Oh, ich weiß nicht. Ich habe einmal gesehen, wie er einem Mann einen Stoß gab. Das war im Burroughs-Zug, und er war in unserem Wagen und offenbar angeheitert. Und dann war da diese Frau mit einer Missbildung, einer großen Nase und ohne Kinn, und als sie zur Toilette ging, sagte ein Bursche: »Mein Gott, wie hässlich diese Frau ist.« Und Boone hat ihn in den nächsten Sitz geschubst und gesagt: »Hör mir gut zu! Eine hässliche Frau gibt es nicht.«
Das war seine Meinung.
Das war der Grund, warum er jede Nacht mit einer anderen Frau schlief, ohne sich darum zu kümmern, wie sie aussahen. Oder wie alt sie waren. Er musste sich allerhand sagen lassen, als man ihn mit dieser Fünfzehnjährigen erwischte. Ich glaube nicht, dass Toitovna je davon erfahren hat, sonst wäre es um seine Hoden geschehen gewesen, und Hunderte von Frauen hätten Not gelitten. Er fickte sie am liebsten in zweisitzigen Gleitfliegern, wobei die Frau auf ihm hockte, während er steuerte.
O Mann, einmal habe ich gesehen, wie er einen Gleiter aus einer Fallbö gerissen hat, die jeden anderen getötet hätte. Es war eine Scherströmumg, die das Flugzeug zerrissen hätte, hätte er versucht, sich zu widersetzen. Aber er ließ sich treiben, und der Gleiter fiel wie ein Stein mit tausend Metern in der Sekunde, der drei- oder vierfachen Endgeschwindigkeit. Und kurz vor dem Aufprall hat er ihn zur Seite gekippt und hochgezogen und in ungefähr zwanzig Metern eine Bumslandung gemacht. Er stieg mit blutender Nase und Ohren aus. Er war der beste Pilot auf dem Mars. Er konnte fliegen wie ein Engel. Die Ersten Hundert wären tot gewesen, wenn er sie nicht von Hand in die orbitale Bahn eingefädelt hätte. So hat man mir erzählt.
Es gab ein paar Leute, die ihn hassten. Und auch aus gutem Grund. Er hat verhindert, dass die Moschee auf Phobos fertiggebaut wurde. Und er konnte grausam sein, und ich habe nie einen arroganteren Menschen getroffen.
Wir waren auf Olympus Mons, und der ganze Himmel wurde schwarz.
Nun, noch vor dem Anfang ist der legendäre John Bunyan zum Mars gekommen und hat seinen blauen Ochsen Babe mitgebracht. Er zog herum, um sich nach Nutzholz umzusehen, und unter jedem Schritt zerbrach die Lava und hinterließ einen Canyon. Er war so groß, dass er beim Gehen in den Asteroidengürtel hinauflangen konnte, und er kaute diese Felsen wie Kirschen und spie die Kerne aus. Bums — gab es wieder einen Krater.
Und dann traf er auf den Großen Mann. Es war das erste Mal, dass Paul jemanden sah, der größer war als er selbst. Und ihr könnt mir glauben, dass der Große Mann ihn um zwei Größenordnungen übertraf. Aber das kümmerte Paul nicht. Als der Große Mann sagte: »Wir wollen einmal sehen, was du mit deiner Axt ausrichten kannst«, sagte Paul: »Sicher«, und traf den Planeten mit einem Schlag so hart, dass alle Sprünge im Mare Noctis auf einmal erschienen. Aber dann kratzte der Große Mann die gleiche Stelle mit seinem Zahnstocher, und das ganze Marineris-System klaffte auf. »Wir wollen es mit den bloßen Fäusten versuchen«, sagte Paul und landete einen rechten Haken auf der Südhemisphäre, und da war Argyre. Aber der Große Mann klopfte auf eine Stelle in der Nähe mit seinem kleinen Finger, und da war Hellas. »Versuche es mit Spucken«, schlug der Große Mann vor; und Paul spuckte, und Nirgal Vallis lief so lang wie der Mississippi dahin. Aber der Große Mann spuckte, und mit einemmal strömten alle großen Ausflußkanäle. »Versuche es mit Scheißen1.« sagte der Große Mann, und Paul hockte sich hin und stieß Ceraunius Tholus aus.
Aber der Große Mann reckte seinen Hintern, und da war das Elysium-Massiv, gleich rechts davon, heiß und dampfend. »Tu dein Äußerstes!« schlug der Große Mann vor. »Schleudere mich fort!« Und so packte ihn John Bunyan am Zeh, schwang seine ganze Körpermasse herum und ließ ihn so hart auf den Nordpol prallen, dass bis heute die ganze nördliche Hemisphäre eine Depression hat. Aber ohne auch nur aufzustehen, packte der Große Mann Paul am Fußgelenk, hob ihn mitsamt seinem blauen Ochsen in derselben Faust hoch und schleuderte sie beide direkt durch den Planeten hindurch und auf der anderen Seite fast wieder hinaus. Und das ist die Tharsis-Beule. Paul Bunyan ragt fast heraus — Ascraeus ist sein Zinken, Pavonis sein Steifer, und Arsia sind seine großen Zehen. Und Babe ist nebenan. Er hat Olympus Mons hochgedrückt. Der Stoß hat Babe und Paul Bunyan beide getötet. Und danach musste Paul sich geschlagen geben.
