„Ja, etwa in der Art. Aber fragt mich bitte nicht nach den praktischen Einzelheiten.“
Die Säulenreihen, durch die sie vorgedrungen waren, hatten an Größe ständig zugenommen.
Jetzt waren sie fast zwei Meter dick. Und auch die eingeschlossenen Bildwerke waren gewachsen. Es war klar, daß die Ramaner aus zweifellos exzellenten Gründen sich auf Lebensgröße in der Reproduktion festgelegt hatten.
Norton fragte sich, wie sie etwas wirklich Großes aufbewahrten, wenn das überhaupt der Fall sein sollte.
Um ein möglichst großes Terrain zu erfassen, hatten sich die vier Kundschafter nun getrennt und wanderten einzeln durch den kristallenen Säulenwald, wo sie versuchten, so viele Fotos von den flüchtigen Erscheinungen zu machen, wie es bei der Einstellungsgeschwindigkeit ihrer Kameras nur möglich war. Es war wirklich ein erstaunlich glücklicher Zufall, dachte Norton. Allerdings hatte er auch das Gefühl, es verdient zu haben, daß er jetzt Glück hatte.
Zweifellos hätten sie bei ihrer letzten Exkursion gar nichts Besseres auswählen können als diesen „illustrierten Katalog Ramanischer Artefakte “. Und doch, von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, konnte es auch wieder nichts Enttäuschenderes geben. Denn hier war ja wirklich nichts außer ungreifbaren Mustern von Licht und Nichtlicht; alle diese scheinbar festen Gegenstände hatten keine Wirklichkeit.
Selbst in der Erkenntnis dieser Tatsache fühlte sich Norton mehr als einmal versucht, eine der Säulen mit seinem Laser zu öffnen, um etwas Stoffliches, Materielles, Handfestes mit zur Erde zurückzubringen. Es war genau der gleiche Trieb, sagte er sich mit einem schiefen Grinsen, der einen Affen dazu veranlassen würde, nach dem Spiegelbild einer Banane in einem Spiegel zu grapschen.
Er fotografierte gerade irgend etwas, das wie ein optischer Apparat aussah, als Calverts Schrei ihn erreichte. Er rannte sofort durch die Säulenreihen auf ihn zu.
„Skipper — Karl — Will — schaut euch das an!“
Joe Calvert neigte bekanntlich zu plötzlichen Begeisterungsausbrüchen, doch was er jetzt entdeckt hatte, rechtfertigte zweifellos jede Form der Aufgeregtheit.
Im Inneren einer der zwei Meter dicken Säulen befand sich ein Harnisch oder eine Uniform, ganz offensichtlich für ein aufrecht gehendes Geschöpf von übermenschlicher Größe gedacht. Ein sehr enges Metallband oder ein Metallgürtel umgab anscheinend die Taille oder den Thorax in der Mitte — oder wie immer man eine der irdischen Zoologie unbekannte Körperaufteilung sonst bezeichnen mochte. Davon gingen drei schlanke sich nach außen verjüngende Schläuche aus, die in einem vollkommen kreisförmigen Gürtel zusammenstießen, es waren, beachtlicherweise, zirka hundert Zentimeter Durchmesser in diesem Kreis. Die Öffnungen, die sich in gleichem Abstand auf diesem Gürtel fanden, konnten eigentlich nur für Gliedmaßen des Oberkörpers gedacht sein.
Vielleicht für Arme. Jedenfalls waren es drei Öffnungen… Es gab zahllose Beutel, Schnallen, Bänder, von denen Werkzeuge (oder Waffen!) hervorragten, Röhren und Elektroleiter, sogar kleine Schachteln, schwarze Kästchen, die in einem Elektroniklabor auf der Erde völlig am Platze gewesen wären. Die ganze Anordnung wirkte fast so kompliziert wie die eines Raumanzugs, obwohl sie dem Geschöpf, das sie trug, offensichtlich nur begrenzten Schutz bieten konnte.
Und war dieses Geschöpf wirklich ein oder der Ramaner? Norton hatte da echte Zweifel.
Wahrscheinlich werden wir das niemals genau wissen, sagte er sich. Aber ›es‹ muß über Intelligenz verfügt haben, denn kein Tier hätte mit einer dermaßen hochentwickelten Maschinerie umzugehen verstanden.
„Etwa zweieinhalb Meter hoch“, bemerkte Mercer nachdenklich, „den Kopf nicht mitgerechnet.
