Allmählich verstummten die rhythmischen Rufe, bis das Geräusch der Menge ein allgemeines Summen war, ziemlich laut, über dem aber Nirgals verstärkte Begrüßung recht gut zu hören war. Während er sprach, bewegte sich Maya weiter durch die Menge zum Buckel. Und als das Volk ruhiger wurde, war es für sie leichter, durchzukommen. Als dann Nirgal zu sprechen begann, blieb sie auch stehen und beobachtete ihn bloß noch. Manchmal fiel ihr wieder ein, sich während der Hochrufe und des Applauses, womit manche Sätze endeten, weiter nach vorn zu bewegen.
Sein Redestil war gedämpft, freundlich und ruhig. Man konnte ihn leichter hören. Er sagte: »Für jene von uns, die auf dem Mars geboren sind, ist dies unsere Heimat.«
Er mußte fast eine Minute pausieren, als die Menge jubelte. Nadia sah wieder, daß es meistens Eingeborene waren. Maya war kleiner als fast alle da draußen.
Nirgal fuhr fort: »Unsere Körper bestehen aus Atomen, die kürzlich noch ein Teil des Regoliths waren. Wir sind durch und durch Marsmenschen. Wir sind menschliche Wesen, die mit diesem Planeten dauernd biologisch verbunden sind. Er ist unsere Heimat. Wir sind hier zu Hause, nicht auf der Erde. Es führt kein Weg zurück.« Weitere Hochrufe ertönten bei diesem sehr gut bekannten Schlagwort.
»Nun, was jene angeht, die auf der Erde geboren wurden, da gibt es allerhand verschiedene Arten. Wenn Menschen an einen neuen Ort umziehen, so beabsichtigen manche dazubleiben und ihn zu ihrer neuen Heimat zu machen. Diese nennen wir Siedler. Andere kommen, um hier eine Weile zu arbeiten und dann wieder dorthin zu gehen, woher sie gekommen sind. Diese nennen wir Besucher. Jetzt sind Eingeborene und Siedler natürliche Verbündete. Schließlich sind Eingeborene auch nur die Kinder früherer Siedler. Dies hier ist Heimat für uns alle. Was Besucher angeht, so ist auch für sie auf dem Mars Raum. Wenn wir sagen, daß der Mars frei ist, soll das nicht heißen, daß Erdenmenschen nicht mehr herkommen können. Keineswegs! Wir alle sind Kinder der Erde, so oder so. Sie ist unsere Mutterwelt, und wir werden ihr in jeder Weise helfen, soweit wir können.«
Der Lärm nahm ab. Die Menge schien etwas überrascht zu sein durch diese Aussage.
Nirgal fuhr fort: »Aber es liegt auf der Hand, daß das, was hier geschieht, nicht von Kolonialisten entschieden werden sollte oder von irgend jemand unten auf der Erde.« Es kamen Hochrufe auf, die etwas von dem, was er sagte, übertönten, »…eine einfache Feststellung unseres Verlangens nach Selbstbestimmung … unser natürliches Recht… die treibende Kraft der menschlichen Geschichte. Wir sind keine Kolonie und wollen auch nicht als eine solche behandelt werden. So etwas wie eine Kolonie gibt es nicht mehr. Wir sind ein freier Mars.«
Weitere Hochrufe, lauter denn je, gingen über in weitere Skandierung von: »Freier Mars! Freier Mars!«
Nirgal unterbrach den Chor: »Was wir jetzt als freie Marsmenschen zu tun beabsichtigen, ist, daß wir jeden Erdenmenschen willkommen heißen, der zu uns kommen will. Ob er hier eine Weile leben und dann zurückkehren will oder sich hier auf Dauer niederlassen will. Und wir beabsichtigen auch, alles zu tun, womit wir der Erde in ihrer jetzigen Umweltkrise helfen können. Wir haben einige Erfahrung mit Überschwemmungen (Beifall), und wir können helfen. Aber diese Hilfe wird von jetzt an nicht mehr durch Metanationale vermittelt werden, die nur ihre Profite daraus ziehen wollen. Sie wird als freies Geschenk kommen. Sie wird dem Volk der Erde mehr nützen als alles, was man von uns als einer Kolonie herausziehen kann. Das gilt ganz wörtlich für die Menge an Ressourcen und Arbeit, die vom Mars zur Erde überführt werden wird. Und wir hoffen und vertrauen darauf, daß ein jeder auf beiden Welten das Erstarken eines freien Mars begrüßen wird.«
Nirgal trat zurück und schwenkte die Hand; und die Hochrufe und Rezitationen brachen wieder aus. Nirgal stand auf der Plattform lächelnd und winkend. Er sah vergnügt aus, aber irgendwie unsicher, was als Nächstes zu tun wäre.
Während dieser ganzen Rede und des Beifalls hatte Maya sich weiter langsam vorgearbeitet; und Nadia konnte jetzt in ihrem Videobild erkennen, daß sie am Rande der Plattform in der ersten Reihe stand. Ihre Arme verdeckten das Bild immer wieder; und Nirgal bemerkte ihre Bewegungen und schaute sie an.
