»Ich fürchte, dass die Kolonialperiode eigentlich nie zu Ende gegangen ist«, sagte Haravada höflich.
Chalmers nickte. »Das ist das Wesen des transnationalen Kapitalismus. Wir alle sind jetzt Kolonien. Und auf uns hier wird ein furchtbarer Druck ausgeübt, den Vertrag zu ändern, so dass der Löwenanteil der Profite aus lokalem Bergbau zum Eigentum der Transnationalen wird. Die entwickelten Nationen empfinden das sehr stark.«
»Das wissen wir«, sagte Haravada und nickte.
»Okay. Und jetzt haben sie den Akzent auf proportionale Emigration gelegt, was ebenso logisch ist wie die Zuteilung von Gewinnen im Verhältnis zur Investition. Aber keiner dieser Vorschläge liegt in Ihrem wesentlichen Interesse. Die Emigration wäre für Sie ein Tropfen in einem Eimer, aber das Geld nicht. Inzwischen haben die entwickelten Nationen ein neues Bevölkerungsproblem. Darum wäre eine Chance für größeren Anteil an der Emigration willkommen. Und sie können das Geld sparen, das ohnehin größtenteils an die Transnationalen geht und frei vagabundierendes Kapital sein würde außerhalb jeder nationalen Kontrolle. Warum sollten die entwickelten Nationen Ihnen nicht mehr davon geben? Das käme ohnehin eigentlich nicht aus ihren Taschen.«
Sung nickte rasch und machte ein ernstes Gesicht. Vielleicht hatten sie diese Reaktion vorausgesehen und ihren Vorschlag gemacht, um sie anzuregen, und warteten nun, dass er seine Rolle spielte. Aber genau das machte es leichter. Sung fragte: »Glauben Sie, dass Ihre Regierungen einem solchen Handel zustimmen würden?«
»Ja«, sagte Chalmers. »Was ist es mehr, als dass Regierungen ihre Macht über die Transnationalen wieder festigen? Teilung der Profite ähnelt irgendwie Ihren alten Nationalisierungsbewegungen. Nur würden diesmal alle Länder davon profitieren. Internationalisierung, wenn Sie wollen.«
Hanavada bemerkte: »Es würde Investitionen durch die Korporationen beschneiden.«
»Was den Roten gefallen wird«, sagte Chalmers. »Besonders der Mars-zuerst-Gruppe.«
»Und Ihre Regierung?« fragte Hanavada.
»Das kann ich garantieren.« Tatsächlich würde die Administration ein Problem sein. Aber Frank würde sich darum kümmern, wenn die Zeit käme. Sie waren in diesen Tagen ein Haufen Handelskammerkinder, arrogant, aber stur. Wenn man ihnen sagte, die Alternative wäre ein Mars der Dritten Welt, ein chinesischer Mars, ein hinduistischer Mars, mit kleinen braunen Menschen und frei herumlaufenden heiligen Kühen in den Gehröhren, würden sie anrücken. Tatsächlich würden sie sich hinter seinen Knien verstecken und um Protektion winseln. Opa Chalmers, bitte rette mich vor der gelben Horde!
Er beobachtete, wie sich der Inder und der Chinese anschauten und sich ganz offen mit Blicken konsultierten. »Zum Teufel!« sagte er. »Das ist es doch, was Sie erhoffen, nicht wahr?«
Hanavada sagte: »Vielleicht sollten wir uns mit einigen Zahlen beschäftigen.«
Es erforderte einen großen Teil des nächsten Monats, den Kompromiss zustande zu bringen, da er eine ganze Reihe von zusätzlichen Kompromissen mit sich brachte, damit alle stimmberechtigten Delegationen ihn annahmen. Jeder nationale Abgeordnete musste einen Anteil bekommen, den er den Leuten zu Hause vorzeigen konnte. Und dann musste auch Washington überzeugt werden. Am Ende musste Frank über die Köpfe der Kleinen hinweg direkt zum Präsidenten gehen, der ein Geschäft wittern konnte, wenn man ihn mit der Nase darauf stieß. Also war Frank sehr beschäftigt und hatte fast sechzehn Stunden am Tage Sitzungen in seiner alten Weise, so sicher wie der Sonnenaufgang. Zuletzt waren transnationale Lobbyisten wie Andy Jahns der härteste Brocken, praktisch unmöglich zu knacken, da das Geschäft auf ihre Kosten ging und sie das wussten. Sie übten auf die Regierungen des Nordens und deren Gefälligkeitsflaggen jeden Druck aus, den sie kannten, und der war beträchtlich, wie die ärgerliche Reizbarkeit des Präsidenten zeigte und der Rücktritt von Singapore und Sofia von dem Abkommen. Aber Frank überzeugte den Präsidenten auch trotz der großen Entfernung und der tiefen psychologischen Schranke des Zeitschlupfes. Und er benutzte bei jeder anderen nördlichen Regierung die gleichen Argumente. Wenn ihr den Transnationalen nachgebt, pflegte er zu sagen, dann sind sie die wahre Regierung der Welt. Dies ist die Gelegenheit, eure und eurer Bevölkerung Interessen gegenüber jenen frei schwebenden Ansammlungen von Kapital zu sichern, die sehr nahe daran sind, die höchste Macht auf der Erde zu besitzen. Ihr müsst sie irgendwie im Zaum halten!
