Doch in all diesen Werken entdeckte ich nichts von Bedeutung. Inzwischen verkauften sich meine Bücher, ich nahm daher an, daß jemand sie las, und wenn dem so wäre, würden die Resultate nicht auf sich warten lassen. Insbesondere hegte ich keinen Zweifel daran, daß mich der Tyrann zu sich rufen und verlangen würde, ich sollte seine Person in den Mittelpunkt meines Schaffens stellen und seinem Namen zu unsterblichen Ruhm verhelfen. Ich malte mir genau aus, wie ich ihm antworte, daß ich der Wahrheit allein diene und für sie, falls notwendig, auch mein Leben lassen würde; der Tyrann, lechzend nach Lobpreisungen, wie sie nur mein brillanter Geist zu formulieren vermochte, würde sodann versuchen, mich mit honigsüßen Schmeicheleien wankelmütig zu machen und mir sogar ganze Säcke klingender Münzen zu Füßen legen lassen, doch angesichts meiner Unbeugsamkeit würde er beeinflußt durch seine Hofsophisten sagen, da ich mich nun einmal mit dem Universum befaßte, sei es ebenso meine Pflicht, mich mit ihm zu befassen, denn letztlich verkörpere auch er einen bestimmten Teil des kosmischen Ganzen. Daraufhin würde ich ihn mit Hohn und Spott überschütten, er aber würde mich schlimmsten Torturen ausliefern. Und so stählte ich meinen Körper bereits, damit er selbst schrecklichsten Folterungen widerstehen könnte. Doch Tage und Monate vergingen, und nichts, kein Wort vom Tyrannen — vergeblich hatte ich mich aufs Martyrium vorbereitet. Lediglich ein gewisser Schreiberling namens Würgobald schrieb in einem üblen Revolverblatt, der Hofnarr Chlorian verzapfe allerlei dummes Zeug sowie haarsträubenden Unsinn, und zwar in einem Buch mit dem drolligen Titel „Das Theotron oder Pissen ist Macht“.
Ich stürzte an mein Bücherregeal — tatsächlich, kein Zweifel möglich, der Drucker hatte aus irgendeinem Grunde ein P anstelle des W in den Titel gesetzt… Mein erster Impuls war, ihn auf der Stelle umzubringen, doch dann siegte die Vernunft. „Meine Zeit wird kommen!“ sprach ich zu mir. „Es kann doch nicht sein, daß da jemand mit ewigen Wahrheiten nur so um sich wirft, so daß das reichlich gespeiste Licht der ultimativen Erkenntnis hell auflodert und nichts! Ruhm und Ehren werden kommen, ein Thron von Elfenbein, der Titel des Ersten Philosophioten bei Hofe, die Liebe der Völker, süße Erquickung in der Stille eines schattigen Obstgartens, meine eigene, die Chlorianische Schule, mit Jüngern, die an meinen Lippen hängen, eine jubelnde Menge! Denn wahrlich, Fremdling, gerade solche Träume sind es, die jeder der Weisen hegt. Sie erzählen dir zwar, Erkenntnis sei ihre einzige Speise und die Wahrheit ihr einziger Trank, und es gelüste sie weder nach irdischen Gütern noch nach der heißen Umarmung der Thermätressen, nicht nach dem Glanz des Goldes und funkelnden Ordenssternen, nicht nach Ruhm und nicht nach Beifall. Märchen, nichts als Ammenmärchen, Euer Fremd— und Wohlgeboren! Sie alle lechzen danach, der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir besteht darin, daß ich wenigstens die geistige Größe besitze, mich zu solchen Schwächen zu bekennen, offen und ohne Scham. Doch die Jahre vergingen, und von mir sprach niemand anders als von Chlorian dem Narren oder dem armen alten Chlori. Als der vierzigste Jahrestag meiner Geburt gekommen war, konnte ich es kaum fassen, daß ich noch immer auf das Echo der Massen warten mußte, doch es kam auch jetzt nicht. