Es waren nur wenige Gäste im Ratskeller. Die meisten von ihnen hatten sich um einen Tisch in der Ecke versammelt. Der Mann hinter der Theke war in ein Gespräch mit zwei Studenten vertieft. Lansing wurde von niemandem beachtet, als er den Raum betrat.
Neben der Theke gab es eine Tür, genau wie es Jackson beschrieben hatte. Lansing durchquerte das Zimmer mit entschlossenen Schritten. Der Türknopf ließ sich leicht drehen. Lansing stieß die Tür auf, trat hindurch, schloß sie wieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen sie.
Eine einzelne, kahle Glühbirne hing von der Decke herab. Der Raum machte einen unbenutzten Eindruck. Vermutlich hatte er tatsächlich einmal als Abstellkammer gedient. Leere Limonade-kartons waren an einer Wand gestapelt, ein paar Aktenregale und ein alter Schreibtisch standen mitten im Zimmer. Die Möbel sahen aus, als hätte sie jemand hastig und ohne viel Nachdenken hier abgestellt.
In der hinteren Ecke stand der Spielautomat.
Lansing holte tief Luft. Bis jetzt stimmte alles, was Jackson erzählt hatte. Immerhin war es möglich, daß er über die Kammer und den Automaten die Wahrheit gesagt hatte, der Rest aber dennoch erlogen war. Da stand ein Automat genau an der beschriebenen Stelle. Das mußte nicht heißen, daß auch alles andere stimmte.
Das Licht war schwach. Lansing durchquerte die Kammer mit übertriebener Vorsicht. Er wollte auf keinen Fall mit dem Fuß an irgendein Hindernis stoßen und zu Boden gehen. Vor dem Automaten blieb er stehen. Der Kasten sah genauso aus wie ein ganz gewöhnlicher Geldautomat. Hunderte solcher Apparate konnte man in allen Ecken des Campus finden. Alle warteten sie auf Vierteldollars, die irgendwann im Wohltätigkeitsfonds landeten und dann den Armen und Bedürftigen im Lande zugeführt wurden.
Lansing griff in seine Hosentasche und suchte nach der passenden Münze. Er fand endlich einen Vierteldollar und schob ihn in den Einwurfschlitz des Automaten. Die Maschine verschluckte das Geld mit der gewohnten Gier. Während sie das tat, flackerten ihre Lichter auf. Sie beleuchteten die Walzen mit den bunten Symbolen, die daraufgedruckt waren. Der Automat kicherte leise. Ein vertrauliches, gedämpftes Glucksen, so als ob er mit Lansing ein fröhliches Geheimnis teilte. Lansing zog den Hebel nach unten - mit übertriebenem Kraftaufwand. Die Walzen begannen sich wie rasend zu drehen, bunte Lämpchen flackerten. Schließlich hielten die Walzen an, und es geschah - nichts. Genau wie bei einem ganz gewöhnlichen Spielautomaten, dachte Lansing. Sie sind alle gleich. Sie verschlucken dein Geld, dann lachen sie dich aus.
Da begann die Maschine zu sprechen.
»Was, mein Herr, wünschen Sie?« fragte sie.
»Äh... das weiß ich nicht genau«, stotterte Lansing. »Eigentlich habe ich gar keinen Wunsch. Ich wollte nur einmal sehen, ob es dich tatsächlich gibt.«
»Das ist schade«, sagte der Automat. »Ich habe vieles zu geben.
Sind Sie sicher, daß Sie nichts benötigen?«
»Wenn ich ein wenig Zeit zum Nachdenken hätte.«
»Das ist nicht möglich«, erwiderte der Automat. »Die Menschen kommen mit einer festen Absicht zu mir. Ich kann nicht zulassen, daß sie hier herumtrödeln.«
»Entschuldigung«, sagte Lansing. »Wie dem auch sei«, entgegnete der Kasten, »ich bin so konstruiert, daß ich Ihnen für Ihre Münze unbedingt etwas bieten muß. Irgend etwas muß ich Ihnen geben. Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen.« Und so erzählte der Kasten Lansing eine schmutzige Geschichte von sieben Männern und einer Frau, die auf eine einsame Insel verschlagen worden waren. Es war eine widerwärtige Erzählung, voller Brutalität und ekelhaften Obszönitäten, ohne irgendeine erkennbare Moral.
Als der Automat geendet hatte, schwieg Lansing voller Abscheu.
»Hat Ihnen meine Geschichte nicht gefallen?« fragte der Automat.
