»Kommen Sie, kommen Sie«, drängte Mine. »Setzen Sie sich ans Feuer! Die Herren, die nun schon eine Weile hier sind und sich gehörig aufwärmen konnten, werden Platz für Sie und Professor Lansing machen. So, und nun, da alle beisammen sind, werde ich in die Küche gehen und mich um das Abendessen kümmern.«
Er watschelte mit geschäftiger Miene hinaus. Mary Owen stellte sich neben Lansing vor dem Kaminfeuer auf. »Er hat Sie als Professor bezeichnet, habe ich das richtig verstanden?« fragte sie.
»Ja, ich glaube, er hat mich so genannt. Aber ich wünschte, er hätte es nicht getan. Man redet mich nur äußerst selten als Professor an. Sogar meine Studenten.«
»Aber Sie tragen diesen Titel?«
»Ja. Ich lehre in Langmore, an der Hochschule.«
»Ich habe noch nie von diesem Ort gehört.«
»Es ist eine kleine Universitätsstadt in Neuengland.«
Der General wandte sich an die beiden. »Hier, nehmen Sie die beiden Sessel direkt am Feuer. Der Herr Pfarrer und ich haben sie lange, genug besetzt gehalten.« »Vielen Dank, Herr General«, sagte Mary.
Ein Mann, der dem Pastor und dem General gegenüber gesessen hatte, stand jetzt auf und berührte Lansings Arm. »Wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich kein Mensch. Würden Sie es als unhöflich empfinden, wenn auch ich Sie in unserem kleinen Kreis willkommen heiße?«
»Aber. aber nein«, entgegnete Lansing. Dann unterbrach er sich, um den Sprecher genau zu betrachten. »Sie sind.« »Ich bin ein Roboter, Mr. Lansing. Haben Sie noch nie einen gesehen?« »Nein, noch nie.«
»Nun ja. Wir sind eine seltene Spezies«, entgegnete der Roboter, »und es gibt uns nicht auf vielen Welten. Mein Name ist Jürgens.«
»Sie sind mir gar nicht aufgefallen«, erklärte Lansing. »Es ist nicht sehr hell im Zimmer, und es hat sich soviel ereignet.« »Haben Sie vielleicht zufällig eine Macke, Mr. Lansing?« »Das hoffe ich nicht, äh. Jürgens. Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Wieso fragen Sie mich danach?« »Es ist mein Hobby, Menschen zu sammeln, die eine Macke haben«, erwiderte der Roboter. »Ich kenne jemanden, der sich für Gott hält, und zwar immer dann, wenn er betrunken ist.« »Damit kann ich nicht dienen«, versicherte Lansing. »Betrunken oder nüchtern - für Gott habe ich mich noch nie gehalten.« »Ach«, erwiderte Jürgens, »das ist doch nur eine Spielart des Verrücktseins. Es gibt noch viele andere.« »Das mag wohl stimmen«, sagte Lansing.
Der General machte sich nun daran, alle Anwesenden einander vorzustellen. »Ich bin Brigadegeneral Everett Darnley«, sagte er, »vom Abschnitt sieben. Der Mann an meiner Seite ist Pastor Ezra Hatfield, und die Dame am Tisch ist Dichterin und heißt Sandra Carver. Neben Mr. Lansing steht der Roboter Jürgens. So, und jetzt, wo wir uns bekannt gemacht haben, sollten wir unsere Plätze einnehmen und uns an den ausgezeichneten Getränken laben, die man für uns bereitgestellt hat. Wir drei Menschen haben sie bereits ausprobiert und können uns für ihre Qualität verbürgen.«
Lansing ging um den Tisch herum und ließ sich neben Mary Owen nieder. Er bemerkte, daß der Tisch aus massivem Eichenholz und mit bäuerlich schlichten Schnitzereien verziert war. Drei flackernde Kerzen standen auf der Platte, ein Tablett mit kleinen Krügen und drei Flaschen. Plötzlich entdeckte Lansing, daß noch weitere Menschen im Gastraum saßen: Es waren vier Männer, die in einer Ecke mit einem Kartenspiel beschäftigt waren.
Der General stellte zwei Krüglein vor Mary und Lansing auf und schenkte aus einer Flasche ein.
»Ich kann nur hoffen«, sagte er dabei, »daß sich das Abendessen als so bekömmlich wie dieses Getränk erweist.« Lansing nahm einen Schluck. Es war ein milder Schnaps, der wohltuend warm durch die Kehle rann. Der Professor trank ein zweites Mal.