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und schrieb mein Werk über die MASTEN, welche das Volk sind, das die MAximale STufe der ENtwicklung im ganzen Kosmos erreicht hat. Wie, du hast nie von ihnen gehört? Ich auch nicht, ich habe sie auch nie gesehen und erwarte nicht, daß es mir noch gelingt; ihre Existenz aber habe ich auf rein deduktiver Grundlage nachgewiesen, logisch, zwingend, theoretisch. Denn wenn das Universum — so war meine Argumentation — Zivilisationen auf unterschiedlicher Entwicklungsstufe enthält, so müssen die meisten ein durchschnittliches Niveau aufweisen, und nur einige wenige sind in der Entwicklung zurückgeblieben, während andere an der Spitze stehen. Und betrachten wir die statistische Streuung, wenn es zum Beispiel um die Körpergröße innerhalb einer bestimmten Gruppe von Personen geht, so werden die meisten mittelgroß sein, doch ein einziger ist der Größte, und analog dazu muß im Universum eine Zivilisation existieren, welche die maximale Stufe der Entwicklung erreicht hat. Ihre Bewohner, die MASTEN, wissen Dinge, von denen wir nicht einmal träumen. All das habe ich in vier Bänden zusammengefaßt, wobei ich für das Hochglanzpapier und das Portrait des Autors auf der Titelseite ein Vermögen ausgab, doch auch diese Tetralogie teilte das Schicksal ihrer Vorgänger. Vor einem Jahr, als ich das ganze Werk, Seite für Seite, noch einmal las, mußte ich weinen, so brillant war es geschrieben, so erfüllt vom Atem des Absoluten — doch nein, es läßt sich einfach nicht beschreiben! Im Alter von fünfzig Jahren hätte ich beinahe den Verstand verloren. Ich kaufte mir die Werke anderer Philosophen, die großen Reichtum und die Süße des Erfolgs genossen, denn ich war neugierig, was das für Dinge waren, über die sie schrieben. Nun, sie schrieben über den Unterschied zwischen der Vorderseite und der Kehrseite der Dinge, über die herrliche Form des Throns, auf dem der Tyrann saß, über seine süßen Armlehnen und gerechten Füße, Traktate über geschliffene Manieren, detaillierte Beschreibungen, wobei sich niemand von ihnen auch nur im mindesten selbst lobte, und doch ergab es sich irgendwie, daß sich Strunzel vor Bewunderung über Perlesius nicht zu lassen wußte, Perlesius aber dem Genie Strunzel Tribut zollte, während beide von den Logariten in den Himmel gehoben wurden. Und dann wurden die drei Brüder Filzinger auf den Gipfel des Ruhms katapultiert: Filzlieb hob Filzobald empor, Filzobald wiederum den Filzislaw, und Filzislaw tat dasselbe für Filzlieb. Als ich all diese Werke studierte, sah ich plötzlich rot, ich stürzte mich auf sie, zerknüllte die Seiten, zerriß sie und begann sie sogar zu zernagen, bis ich mir Erleichterung verschafft hatte, und meine Tränen getrocknet waren; dann setzte ich mich sogleich nieder und schrieb das Werk Die Evolution der qq als ein Zwei-Zyklen-Phänomen. Denn wie ich in dieser Abhandlung nachwies, stehen Roboter und Bleichlinge in einer zyklischen Verbindung. Durch das Wallen und Wirbeln schleimigen Tons an salzigen Gestaden entstehen klebrige und bleiche Wesen, die daher auch Albumenser genannt werden. Im Laufe der Jahrhunderte lernen sie schließlich, wie man Metallen den Odem des Lebens einhaucht, und sie bauen sich Automaten, die ihnen als Sklaven dienen. Nach einiger Zeit jedoch verlaufen die Dinge in entgegengesetzter Richtung, und unsere Automaten, die sich von den klebrigen Albumensern befreit haben, beginnen mit Experimenten, um herauszufinden, ob Bewußtsein auch in einer gelatinösen Substanz existieren kann, was natürlich möglich ist, und zwar in albuminösen Proteinen. Doch jetzt, nach Millionen von Jahren, entdecken die synthetischen Bleichlinge erneut das Eisen, und so verläuft der Prozeß bald in die eine, bald in die andere Richtung, bis in alle Ewigkeit. Wie du siehst, habe ich auf diese Weise die uralte Frage entschieden, wer zuerst da war, der Roboter oder der Bleichling. Dieses Werk sandte ich an die Akademie, sechs Bände in Leder gebunden, die Druckkosten verschlangen den letzten Rest meines Erbes. Muß ich dir sagen, daß man auch dieses Meisterwerk mit Schweigen überging? Ich war bereits über die sechzig hinaus und ging bereits auf die siebzig zu, und alle Hoffnung auf Ruhm zu meinen Lebzeiten schwand allmählich dahin. Was konnte ich also tun? Ich begann, an die Nachwelt zu denken, an die künftigen Generationen, die mich eines Tages entdecken und sich vor meinem Namen in den Staub werfen würden. Doch welchen Nutzen, so