»Weder Sie noch ich können das entscheiden«, erwiderte sie. »Im Augenblick jedenfalls nicht. Deshalb schlage ich vor, wir gehen hinaus und suchen nach diesem hypothetischen Kontrollraum.«
Lansing erhob sich und reichte Mary die Hand, um ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Als sie stand, entzog sie ihm die Hand nicht, sondern ließ sie weiter in der seinen ruhen.
»Edward«, sagte sie. »Wir zwei haben eine Menge zusammen durchgemacht. Selbst in dieser kurzen Zeit.«
»Mir kommt sie gar nicht kurz vor«, sagte er. »Ich kann mich kaum an die Zeit ohne dich zurückerinnern.«
Er beugte sich über sie, um sie zu küssen. Sie umarmte ihn kurz, dann ging sie weiter.
Sie stiegen die Treppen zu der Gasse hinauf und begannen mit der Suche. Sie suchten bis zum Einbruch der Dämmerung, fanden aber keinen Kontrollraum.
Als sie ins Hauptquartier zurückkehrten, trafen sie dort Sandra und Jürgens, die das Abendbrot zubereiteten. Der General war nicht bei ihnen.
»Er ist allein losgezogen«, erklärte Sandra. »Wir haben ihn seither nicht gesehen.«
»Wir haben nichts entdeckt«, sagte Jürgens. »Wie sieht es bei Ihnen aus?«
»Wir wollen mit dem Geschäftlichen bis nach dem Abendbrot warten«, bat Mary. »Dann wird auch der General zurück sein.« Er traf eine halbe Stunde später ein und ließ sich schwer auf seinen zusammengerollten Schlafsack fallen. »Ich muß zugeben, ich bin müde«, sagte er. »Ich habe den größten Teil des Nordviertels durchgekämmt. Ich hatte eine sonderbare Vorahnung: Wenn überhaupt, dann müßte dort etwas zu finden sein. Ich habe absolut nichts entdeckt.« Sandra reichte ihm einen Teller mit Essen. »Guten Appetit«, sagte sie.
Der General nahm den Teller und begann zu essen, ohne auf die anderen zu warten. Gedankenlos stopfte er sich die Nahrung in den Mund. Er sieht müde aus, dachte Lansing. Müde und alt. Zum erstenmal bemerkte er, daß der General ein alter Mann war.
Nach der Mahlzeit kramte der General eine Flasche aus seinem Rucksack hervor und ließ sie kreisen. Als sie wieder bei, ihm ankam, nahm er einen tiefen Zug, verschloß sie und tätschelte sie zärtlich und gedankenverloren.
»Die zwei Tage sind um«, sagte er. »Die Zeitspanne, die sie mir zugebilligt haben. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht. Ich werde nicht versuchen, Sie länger hier festzuhalten. Ich weiß, daß Sie mit Lansing weiterziehen wollen, Mary. Wie steht es mit Ihnen beiden?« wandte er sich an Sandra und Jürgens. »Ich glaube, wir sollten uns Mary und Lansing anschließen«, antwortete Sandra. »Ich jedenfalls habe das vor. Die Stadt macht mir Angst.«
»Und was sagen Sie dazu?« fragte er Jürgens.
»Bei allem gehörigen Respekt«, sagte der Roboter »sehe ich keinen Sinn darin, hier länger zu verweilen.« »Was mich betrifft, so werde ich noch etwas bleiben«, entschied der General. »Später werde ich vielleicht zu Ihnen stoßen. Aber ich bin sicher, daß sich hier noch etwas verbirgt.« »Herr General«, sagte Lansing, »wir haben es heute nachmittag gefunden. Ich muß Sie aber warnen.«
Mit einem Satz war der General auf den Beinen. Die Flasche flog im hohen Bogen von seinem Schoß. Sie fiel auf den Boden, zerbrach aber nicht, sondern rollte ein Stück, bevor Lansing sie erwischte und aufhob.
»Sie haben es gefunden!« kreischte er. »Was ist es? Nun reden Sie schon.«
»General, setzen Sie sich!« sagte Lansing. Er sprach scharf, als weise er ein ungezogenes Kind zurecht.
Erstaunt über Lansings Ton ließ sich der General folgsam auf dem Schlafsack nieder. Lansing reichte ihm die Flasche. Er nahm sie und plazierte sie wieder auf seinem Schoß. »Und nun wollen wir alles in Ruhe besprechen«, sagte Mary. »Wir sollten uns genau überlegen, was wir tun wollen. Ich hatte Edward vorgeschlagen, unsere Entdeckung geheimzuhalten, aber er erinnerte mich an den Handel, den wir abgeschlossen hatten.«
»Aber warum?« rief der General. »Warum wollten Sie nichts sagen?«
»Weil das, was wir gefunden haben, sich unserem Verständnis entzieht. Wir kennen eine Funktion des Dinges, aber es gibt keine Möglichkeit, sie zu kontrollieren. Das Gerät ist gefährlich, man darf nicht mit ihm herumspielen. Wir dachten, irgendwo müßte ein Kontrollraum sein, haben aber keinen gefunden.« »Sie sind Ingenieurin«, sagte Jürgens. »Das macht Sie in dieser Hinsicht zu dem qualifiziertesten Mitglied der Gruppe. Warum erzählen Sie uns nicht einfach, was Sie gefunden haben?« »Willst du es nicht erzählen, Edward?« fragte sie. »Nein, es ist deine Aufgabe«, sagte Lansing.
