»O nein. Was Feuer angeht, so ist es, wenn man eine gewisse Menge an Sauerstoff hat, mehr eine Frage, wie trocken es ist und was für Material brennen soll. Nein, dies war, um den Partialdruck des Sauerstoffs zu erhöhen, so daß Menschen und Tiere ihn atmen können. Sofern nur das Kohlendioxid vermindert wurde.«
»Hast du also auch Masken für Tiere gemacht?«
Sie lachten und gingen in den Speiseraum des Refugiums hinauf. Zeyk machte sich daran, Kaffee aufzubrühen, während sie über den Spaziergang redeten und gegenseitig die Wangen betasteten, um die Kälte zu vergleichen.
»Was ist mit der Evakuierung der Leute aus der Stadt?« fragte Nadia Sax plötzlich. »Was ist, wenn die Sicherheit die Tore geschlossen hält?«
»Sie gehen zum Raumhafen hinaus«, rief jemand aus dem Nachrichtenraum. »Die Sicherheitskräfte nehmen die Untergrundbahn zum Raumhafen. Sie verlassen das Schiff, die Schufte. Und Michel sagt, daß der Bahnhof — die Südstation — zerstört ist!«
Das bewirkte einen Tumult. Über diesen hinweg sagte Nadia zu Sax: »Wir wollen Hunt Mesa den Plan mitteilen und dann nach unten gehen und die Masken holen.«
Sax nickte.
Zwischen Mangalavid und den Armbandgeräten gelang es ihnen, der Bevölkerung von Burroughs den Plan sehr rasch bekanntzugeben, während sie in einer großen Karawane von Du Martheray zu einer niedrigen Reihe von Hügeln südwestlich der Stadt fuhren. Bald nach ihrer Ankunft schwebten die zwei Flugzeuge mit den Masken gegen Kohlendioxid über Syrtis ein und landeten auf einer freigemachten Stelle der Ebene gleich außerhalb der westlichen Böschung der Kuppelmauer. Auf der anderen Seite hatten die Beobachter der Stadt auf der Double Decker Butte schon gemeldet, daß sie gesehen hatten, wie sich die Flut aus Ostnordost näherte. Dunkelbraunes, von Eis geflecktes Wasser, das durch die Falte hereinkam, die in der Stadt vom Kanalpark besetzt war. Und die Meldungen über den Südbahnhof hatten sich bewahrheitet. Die Ausrüstung der Piste war durch eine Explosion in dem linearen Induktionsgenerator zerstört. Niemand wußte genau, wer das getan hatte. Aber es war geschehen, und die Züge waren zum Stillstand verurteilt.
Während Zeyks Araber die Kisten mit den Masken nach den westlichen, südwestlichen und südlichen Toren schafften, versammelten sich riesige Volksmengen bereits in jedem davon. Alle trugen entweder Schutzanzüge mit Heizdrähten oder die schwersten Kleider, die sie hatten, nicht zu schwer für das, was vor ihnen lag, wie Nadia meinte, als sie zum Südwesttor ging und aus Kisten Gesichtsmasken austeilte. In diesen Tagen gingen viele Leute in Burroughs so selten auf die Oberfläche hinaus, daß sie bei Bedarf Schutzanzüge mieteten. So gab es nicht genug davon, um jeden zu versorgen, und sie mußten mit Mänteln gehen, die für das Kuppelinnere gedacht waren und ziemlich dünn waren. Meistens mangelte es auch an Kopfbedeckungen. Immerhin war mit der Nachricht über die Evakuierung auch eine Aufforderung ergangen, sich für 255 K anzuziehen. Darum trugen die meisten Leute mehrere Garnituren und waren dick vermummt.
Jede Torschleuse konnte pro Minute hundert Personen durchlassen; aber das war bei weitem noch nicht schnell genug, wenn Tausende drinnen warteten und die Massen im Verlauf des Samstag morgens noch zunahmen. Die Masken waren unter den Leuten verteilt worden; und Nadia war sicher, daß inzwischen jeder eine hatte. Es war unwahrscheinlich, daß in der Stadt noch jemand nichts von der Notlage wußte. Darum ging Nadia zu Zeyk, Sax, Maya, Michel und allen anderen bekannten Personen, die sie sah, und sagte: »Wir sollten die Kuppelwand zerschneiden und dann losziehen. Ich werde mich daranmachen.« Niemand war dagegen.
