Die innere Höhlung ist fünfzig Kilometer lang und sechzehn Kilometer weit. Beide Enden laufen schüsselförmig aus und haben ziemlich komplizierte geometrische Werte. Unsere Seite haben wir Nördliche Hemisphäre getauft.
Wir errichten unsere erste Basis hier, genau auf der Achse.
Radial gehen von der zentralen Nabe im Winkel von hundertzwanzig Grad drei fast einen Kilometer lange Leitern aus. Sie enden jede an einer Terrasse oder einem ringförmigen Plateau, das um die ›Schüssel‹ herumläuft.
Und von dort ausgehend führen drei riesige Treppenstrukturen in der gleichen Richtung wie die Leitern bis ganz in die Ebene hinunter.
Wenn man sich einen Regenschirm mit nur drei Rippen vorstellt, bekommt man ein gutes Bild von diesem Ende von Rama.
Jede dieser drei Rippen ist eine Treppe. An der Mittelachse ziemlich steil, dann flachen sie allmählich ab, je näher es auf die darunterliegende Ebene zugeht. Die Treppen — wir haben sie Alpha, Beta und Gamma genannt — sind nicht durchgängig, sondern von fünf weiteren kreisförmigen Terrassen unterbrochen.
Wir schätzen, daß es zwischen zwanzig- und dreißigtausend Stufen sind… wir nehmen an, daß sie nur im Katastrophenfall benutzt wurden, denn es ist undenkbar, daß die Ramaner — oder wie immer wir sie bezeichnen werden — über keine bessere Methode verfügt haben sollten, die Achse ihrer Welt zu erreichen.
Die Südliche Hemisphäre sieht ganz anders aus. Einmal hat sie keine Treppen und keine zentrale Nabe. Statt dessen gibt es dort einen gigantischen Stachel — kilometerhoch — genau auf der Achse und sechs kleinere Stachel im Umkreis. Die ganze Struktur sieht ziemlich merkwürdig aus, und wir wissen nicht, was sie bedeuten soll.
Die fünfzig Kilometer lange Strecke zwischen den zwei Schüsseln haben wir Zentralebene genannt. Es mag ja verrückt erscheinen, wenn man das Wort Ebene auf etwas so eindeutig Nichtflaches anwendet, aber wir glauben, daß dies hier gerechtfertigt ist. Uns wird das nämlich flach erscheinen, wenn wir hinuntersteigen — genau wie das Innere einer Flasche einer Ameise als flach erscheinen muß, die in ihr herumkriecht.
Das aufregendste Charakteristikum der Zentralebene ist das zehn Kilometer breite dunkle Band, das genau auf halbem Weg rundum läuft. Es sieht wie Eis aus, darum haben wir es ›Zylindrisches Meer‹ getauft. Direkt geradeaus in der Mitte liegt eine große ovale Insel, etwa zehn Kilometer lang, drei breit, auf der hohe Gebäude emporragen. Da sie uns an das alte Manhattan erinnert, haben wir sie ›New York‹ getauft. Ich glaube aber nicht, daß es sich um eine Stadt handelt, es wirkt eher wie eine riesige Fabrik oder chemische Produktionsanlagen.
Aber es gibt ein paar Städte — oder doch wenigstens Kleinstädte. Wenigstens sechs. Wenn sie für menschliche Wesen errichtet worden wären, könnte jede davon mindestens fünfzigtausend Personen aufnehmen. Wir haben sie Rom, Peking, Paris, Moskau, London und Tokio genannt… Sie sind durch Fernstraßen und durch schienenähnliche Linien miteinander verbunden.
In diesem erstarrten Weltleichnam liegt wohl Material für ein paar Jahrhunderte Forschungsarbeit.
Wir müssen viertausend Quadratkilometer untersuchen und haben nur ein paar Wochen Zeit dafür. Ich frage mich, ob wir jemals die Antwort auf die zwei Rätsel erhalten werden, die mich beunruhigen, seit wir ins Innere vorgestoßen sind: wer waren diese Wesen — und was ist schiefgelaufen!“
Hier endete der Bericht. Auf der Erde und dem Mond lehnten sich die Mitglieder des Rama-Komitees entspannt in ihren Sesseln zurück.
Dann begannen sie die vor ihnen ausgebreiteten Karten und Fotos zu untersuchen.
Obwohl sie dies bereits seit ein paar Stunden taten, bot ihnen doch die Stimme von Commander Norton einen zusätzlichen Eindruck, den keift Foto zu geben vermochte. Er war wirklich dort gewesen, er hatte mit eigenen Augen über diese außerordentliche verkehrte Welt geschaut in jenen kurzen Augenblicken, da ihre äonenalte Nacht von den Leuchtsonden erhellt worden war. Und er war der Mann, der alle Expeditionen zur Erforschung dieser Welt leiten würde.