»Bevor Sie beide kamen«, sagte der General, an Mary und Lansing gewandt, »haben wir hiergesessen und uns gefragt, ob Sie vielleicht wüßten, was hier eigentlich vor sich geht. Aber nach dem, was Sie gesagt haben, Miss Owen, schließe ich, daß Sie es auch nicht wissen. Wie ist es mit Ihnen, Mr. Lansing?« »Keine blasse Ahnung«, erwiderte Lansing. »Unser Wirt beteuert ebenfalls, nichts zu wissen«, sagte der Pastor. » Er versichert, daß er sich nur um sein Lokal kümmert und keine Fragen stellt. Er wisse gar nicht, wen er fragen solle, behauptet er. Ich würde sagen, der Mann lügt.«
»Sie sind zu schnell mit Ihrem Urteil bei der Hand«, warf Sandra Carver, die Dichterin, ein. »Er hat ein offenes, ehrliches Gesicht, finde ich.« »Er sieht aus wie ein Schwein«, erklärte der Pastor. »Und er beherbergt die Sünde unter seinem Dach. Diese Männer dort mit ihrem Kartenspiel.«
»Sie haben mit mir zusammen einen Schnaps nach dem anderen getrunken«, knurrte der General.
»Trinken ist nicht Sündigen«, entgegnete der Pastor. »Die Bibel sagt, ein kleiner Schluck Wein ist gut für den Magen.« »Mein Liebster!« unterbrach ihn der General. »Was wir hier trinken, ist aber kein Wein.«
»Vielleicht sollten wir alle ein wenig ruhiger werden«, schlug Mary vor. »Dann sollten wir einmal vergleichen, was jeder von uns über die Lage weiß. Möglicherweise können wir so etwas herausbekommen. Wer sind wir, wie sind wir hierhergekommen, was denken wir über unsere Situation?« »Das ist der erste vernünftige Vorschlag, den ich heute abend höre«, stellte der Pastor fest. »Hat jemand einen Einwand dagegen, zu sagen, wer er ist?«
»Ich habe nichts dagegen«, murmelte Sandra Carver. Sie sprach so leise, daß die anderen genau auf ihre Worte achtgeben mußten. »Ich bin Diplompoetin am altantiken Athenäum und beherrsche vierzehn Sprachen. Ich schreibe oder singe aber nur in einer: in Frühgallisch, der ausdrucksvollsten Sprache der Welt. Wie ich hierhergelangt bin, begreife ich nicht. Ich habe ein Konzert besucht, ich wollte mir ein Orchester aus dem Land jenseits des Westmeeres anhören. Noch nie im Leben habe ich etwas vergleichbar kraftvoll Schöpferisches gehört. Mir war, als würde ich aus meinem Körper herausgehoben, als würde mein Geist an einen anderen Ort getragen. Nachdem ich wieder in meine leibliche Hülle zurückgekehrt war, fanden sich Körper und wandernder Geist plötzlich in einer pastoralen Landschaft von erstaunlicher Schönheit wieder. Ich entdeckte einen Pfad, ich bin ihm gefolgt, und.«
»Wann war das?« fragte der Pastor. »In welchem Jahr?« »Bitte? Ich verstehe Sie nicht.«
»Das Jahr? In welcher Zeiteinheit?«
»Im achtunddreißigsten Jahr der Dritten Renaissance.«
»Ach nein, das meine ich nicht. Ich rede vom Anno Domini, dem Jahr des Herrn.«
»Ja, natürlich, Jesus Christus.«
»Welchen Herrn meinen Sie? Ich kenne so viele Herren.« »Im wievielten Jahr seit Jesus geboren wurde?« »Jesus?«
»Diesen Namen habe ich noch nie gehört, mein Herr.« Der Pastor war offensichtlich einem Herzanfall nahe. Sein Gesicht war rot angelaufen. Er riß sich den Kragen auf und rang vergeblich nach Worten.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäuscht habe«, stammelte die Poetin. »Es geschah nicht mit Absicht; ich konnte ja nicht wissen.«
»Machen Sie sich keine Vorwürfe, meine Liebe«, sagte der General beruhigend. »Unser Herr Pastor erleidet gerade einen Kulturschock. Über kurz oder lang mag es auch anderen unter uns so ergehen. Ich beginne etwas von der Situation zu erahnen, in der wir uns befinden. Was mir durch den Kopf geht, halte ich für unglaublich, aber vielleicht werden wir uns damit abfinden müssen, daß es doch nicht absolut unmöglich ist.« »Sie wollen darauf hinaus«, erklärte Lansing, »daß wir alle aus unterschiedlichen Kulturen, womöglich sogar aus unterschiedlichen Welten kommen. Was die Welten betrifft, da bin ich mir noch nicht sicher.« Es überraschte ihn, sich selbst so sprechen zu hören. Er mußte an Andy Spaulding denken, der noch vor wenigen Stunden wilde Phantasien über alternative Welten entwickelt hatte. Lansing hatte dem Geplapper kaum zuhören können.
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