und Tausende davon waren Planetesimale, Steinbrocken so groß wie Vesta oder Phobos — Ein solcher Einsturz hinterließ das Hellas-Becken, den größten deutlichen Krater im Sonnensystem, obwohl Daedalia Planities ein Einsturzbecken von 4500 Kilometern Durchmesser zu sein scheint. Das sind gewaltige Ausmaße, aber es gibt Areologen, die glauben, dass die ganze nördliche Marshemisphäre ein altes Einsturzbecken sein könnte.
Diese großen Aufschläge bewirkten so verheerende Explosionen, dass man sie sich kaum vorstellen kann. Davon ausgestoßene Brocken landeten auf der Erde und dem Mond und als Asteroiden in Trojanischen Bahnen. Manche Areologen meinen, dass der Tharsis-Buckel auf den Hellas-Aufprall zurückgeht. Andere glauben, dass Phobos und Deimos Auswurfprodukte sind. Und dies waren nur die größten Treffer. Kleinere Steine fielen jeden Tag, so dass die ältesten Flächen auf dem Mars von Kratergebilden zernarbt sind und die Gegend ein Palimpset aus neuen Ringen ist, die alte verdecken. Kein Stück Land blieb verschont. Und jeder derartige Aufprall löste Hitze-Explosionen aus, die Gestein zum Schmelzen brachten. Elemente wurden aus ihrem Verband gerissen und in Form von heißem Gas, Flüssigkeit und neuen Mineralen ausgeschleudert. Dies und das Ausgasen vom Kern erzeugte eine Atmosphäre und viel Wasser. Es gab Wolken, Stürme, Regen und Schnee, Flüsse, Seen, Küstenlinien, die allesamt das Land bespülten und es erodierten. Dabei hinterließen sie unmissverständliche Spuren - Flussbetten, Küstenmarkierungen und jede Art von hydrologischen Hieroglyphen.
Aber all das verging. Der Planet war zu klein und zu weit von der Sonne entfernt. Die Atmosphäre gefror und sank zu Boden. Sublimiertes Kohlendioxid bildete eine dünne neue Atmosphäre, während Sauerstoff sich mit Mineralen verband und sie rot färbte. Das Wasser gefror und sickerte im Lauf der Äonen durch Kilometer von durch Meteorite zerbrochenem Gestein in die Tiefe. Schließlich wurde diese Regolithschicht mit Eis durchsetzt, und die tiefsten Teile waren warm genug, um das Eis zu schmelzen. Daher entstanden auf dem Mars Seen unter der Oberfläche. Wasser fließt immer nach unten. Darum wanderten diese Wasser enthaltenden Schichten langsam sickernd in die Tiefe, bis sie vor irgendeinem Hindernis, einer Rippe von Muttergestein oder einer gefrorenen Bodensperre, aufgehalten und angesammelt wurden. Manchmal baute sich starker artesischer Druck gegen diese Dämme auf, und manchmal traf ein Meteorit, oder ein Vulkan erschien, so dass der Damm brach; und ein ganzes unterirdisches Meer ergoss sich über die Oberfläche in enormen Fluten, die die Strömung des Mississippi zehntausendfach übertrafen. Schließlich gefror aber das Wasser auf der Oberfläche und wurde in den pausenlos trockenen Winden sublimiert, um in der Nebelkappe allwinterlich auf die Pole zu sinken. Darum wurden die Polkappen dicker; und ihr Gewicht drückte das Eis in den Boden, bis das sichtbare Eis nur die Spitze zweier den Planeten überdachender Linsen aus unterirdischem Permafrost bildete. Diese Linsen hatten hundertfach mehr Volumen als die sichtbaren Kappen. Inzwischen wurden zum Äquator hin neue Wasserschichten durch Ausgasen vom Kern her angefüllt. Und einige der alten wasserführenden Bereiche füllten sich aufs neue.
Und so näherte sich dieser sehr langsame Zyklus seiner zweiten Runde. Aber während sich der Planet abkühlte, geschah dies alles immer langsamer in allmählicher Verzögerung wie eine ablaufende Uhr. Der Planet gewann die Gestalt, in der wir ihn sehen. Aber Veränderung hört nie auf. Die rastlosen Winde erodierten das Land mit Staub, der immer feiner wurde. Und die Exzentrizität der Marsbahn bewirkte, dass die südliche und nördliche Hemisphäre in einem Zyklus von 51000 Jahren die kühlen und warmen Winter vertauschten, so dass trockene und wässrige Eiskappen ihre Plätze wechselten. Jede Schwingung dieses Pendels deponierte eine neue Schicht von Sand, und die Täler neuer Dünen durchschnitten ältere Schichten in einem Winkel, bis der Sand um die Pole herum ein Tüpfelmuster nach Art der Navajo-Sandbilder zeigte, das den ganzen Oberteil der Welt umspannte.