Endlich erschien Nirgal. Er glitt durch die Menge wie der Gott Merkur bei einem dringenden Auftrag, lächelte breit und begrüßte einen Bekannten nach dem anderen, Leute, die ihn umarmen, ihm die Hand schütteln oder ihn wenigstens berühren wollten. Nadia sagte zu ihm: »Ich zerschneide jetzt gleich die Kuppelwand. Alle haben Masken, und wir müssen hier schneller herauskommen, als es durch die Tore möglich ist.«
Er sagte: »Eine gute Idee. Laß mich nur ansagen, was passiert.«
Und er sprang drei Meter hoch in die Luft, packte eine Mauerkappe des Betonbogens der Tores und schwang sich darauf, so daß er mit beiden Füßen auf dem drei Zentimeter breiten Streifen balancierte. Dann stellte er einen kleinen Schulterlautsprecher an, den er bei sich trug, und sagte: »Achtung, bitte! Wir fangen gleich an, die Kuppelwand zu zerschneiden, direkt über der Mauerkrone. Es wird also in Kürze eine nach außen gehende Brise zu spüren sein, nicht sehr stark. Die der Wand am nächsten befindlichen Leute natürlich zuerst. Es wird hierbei nicht nötig sein, sich zu beeilen. Wir werden ausgiebig schneiden; und jeder sollte in der nächsten halben Stunde aus der Stadt heraus sein. Seid bereit für die Kälte! Die wird sehr erfrischend sein. Bitte, legt eure Maske an und kontrolliert, ob sie dicht ist bei euch wie auch bei den Leuten um euch herum!«
Er schaute zu Nadia hinunter, die aus ihrem schwarzen Rucksack ein kleines Laserschneidgerät geholt hatte und es Nirgal zeigte. Sie hielt es über den Kopf, damit viele Leute es sehen konnten.
»Sind alle bereit?« fragte Nirgal über seinen Lautsprecher. Alle in der Menge sichtbaren Leute hatten eine weiße Maske über dem unteren Teil ihres Gesichts. »Ihr seht aus wie Banditen«, sagte Nirgal zu ihnen und lachte. Dann rief er »Okay!« mit Blick auf Nadia.
Und sie zerschnitt den Stoff der Kuppel.
Ein vernünftiges Verhalten, um zu überleben, ist fast so ansteckend wie Panik, und die Evakuierung verlief schnell und geordnet. Nadia schnitt ungefähr zweihundert Meter von dem Stoff ein, direkt oberhalb der Betonkappe; und der höhere Luftdruck innen bewirkte einen hinausgehenden Luftstrom, der die transparenten Schichten der Kuppelbespannung hoch und von der Einfassung weg hielt, so daß die Leute über die hüfthohe Mauer klettern konnten, ohne sich darum kümmern zu müssen. Andere schnitten den Stoff bei den westlichen und südlichen Toren auf; und in ungefähr der Zeit, die erforderlich ist, um ein großes Stadion zu entleeren, war die Bevölkerung von Burroughs aus der Stadt heraus und in der kühlen frischen Luft eines Morgens auf Isidis: 350 Millibar Druck, 261 K oder –12 °C Temperatur.
Zeyks Araber blieben in ihren Rovern und dienten als Eskorte, indem sie vorwärts und rückwärts fuhren und die Leute zu der Hügelkette führten, die ein paar Kilometer südwestlich der Stadt lag und Moeris-Berge hieß. Das Wasser der Flut erreichte die östliche Seite der Stadt, als die letzten Nachzügler diese Reihe niedriger Buckel in der Ebene erreichten und Beobachter der Roten, die in eigenen Rovern weit umherstreiften, meldeten, daß die Flut jetzt nördlich und südlich um die Basis der Stadtmauer liefe, in einem Schwall, der weniger als einen Meter tief war.
Es war also eine äußerst knappe Situation gewesen, knapp genug, um Nadia erschauern zu lassen. Sie stand oben auf einem der Moerishügel und schaute sich um, damit sie sich ein Bild der Lage verschaffen konnte. Die Leute hatten ihr Bestes getan, waren aber ihrer Meinung nach ungenügend bekleidet. Nicht jeder hatte isolierte Stiefel, und nur sehr wenige hatten viel auf dem Kopf. Die Araber stiegen aus ihren Rovern, um den Leuten zu zeigen, wie man mit Schals oder Handtüchern oder Extrajacken über den Köpfen Burnuskapuzen improvisieren konnte. Und das mußte genügen. Aber es war draußen kalt, sehr kalt trotz Sonne und Windstille; und die Bürger von Burroughs, die nicht außerhalb der Kuppel gearbeitet hatten, machten ein entsetztes Gesicht. Einige waren allerdings in besserer Verfassung als andere. Nadia konnte neu Angekommene aus Rußland an ihren warmen Kopfbedeckungen erkennen, die sie von daheim mitgebracht hatten. Sie begrüßte diese Leute auf russisch, und sie grinsten fast immer und riefen: »Das ist gar nichts. Es ist gutes Wetter zum Schlittschuhlaufen, da?«
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