Als er sah, wer sie war, lächelte er, kam gleich herüber und half ihr, auf die Plattform zu kommen. Er führte sie zu den Mikrofonen, und Nadia bekam ein letztes Bild von einer überraschten und ärgerlichen Jackie Boone, ehe Maya ihre Videobrille abstreifte. Das Bild auf Nadias Schirm ruckte heftig und zeigte schließlich die Planken der Plattform. Nadia fluchte und eilte mit starkem Herzklopfen hinüber zu Saxens Schirm.
Sax hatte noch das Bild von Mangalavid, das jetzt von der Kamera auf der Gehröhre von der Brücke zwischen Ellis Butte und Table Mountain kam. Aus diesem Winkel konnte man das Menschenmeer sehen, das die Anhöhe umgab und das zentrale Tal der Stadt bis weit in den Kanalpark hinein füllte. Es mußte bestimmt fast die ganze Einwohnerschaft von Burroughs sein. Auf der Behelfsbühne schien Jackie Nirgal etwas ins Ohr zu brüllen. Nirgal antwortete ihr nicht und schritt mitten in ihrem Appell zu den Mikrofonen. Maya sah neben Jackie klein und alt aus, war aber stolz wie ein Adler; und als Nirgal ankündigte: »Hier ist Maya Toitovna!«, gab es mächtigen Applaus.
Maya fuchtelte mit den Händen, während sie nach vorn trat, und sagte in die Mikrofone: »Ruhe! Ruhe! Danke! Danke! Seid still! Wir haben hier noch einige wichtige Ankündigungen zu machen.«
»Mein Gott, Maya!« sagte Nadia und klammerte sich an die Lehne von Saxens Sessel.
»Jawohl, der Mars ist jetzt unabhängig. Ruhe! Aber wie Nirgal gerade gesagt hat, bedeutet dies nicht, daß wir unabhängig von der Erde existieren. Das ist unmöglich. Wir beanspruchen Souveränität gemäß internationalem Recht und appellieren an den Weltgerichtshof, diesen legalen Status sofort zu bestätigen. Wir haben vorläufige Verträge unterzeichnet, welche diese Unabhängigkeit versichern, und richten diplomatische Beziehungen mit der Schweiz, Indien und China ein. Wir haben auch eine nichtexklusive wirtschaftliche Partnerschaft mit der Organisation Praxis geschlossen. Diese wird wie alle Arrangements, die wir treffen, nicht auf Gewinn gerichtet sein, sondern gemeinnützig und dazu bestimmt, beiden Welten maximal von Vorteil zu sein. Mit allen diesen Abkommen zusammengenommen beginnt die Schaffung unserer formalen, legalen und semiautonomen Beziehung zu den verschiedenen gesetzlichen Körperschaften der Erde. Wir erwarten volle sofortige Bestätigung und Ratifizierung aller dieser Abkommen durch den Weltgerichtshof, die Vereinten Nationen und alle anderen relevanten Institutionen.«
Auf diese Ankündigung gab es Applaus; und obwohl der nicht so laut war wie vorher für Nirgal, ließ Maya die Leute gewähren. Als sie etwas ruhiger geworden waren, fuhr sie fort:
»Was die Lage hier auf dem Mars angeht, so haben wir die Absicht, uns hier sofort in Burroughs zu versammeln und die Erklärung von Dorsa Brevia als Ausgangspunkt für die Etablierung einer freien Marsregierung zu benutzen.«
Wiederum Applaus, viel enthusiastischer. »Ja, ja«, sagte Maya ungeduldig und versuchte, sie wieder zur Ruhe zu bringen. »Ruhe! Herhören! Vor all diesem müssen wir das Problem der Opposition ansprechen. Wie ihr wißt, treffen wir uns hier im Hauptquartier der Streitkräfte der Übergangsbehörde der Vereinten Nationen, die in diesem Augenblick zusammen mit allen übrigen von uns zuhören, da im Innern von Table Mountain.« Sie zeigte dorthin.
»Falls sie nicht herauskommen, um sich mit uns zu verbinden.« Hochrufe, Gebrüll, Sprechchöre. »…Ich will denen jetzt sagen, daß wir ihnen nicht übelwollen. Seht ihr, es ist jetzt Sache der Übergangsbehörde zu erkennen, daß der Übergang eine neue Gestalt gewonnen hat. Und ihren Sicherheitskräften zu befehlen, daß sie aufhören, uns kontrollieren zu wollen. Ihr könnt uns nicht kontrollieren!« Wilde Hochrufe, »…wollen euch nichts Böses. Und wir versichern euch, daß ihr freien Zugang zum Raumhafen habt, wo es Flugzeuge gibt, die euch alle nach Sheffield bringen können und von dort nach Clarke, falls ihr euch nicht in dieser neuen Aufgabe mit uns zusammentun wollt. Dies ist keine Belagerung oder Blockade. Es ist ganz einfach… «
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