„Dr. Perera, ich denke, Sie haben dazu ein paar kommentierende Anmerkungen zu machen?“
Botschafter Bose fragte sich einen Moment lang, ob er nicht zunächst Professor Davidson als dem Nestor unter den Wissenschaftlern und dem einzigen Astronomen das Wort hätte erteilen sollen. Doch dieser alte Kosmologe schien noch immer unter einem leichten Schock zu stehen und hatte sich offensichtlich noch nicht wieder gefangen. Während seiner ganzen wissenschaftlichen Laufbahn hatte Professor Davidson das Universum lediglich als Arena für die gigantischen unpersönlichen Kräfte der Schwerkraft, des Magnetismus, der Strahlung betrachtet.
Niemals hatte er geglaubt, daß das Leben in der Anordnung der Dinge eine wesentliche Rolle spielte, und er hatte das Auftreten von Leben auf der Erde, dem Mars und dem Jupiter als eine nur zufällige Verirrung angesehen.
Doch nun gab es den Beweis, daß Leben nicht nur außerhalb des Sonnensystems existiert, sondern sogar ein Niveau erreicht hatte, das weit über allem lag, was die Menschheit bislang erreicht hatte — oder in künftigen Jahrhunderten zu erreichen hoffen durfte. Mehr noch, die Entdeckung Ramas brachte ein weiteres Dogma Professor Olafs ins Wanken, eines, das er seit Jahren verfocht. Wenn man ihn bedrängte, pflegte er wohl widerstrebend einzugestehen, daß es möglicherweise auch in anderen Stellarsystemen Leben geben könne — doch sei es absurd anzunehmen, hatte er stets behauptet, daß dieses Leben jemals die interstellaren Abgründe zu überbrücken imstande sei… Vielleicht war ja genau dies den Ramanern mißlungen, wenn Commander Norton mit seiner Vermutung recht hatte, daß ihre Welt jetzt ein riesiges Grab sei. Aber sie hatten doch zumindest die Heldentat gewagt, und das mit einem Aufwand, der auf eine große Erfolgserwartung schließen ließ. Und wenn etwas Derartiges einmal geschehen war, dann mußte es ohne Zweifel in dieser Galaxie von hunderttausend Millionen von Sonnen öfter geschehen sein… und irgend jemand würde irgendwo einmal erfolgreich sein.
Diese These hatte Dr. Carlisle Perera seit Jahren, ohne Beweismaterial zwar, aber mit einem beträchtlichen Aufwand an Gestikulation gepredigt. Jetzt war er sehr glücklich, wenn auch zugleich ziemlich frustriert.
Rama hatte auf spektakuläre Weise seine Ansichten bestätigt — aber er selbst würde diese Welt niemals betreten oder sie auch nur mit eigenen Augen sehen können. Wenn plötzlich der Teufel aufgetaucht wäre und ihm die Fähigkeit der sofortigen Teleportation angeboten hätte, Perera hätte den Vertrag unterschrieben, ohne sich um das Kleingedruckte zu kümmern.
„Jawohl, Exzellenz, ich glaube, daß ich einige interessante Informationen vorlegen könnte.
Wir haben es hier zweifellos mit einer ›Raumarche‹ zu tun. In der astronautischen Literatur ist dies eine uralte Vorstellung. Es ist mir gelungen, sie bis auf den britischen Physiker J. D.
Bernal zurückzuverfolgen, der bereits 1929 in einem Buch diese Methode interstellarer Kolonisierung vorschlug. Ja, vor über zweihundert Jahren. Und der große russische Pionier Tsiolkovski machte sogar noch früher fast die gleichen Vorschläge.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, von einem Sternsystem zu einem anderen zu kommen.
Angenommen, die Lichtgeschwindigkeit ist ein absolutes Limit, und diese Frage ist immer noch nicht definitiv geklärt, was immer Sie auch an Gegenteiligem gehört haben mögen “ — von Professor Davidson kam ein entrüstetes Schnauben, aber kein artikulierter Einwand —, „dann kann man eine schnelle Reise in einem kleinen Fahrzeug oder eine langsame in einem riesigen Schiff machen.
Es gibt keinen technischen Grund, warum Raumschiffe nicht bis zu neunzig Prozent oder sogar noch höher sich der Lichtgeschwindigkeit annähern könnten. Das würde eine Reisedauer von fünf bis zehn Jahren zwischen Nachbarsternen bedeuten, was vielleicht lästig, aber nicht undurchführbar ist, besonders für Lebewesen mit einer Lebensdauer von Jahrhunderten.
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