Und bei der UN bei jedem Beamten dort war es dasselbe. »Ihr oder sie?«
Dennoch war es sehr knapp. Die Druckmittel, welche die Transnationalen einsetzen konnten, waren erschreckend und boten ein eindrucksvolles Bild. Subarashii und Armscor und Shelalco waren jede größer als alle außer den zehn größten Ländern oder Freistaaten, und sie setzten wirklich ihre Mittel ein. Geld ist gleich Macht; Macht schafft das Gesetz; und Gesetz macht Regierung. Daher waren die nationalen Regierungen im Versuch, die Transnationalen zurückzuhalten, wie die Liliputaner, die versuchten, Gulliver festzubinden. Diese brauchten ein großes Netz dünner Fäden, die an jedem Millimeter der Peripherie im Boden angepflockt waren. Und als sich der Riese aufbäumte, um sich loszureißen und anfing, herumzustrampeln, mussten sie von der einen Seite zur anderen rennen, neue Leinen über das Ungeheuer werfen und neue kleine Pfähle einrammen. So musste Frank herumrennen und viertelstündliche Termine zum Einschlagen von Pfählen wahrnehmen — sechzehn Stunden am Tag.
Andy Jahns, einer der ältesten Kontaktpersonen Franks bei den Korporationen, nahm ihn eines Abends zum Essen mit. Natürlich war Andy auf Chalmers schlecht zu sprechen; aber er bemühte sich, das zu verbergen, da es ihm an diesem Abend darum ging, Frank eine leicht getarnte Bestechung vorzuschlagen, begleitet von kaum verschleierten Drohungen. Mit anderen Worten: »Business as usual«. Er bot Chalmers eine Position als Chef einer Stiftung an, die von dem Konsortium für den Transport von der Erde zum Mars gegründet werden sollte — den alten Luft- und Raumfahrtindustrien, in deren Taschen noch das alte Pentagondepot herumschwappte. Diese neue Stiftung sollte dem Konsortium helfen, Politik zu betreiben, und die UN in Angelegenheiten beraten, die mit dem Mars zu tun hatten. Er sollte diesen Posten übernehmen, sobald seine Amtszeit als Marsminister vorbei wäre, um jeden Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden.
Chalmers sagte: »Das klingt wundervoll. Ich bin wirklich sehr interessiert.« Und im Laufe des Dinners überzeugte er Jahns, dass er es ernst meinte. Nicht nur hinsichtlich Übernahme der Stellung in der Stiftung, sondern mit sofortiger Arbeit für das Konsortium. Das bedeutete wirklich Arbeit; aber darin war er gut. Er konnte sehen, wie das Misstrauen Jahns langsam schwand, als die Zeit fortschritt. Die Schwäche von Geschäftsleuten war ihr Glaube, dass mit Geld alles machbar war. Sie arbeiteten vierzehn Stunden täglich, um genug davon zu verdienen, damit sie Wagen mit Lederausstattung kaufen konnten. Das hielten sie für eine sinnvolle Reaktion, um damit in Kasinos auftreten zu können. Kurzum — Idioten. Aber nützliche Idioten. »Ich werde tun, was ich kann«, versprach Chalmers energisch und skizzierte einige Strategien, mit denen er sogleich anfangen wollte. Mit den Chinesen über ihren Bedarf an Land sprechen, dem Kongress wieder die Idee eines fairen Ertrages von Investitionen nahe bringen. Gewiss! Hier und da Versprechungen machen, dann würde der Druck nachlassen, und inzwischen konnte die Arbeit weitergehen. Das war kein solcher Spaß, wie zweimal über einen Bach zu hüpfen.
Also kehrte er an den Konferenztisch zurück und machte weiter wie zuvor. Der Spaziergang auf der Brücke, wie er jetzt genannt wurde (andere nannten ihn den Chalmers-Trick), hatte aus der Sackgasse geführt. Der 6. Februar 2057 = Ls 144 wurde in der Geschichte der Diplomatie ein Datum, das rot angestrichen wurde. Jetzt kam es noch darauf an, jedem anderen ein Stück zu geben und die tatsächlichen Zahlen festzusetzen. Im Verlauf dieses Prozesses sprach Chalmers mit all den Beobachtern der Ersten Hundert dort, gab ihnen Zuversicht und sondierte ihre Ansichten.
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