Weiß der und jener, wie der ausgesehen hat!“
„Ja, und mit drei Armen, und wahrscheinlich drei Beinen. Der gleiche Konstruktionsplan wie bei den Spinnen — nur auf einer viel massiveren Stufe. Glauben Sie wirklich, es handelt sich um einen Zufall?“
„Nein. Wahrscheinlich ist es kein Zufall. Wir bauen unsere Roboter ja auch nach unserem Bild. Man kann also annehmen, daß die Ramaner genau das gleiche tun.“
Joe Calvert blickte mit einer für ihn völlig außergewöhnlichen Scheu auf das vor ihm liegende Schauspiel.
„Glauben Sie, die wissen, daß wir hier sind?“
fragte er halb flüsternd.
„Das bezweifle ich“, antwortete Mercer. „Wir sind noch nicht einmal bis zu ihrer Bewußtseinsschwelle vorgedrungen, wenn auch die Hermianer sich recht große Mühe gegeben haben.“
Sie standen noch immer so da und waren nicht in der Lage, sich von dem Anblick zu lösen, als Pieter von der Nabenkontrolle sich meldete. Seine Stimme klang dringlich und sehr besorgt.
„Skipper — Sie kommen jetzt besser raus!“
„Was ist los? Kommen Bioten hierher?“
„Nein — es ist viel ernster. Die Lichter werden schwächer.“
Als er in großer Hast durch das Loch nach außen kroch, das sie mit ihren Laserstrahlen geschnitten hatten, schien es Norton, daß die sechs Sonnen Ramas so brillant leuchteten wie immer. Pieter hatte sicher einen Bewertungsfehler gemacht — ziemlich ungewöhnlich bei ihm… Doch Pieter hatte eben diese Reaktion vorhergesehen.
„Es ist so langsam passiert“, erklärte er entschuldigend, „daß es eine ganze Weile dauerte, bevor ich einen Unterschied merkte. Aber es kann keinen Zweifel daran geben — ich habe es auf dem Fotometer verfolgt. Die Lichtstärke ist um vierzig Prozent gesunken.“
Jetzt, während seine Augen sich nach der Düsternis des Glastempels wieder an das Licht Ramas gewöhnten, konnte Norton dieser Behauptung Glauben schenken. Der lange Rama- Tag neigte sich seinem Ende zu.
Es war noch immer so warm wie zuvor, und dennoch bemerkte Norton, daß er fröstelte. Er hatte die gleiche Erfahrung bereits einmal gemacht.
Es war ein herrlicher Sommertag auf der Erde gewesen. Plötzlich war das Licht unerklärlicherweise schwächer geworden, als fiele Düsternis aus dem Himmel herunter oder als habe die Sonne ihre Kraft verloren. Es stand aber kein Wölkchen am Himmel. Dann fiel es ihm wieder ein: eine partielle Sonnenfinsternis hatte sich damals ausgebreitet.
„Das ist es“, sagte er grimmig. „Wir kehren um. Laßt die ganze Ausrüstung zurück. — Wir werden sie nicht mehr benötigen.“
Jetzt, so hoffte er, würde sich seine Vorausplanung auf diesem Sektor bewähren. Er hatte London für diesen Plünderungsausflug ausgewählt, weil keine andere Stadt dem Treppensystem Beta so nahe lag. Der Fuß der Treppe war nur vier Kilometer weit entfernt.
Sie machten sich mit gleichmäßigen langen Schritten auf den Weg. Diese Fortbewegungsart hatte sich bei einem halben G als die bequemste bewährt. Norton schlug ein Tempo ein, das sie seiner Schätzung nach ohne Erschöpfung an den Rand der Ebene führen würde, und zwar ohne allzu große Zeitverschwendung.
Norton war sich nur zu deutlich der acht Kilometer bewußt, die sie noch hinaufsteigen mußten, sobald sie den Fuß der Beta-Treppe erreicht hatten. Doch würde er sich sehr viel sicherer fühlen, sobald sie wirklich mit dem Aufstieg begonnen hätten.
Eine erste Erschütterung trat ein, als sie beinahe am Fuß der Treppe waren. Es war nur eine leichte Störung. Norton wandte sich instinktiv um und erwartete bei den Berghörnern am Südpol ein weiteres Feuerwerk zu sehen.
Aber Rama wiederholte sich anscheinend nie in genau der gleichen Weise. Wenn von diesen nadeldünnen Gipfeln elektrische Entladungen ausgingen, dann waren sie zu schwach, als daß man sie hätte sehen können.
„Brücke“, rief er, „habt ihr das gesehen?“
„Ja, Skipper. — War ein ganz kleiner Schock.
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