Aber seine eigenen Bakterien haben ihn natürlich gefressen und sind alle hinab auf das Urgestein und unier den Megaregolith überall hin gekrochen. Sie haben die Wärme des Mantels aufgesogen, die Sulfide verspeist und den Permafrost geschmolzen. Und jedes Mal, wenn sie da hinunterkamen, sagte jedes dieser kleinen Bakterien: »He! Ich bin Bunyan!«
Es ist eine Sache des Willens, sagte Frank Chalmers zu seinem Gesicht im Spiegel. Diese Phrase war der einzige Rest eines Traums, unter dem er aufgewacht war. Er rasierte sich mit raschen, entschlossenen Strichen. Er fühlte sich angespannt, voller Energie, die losgelassen werden wollte, bereit, an die Arbeit zu gehen. Noch ein Rest: Jeder, der will, gewinnt am meisten!
Er duschte, zog sich an, und trabte in den Speisesaal. Es war früh am Morgen. Die Sonne überflutete Isidis mit horizontalen Strahlen aus rotbronzenem Licht, und hoch am Osthimmel sahen Cirruswolken aus wie Kupferspäne.
Rashid Niazi, der syrische Repräsentant der Konferenz, kam vorbei und grüßte Chalmers mit einem kühlen Kopfnicken. Frank erwiderte es und ging weiter. Wegen Selim el-Hayil war der Ahad-Flügel der Muslimischen Bruderschaft für die Ermordung von Boone verantwortlich gemacht worden; und Chalmers hatte sie immer schnell und öffentlich vor all solchen Anschuldigungen verteidigt. Selim wäre ein Einzeltäter gewesen, wie er immer versicherte, ein wahnsinniger Mörder und Selbstmörder. Das unterstrich die Schuld der Ahads, forderte aber zugleich ihre Dankbarkeit heraus. Natürlich war Niazi, ein Anführer der Ahads, etwas frustriert.
Man kam in den Speisesaal, und Frank begrüßte sie herzlich. Er verbarg automatisch das Unbehagen, das er immer in ihrer Gegenwart empfand.
»Darf ich mich zu dir setzen?« fragte sie und sah ihn an.
»Natürlich.«
Maya pflegte vorauszuschauen, Frank konzentrierte sich auf den Augenblick. Sie plauderten. Das Thema des Vertrags kam auf, und Frank sagte: »Ich wünsche sehr, John wäre jetzt hier. Wir könnten ihn so nötig brauchen.« Und dann: »Er fehlt mir.«
Das lenkte Maya sofort ab. Sie legte ihre Hand über seine. Frank fühlte es kaum. Sie lächelte und hatte ihren fesselnden Blick voll auf ihn gerichtet. Er musste, ohne es zu wollen, wegschauen.
Die Fernsehwand zeigte den neuesten von der Erde hochgeschickten Block. Frank drückte auf die Tischkonsole und drehte den Ton auf. Die Erde war in einem üblen Zustand. Das Video zeigte einen massiven Protestmarsch in Manhattan. Die ganze Insel war gedrängt voll von einer Menge, die die Demonstranten auf zehn Millionen und die Polizei auf fünfhunderttausend bezifferte. Die Bilder vom Helikopter waren recht eindrucksvoll, aber es gab in diesen Tagen eine Menge Plätze, die, obwohl weniger spektakulär, viel gefährlicher waren. Bei den fortgeschrittenen Nationen marschierten die Leute gegen drakonische Gesetze für Geburtenkontrolle und Gesetze, die die Chinesen wie Anarchisten aussehen ließen; und die Jugend war in Wut und Missmut ausgebrochen, da sie fühlte, dass ihnen ihr Leben aus den Händen gerissen wurde durch eine große Anzahl alter widernatürlicher Untoter, durch die Geschichte selbst, die wieder lebendig geworden war. Das war gewiss schlimm. Aber in den Entwicklungsländern revoltierten die Menschen über die ›Ungleichheit beim Zugang‹ zu den Behandlungen, und das war noch viel schlimmer. Regierungen wurden gestürzt, Menschen starben zu Tausenden. In Wirklichkeit sollten diese Bilder von Manhattan wohl Zuversicht wecken: Alles ist noch in Ordnung! sagten sie. Leute, die sich zivil aufführten, sei es auch in zivilem Ungehorsam. Aber Mexiko City und Sao Paulo und New Delhi und Manila standen in Flammen.
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