»Nein, nicht besonders«, antwortete Lansing »Hm, dann habe ich gepatzt«, stellte der Kasten fest. »Mir scheint, ich habe Sie falsch eingeschätzt. So darf ich Sie nicht gehen lassen. Für Ihr Geld müssen Sie etwas bekommen, das Sie für wertvoll erachten.«
Er gab einen hustenden Laut von sich, und aus seinem Innern fiel ein metallener Gegenstand in die Auswurföffnung. »Na los«, drängte der Automat. »Nun nehmen Sie ihn schon!« Lansing zog das metallene Ding aus der Öffnung. Es sah aus wie ein Hotelschlüssel. Eigentlich waren es zwei Schlüssel, die an einem bedruckten Plastikplättchen befestigt waren. Auf dem Plättchen standen eine Nummer und eine Adresse. »Ich begreife nicht.« sagte Lansing.
»Dann hören Sie mir zu. Achten Sie genau auf meine Worte! Hören Sie zu?«
Lansing wollte etwas erwidern, aber er geriet ins Stottern. Endlich versicherte er: »Ich höre zu.«
»Gut. Jetzt bitte gebannte Aufmerksamkeit! Sie begeben sich zu dieser Adresse. Wenn Sie während der normalen Geschäftszeiten dorthin gehen, wird die Eingangstür offen sein. Wenn Sie den Ort zu einer anderen Zeit aufsuchen, können Sie die Eingangstür mit dem größeren Schlüssel öffnen. Der kleinere Schlüssel gehört zu dem Zimmer mit der Nummer einhundertsechsunddreißig. Konnten Sie mir bis jetzt folgen?« Lansing schluckte. »Ja.«
»Wenn Sie die Tür von Zimmer einhundertsechsunddreißig öffnen, werden Sie ein Dutzend Spielautomaten sehen, die entlang einer Wand aufgereiht sind. Sie gehen zum fünften von links. Zum fünften. eins, zwei, drei, vier, fünf - und stecken einen Dollar hinein. Damit wird eine bestimmte Transaktion abgeschlossen. Wenn Sie das getan haben, gehen Sie zu Nummer sieben und stecken einen Dollar hinein...»«»Ich stecke also einen Dollar hinein«, sagte Lansing. »Soll ich auch den Hebel ziehen?«
»Natürlich betätigen Sie den Hebel. Haben Sie noch nie an einem Automaten gespielt?« »Doch, ich denke schon.«
»Wiederholen Sie noch einmal, was ich gesagt habe! Ich muß mich vergewissern.«
Lansing wiederholte die Anweisungen des Automaten. »Schön«, lobte der Kasten. »Versuchen Sie, das alles im Gedächtnis zu behalten. Ich würde vorschlagen, Sie gehen bald dorthin. Dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, daß Sie die Anweisungen vergessen. Sie werden zwei Silberdollar benötigen. Haben Sie zufällig welche bei sich?« »Nein, ganz sicher nicht.«
»Na gut«, sagte der Automat. »Hier, bitte sehr. Wir möchten Ihnen bei dem, worum wir Sie gebeten haben, keine Hindernisse in den Weg legen. Wir sind sehr darauf bedacht, daß Sie die Prozedur so genau wie möglich durchführen.« Etwas klimperte in der Öffnung des Kastens. »Nun, was ist?« fragte der Automat. »Warum stecken Sie sie nicht ein?«
Lansing beugte sich vor und zog die beiden Dollarmünzen heraus. Er ließ sie in die Hosentasche gleiten. »Sind Sie sicher, daß Sie alles behalten haben. Sie haben keine Fragen mehr?«
»Doch, eine Frage hätte ich schon: Was soll das Ganze?«
»Das kann ich Ihnen nicht genau spezifizieren«, erwiderte der Automat. »Damit würde ich gegen die Bestimmungen verstoßen. Aber ich kann Ihnen versichern, alles, was geschieht,
wird Ihnen zu außerordentlichem Vorteil gereichen.«
»Und wie habe ich mir das vorzustellen? Was gereicht mir zum Vorteil?«
»Das wäre alles, Professor Lansing. Mehr darf ich Ihnen nicht sagen.«
»Woher weißt du meinen Namen? Ich habe mich dir nicht vorgestellt.«
»Sie mußten sich nicht vorstellen«, erklärte die Maschine. »Ich kannte Sie schon vorher.«
Damit schaltete sich der Automat aus. Er verstummte, seine Lichter erloschen.
Lansing holte aus und versetzte dem Kasten einen Tritt. Einen Tritt, der nicht nur diesem einen Automaten galt, sondern auch all den anderen Kästen, die im Laufe der Jahre sein Geld verschluckt und ihn ausgelacht hatten.
Der Automat trat zurück und traf ihn am Fußknöchel. Lansing hatte nicht gesehen, wie der Apparat getreten hatte, aber er hatte es getan. Der Professor wich langsam zurück. Der Kasten war dunkel und stumm.
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