Die farbigen Sande in ihren Mustern, die geriffelten und gezackten Wände der Canyons, die sich in den Himmel reckenden Vulkane, das lockere Gestein des chaotischen Geländes, die Unmenge an Kratern — beringten Emblemen vom Anfang des Planeten … Noch schöner oder herber als das: knapp, streng, nackt, schweigend, stoisch, steinig, unveränderlich. Erhaben. Die sichtbare Sprache der mineralen Existenz der Natur.
Mineralisch — nicht animalisch, noch vegetabilisch oder von Viren bestimmt. Das hätte passieren können. Es geschah aber nicht. Es gab nie eine Urzeugung aus den Tonen oder den schwefelhaltigen heißen Quellen. Keine Spore fiel aus dem Weltraum herunter, keine Berührung eines Gottes fand statt. Was auch immer Leben in Gang bringt (denn wir wissen nicht, was), es geschah nicht auf dem Mars. Der Mars rollte als ein Beweis für die Andersartigkeit der Welt, für ihre steinige Vitalität.
Und dann, eines Tages …
Sie trat mit beiden Beinen kräftig auf den Boden. Es war nichts problematisch dabei. Die vertraute Schwere nach neun Monaten in der Ares. Und mit dem Gewicht des Anzugs war es nicht viel anders, als auf der Erde zu gehen, soweit sie sich erinnern konnte. Der Himmel war rosa, mit sandfarbenen Tönungen, eine Nuance kräftiger und feiner als auf allen Fotos. Ann sagte: »Seht euch den Himmel an!« Maya schwatzte so dahin. Sax und Vlad drehten sich wie rotierende Figuren. Nadezhda Francine Cherneshevsky machte einige weitere Schritte und fühlte, wie ihre Stiefel die Oberfläche knirschend zusammendrückten. Sie bestand aus durch von Salz verhärtetem Sand, einige Zentimeter dick, und knackte, wenn man darüberging. Die Geologen sprachen von Durikruste oder Caliche — rohem Salpeter. Die Stiefelabdrücke waren von kleinen radialen Brüchen gerändert.
Maya war draußen und vom Lander entfernt. Der Boden war dunkel orangerostfarben, bedeckt mit einer ebenen lockeren Gesteinsschicht der gleichen Farbe, wenn auch manche Sterne rote, schwarze oder gelbe Töne aufwiesen. Im Osten standen einige Landevehikel, jedes von anderer Form und Größe, deren Spitzen über den Horizont herausragten. Alle waren so orangerot verkrustet wie der Boden. Das war ein seltsamer, erregender Anblick, als wäre man auf einen lange aufgegebenen fremdartigen Raumflughafen geraten. Ein Teil von Baikonur könnte in einer Million Jahren so aussehen.
Sie ging zu einem der nächsten Lander, einem Frachtbehälter von der Größe eines Einfamilienhauses, und setzte sich auf das Gerippe eines vierbeinigen Raketenaggregates, das so aussah, als hätte es schon seit Jahrzehnten da gelegen. Die Sonne stand über den Köpfen, zu grell, um sie auch durch ein Schutzvisier anzuschauen. Es ließ sich durch die Polarisations- und andere Filter schwer beurteilen; aber ihr schien, dass das Tageslicht dem auf der Erde sehr ähnlich war, so weit sie sich entsinnen konnte. Ein heller Wintertag.
Sie schaute sich wieder um und wollte alles in sich aufnehmen. Sie stand auf einem leicht hügligen Gelände, das von kleinen scharfkantigen Steinen bedeckt war, die alle zur Hälfte im Staub steckten. Hinten im Westen wurde der Horizont durch einen kleinen Berg mit flachem Gipfel markiert. Es konnte ein Kraterrand sein. Das war schwer zu sagen. Ann war schon halbwegs dort und immer noch eine recht große Gestalt. Der Horizont war näher, als es richtig schien. Nadia machte eine Pause, um das festzustellen. Sie vermutete, dass sie sich bald daran gewöhnt haben und es nicht mehr bemerken würde. Aber er war nicht erdgemäß, dieser merkwürdig nahe Horizont, das erkannte sie jetzt deutlich. Sie stand auf einem kleineren Planeten.
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