fragte ich mich, würde ich davon haben, wenn ich nicht mehr am Leben war? Und ich sah mich in Übereinstimmung mit meiner Lehre, die in vierundvierzig Bänden mit Prolegomena, Paralipomena und Appendizes enthalten ist, zu dem Schluß genötigt, daß ich absolut keinen Nutzen davon haben würde. Ich schäumte vor Wut und setzte mich sogleich an meinen Schreibtisch, um mein „Testament für die Nachwelt“ zu schreiben, und ich begann auf die künftigen Generationen zu spucken, sie zu schmähen, zu beschimpfen, zu verhöhnen und nach allen Regeln der Kunst zu verfluchen, alles natürlich auf streng wissenschaftliche Weise. Was sagst du da? Ungerecht wäre das, und meine Empörung hätte sich besser gegen meine Zeitgenossen gerichtet, die es versäumten, mein Genie anzuerkennen? Denk noch einmal nach, verehrter Fremdling! Zu der Zeit, da man mein Testament ehrfurchtsvoll, ja wie ein Heiligtum betrachten wird, da jeder Buchstabe den Glanz unsterblicher Größe ausstrahlen wird, werden meine Zeitgenossen längst zu Staub und Asche geworden sein, und wie sollen meine Flüche und Verwünschungen sie dann erreichen? Wäre ich so verfahren, wie du sagst, so würden die Nachkommen mein Werk in eitler Selbstzufriedenheit studieren und nur anstandshalber seufzen: „Ach, der Arme! Mit welch ergebenem Heroismus hat er seine grausame Anonymität ertragen! Wie berechtigt war sein Grimm gegen unsere Vorfahren, und wie edel war es von ihm, uns dennoch die Früchte seines Lebenswerks zu hinterlassen!“ Ja, genau das würden sie sagen! Und was dann? Diese Idioten, die mich lebendig begruben, sollen sie etwa ungestraft davonkommen? Sollte das Grab ein Schild sein gegen den Pfeil der Rache? Der bloße Gedanke daran bringt mein Schmieröl zum Sieden! Sollten die Söhne meine Werke etwa in Frieden lesen und ihre Väter milde tadeln, weil sie mich so verkannten? Niemals!!! Ich will ihnen zumindest aus weiter Ferne einen Fußtritt geben, und sei es aus dem Grabe! Mögen diejenigen wissen, die meinen Namen mit güldenen Lettern schreiben und mir strahlende Denkmäler errichten werden, daß ich ihnen zum Dank dafür folgende Segenswünsche mit auf den Weg gebe: „Mögt ihr euch sämtliche Zahnräder verrenken, mögen euch die Ventile platzen und die Kabel durchschmoren, mögen eure Daten gelöscht werden, und mögt ihr selbst von Kopf bis Fuß mit Grünspan überzogen werden, wenn ihr nicht mehr tun könnt, als auf dem Friedhof der Geschichte exhumierte Leichen zu ehren!“ Vielleicht wird es unter ihnen einen neuen Weisen geben, doch sie, gerade vollauf damit beschäftigt, die noch fehlenden Teile meiner Korrespondenz mit meiner Waschfrau aufzuspüren, werden keinerlei Notiz von ihm nehmen! Mögen sie wissen, sage ich, und mögen sie es ein für alle Mal wissen, daß mein von Herzen kommender Fluch und mein aufrichtiger Abscheu immer mit ihnen sind, und daß ich sie für Grabschlecker, Skelettküsser und schrottverzehrende Schakale halte, die sich nur deswegen von Aas nähren, weil niemand von ihnen lebendige Weisheit zu erkennen vermag! Mögen sie, wenn sie die Gesamtausgabe meiner Werke veröffentlichen — welche ja auch das Testament, meinen letzten über sie verhängten Fluch, enthalten wird —, mögen diese Nekromanten und Nekrophilister der Möglichkeit beraubt sein, sich selbst zu gratulieren, daß der unvergleichliche Weise, Chlorian Theoreticus Klapostel, der das bis in alle Ewigkeit gültige Portrait der Zukunft entwarf, einer ihrer Vorfahren war! Und wenn sie meine Denkmäler mit Sidol polieren, so soll ihnen dabei bewußt sein, daß ich ihnen das Allerschlimmste wünsche, was das Universum zu bieten hat, und daß das Ausmaß meines Hasses, den ich ihnen über die Zeiten entgegenschleudere, nur von dessen Ohnmacht übertroffen wird. Mögen sie also wissen, daß ich mich nicht zu ihnen bekenne, und daß es zwischen mir und ihnen nichts gibt außer dem aufrichtigen Ekel, den ich für sie hege!!“
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