Mary erzählte. Gebannt lauschten die anderen ihrem Bericht. Es gab ein paar Zwischenfragen, aber nicht viele. Nachdem sie geendet hatte, folgte eine lange Pause. Schließlich brach Jürgens das Schweigen. »Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind Sie der Überzeugung, daß die Menschen, die hier lebten, einen Vorstoß zu anderen Welten unternommen haben. Zu fernen Planeten, genauer gesagt, und nicht zu Alternativwelten.« »Daß es Alternativwelten gibt, ist ihnen vielleicht gar nicht bewußt gewesen«, sagte Lansing.
»Die Bewohner dieser Welt wollten von hier fort«, sagte Jürgens. »Und Sie meinen, die Apparatur, die Sie gefunden haben, und die Türen gehören zusammen, sind Teil desselben Forschungsprojektes?«
»So sieht es aus«, erwiderte Mary.
Der General meldete sich zu Wort. Er hatte sich so weit gefangen, daß er ruhig sprechen konnte. »Sie beide sind die einzigen, die das Ding gesehen haben. Ich bin der Ansicht, auch die übrigen sollten einen Blick darauf werfen.« »Ich wollte Sie nicht vom Gegenteil überzeugen«, sagte Mary. »Ich meine nur, wir sollten unser Vorgehen sehr genau überlegen. Sowohl Edward als auch ich sind übernommen worden. Einen kurzen Moment lang. Vielleicht war das nur ein Vorgeschmack auf das, was tatsächlich in der Maschine steckt.« »Und Sie haben nach einem Kontrollraum gesucht?« »Bis zum Einbruch der Dunkelheit«, sagte Lansing. »Ich kann mir gut vorstellen, daß der Kontrollraum im gleichen Gebäude untergebracht ist wie der Apparat«, sagte der General. »Daran haben wir natürlich auch gedacht. Aber es gibt dort keinen Raum. Der gesamte Platz wird von der Konstruktion selbst eingenommen. Anschließend haben wir uns überlegt, ob er in einem nahegelegenen Haus.«
»Das muß aber nicht notwendigerweise der Fall sein«, unterbrach Mary, »das ist mir inzwischen klargeworden. Der Kontrollraum kann sich überall in der Stadt befinden, überall auf dieser Welt.«
»Und Sie sagen, der Mechanismus der Maschine sei unverständlich? Sie haben keine Ahnung, wie er funktionieren könnte?«
»An der Apparatur ist kein einziges Teil, das mir bekannt vorkommt«, antwortete Mary. »Ich habe nichts gefunden, das auch nur in entferntester Analogie zu den auf meiner Welt verwendeten Maschinen stünde. Natürlich besteht die Möglichkeit, daß ich bei einer genaueren Untersuchung ein oberflächliches Verständnis der Funktionsweise gewinne. Die Sache ist nur, ich möchte nicht so nah an das Ding herangehen; ich möchte so wenig wie möglich damit zu tun haben. Edward und ich haben nicht die volle Wirkung mitbekommen, da bin ich sicher. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was geschehen könnte, wenn man weiter als wir hineingeht.« »Was mich an dieser Stadt am meisten ängstigt, ist ihre Flachheit«, sagte Sandra. »Ich meine Flachheit nicht im wörtlichen Sinne, sondern die kulturelle Plattheit, die dieser Ort repräsentiert. Hier offenbart sich eine geistige Armut, die geradezu unvorstellbar ist. Es gibt keine Kirchen oder andere Kultstätten, keine Bibliotheken, Kunstgalerien oder Tonhallen. Es kommt mir unfaßlich vor, daß jemals ein Volk gelebt haben kann, so bar jeglicher Sensibilität. Ein Volk, das damit zufrieden war, ein derart plattes, ungeistiges Dasein zu fristen.« »Vielleicht war es ein Volk, das von einer einzigen Idee beherrscht wurde«, schlug Lansing vor, »eine Gemeinschaft, deren Forschen und Streben nur in eine einzige Richtung ging. Das ist für uns natürlich schwer zu verstehen, aber wir wissen nichts über die Antriebskräfte dieser Menschen. Ich könnte mir vorstellen, wenn es ein starkes gemeinsames Motiv gibt.« »Diese Diskussion führt zu nichts«, brummte der General. »Wir werden uns das Ding morgen früh ansehen, oder vielmehr ich werde das tun. Sie wollen ja sicherlich weiterziehen.«
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