„Angenommen, mit seinem Lebenserhaltungssystem stimmt etwas nicht“, unterbrach ihn der Lieutenant. „Irgend etwas, für dessen ordnungsgemäßes Funktionieren Gravitation oder künstliche Gravitation in der Form von Zentrifugalkraft benötigt wird. Wenn wir die Fehlfunktionen des Lebenserhaltungssystems beheben könnten, dann.“
„Aber warum?“ fragte Conway plötzlich, als bei ihm eine vage Idee, die er im Hinterkopf hatte, allmählich Gestalt annahm. „Ich meine, wie kommen wir zu der Annahme, daß irgend etwas nicht richtig funktioniert.?“ Er hielt kurz inne und sagte dann: „Wir werden hier drinnen die Ventile von ein paar Sauerstoffbehältern öffnen, um die Luft dieses Wesens aufzufrischen — ich meine damit natürlich das Wasser. Immerhin wäre das schon mal eine Erste-Hilfe-Maßnahme, bis wir in der Lage sind, etwas Konstruktiveres zu tun. Dann müssen wir zur Fähre zurück, mir kommen nämlich langsam einige sonderbare Ideen zu diesem Astronauten, die ich gerne testen möchte.“
Sie kehrten zum Kontrollraum zurück, ohne ihre Anzüge abzulegen. Prilicla erwartete die beiden bereits und berichtete ihnen, daß sich der Zustand des Patienten allem Anschein nach ein wenig gebessert hatte, obwohl er immer noch bewußtlos war. Der Empath fügte hinzu, der Grund dafür sei, daß sich das Wesen womöglich eine schwere Verletzung zugezogen hatte, im fortgeschrittenen Stadium unterernährt war oder kurz vor dem Erstickungstod gestanden hatte.
Conway erzählte den anderen von seiner Idee, und während er sprach, machte er eine Skizze von dem Alienschiff.
„Wenn das hier die Rotationsachse ist“, erklärte er, als die Zeichnung vollständig war, „und das die Entfernung zwischen der Achse und der Position des Piloten und dies hier die Rotationsgeschwindigkeit, können Sie mir dann sagen, wie nah die relative Schwerkraft, die in der Umgebung des Piloten herrscht, an die vom Fleischkloß herankommt?“
„Eine Minute“, bat Harrison, als er Conways Stift nahm und zu kritzeln begann. Ein paar Minuten später — er hatte sich etwas mehr Zeit genommen, um seine Berechnungen zweimal zu überprüfen — verkündete er: „Sehr nah, Doktor. Genaugenommen sind die Schwerkraftverhältnisse sogar identisch.“
„Und das bedeutet“, folgerte Conway nachdenklich, „daß wir es wahrscheinlich mit einem Wesen zu tun haben, das aus irgendeinem Grund, der physiologisch sicherlich einleuchtend ist, ohne Schwerkraft nicht leben kann. Ein Wesen also, für das Schwerelosigkeit absolut tödlich ist.“
„Entschuldigen Sie, Doktor“, schaltete sich die Stimme des Funkers ein. „Ich hab Major O’Mara für Sie auf Schirm zwei.“
Conway hatte plötzlich das Gefühl, daß die Idee, die in seinem Hinterkopf Gestalt angenommen hatte, genauso schnell zerplatzte wie sie ihm gekommen. Rotation, dachte er wütend, versuchte jedoch, den Gedanken zu verdrängen. Zentrifugalkraft, ein kompliziertes Räderwerk… Aber schon füllte der kantige Quadratschädel des Chefpsychologen den Bildschirm, und es war ihm nunmehr unmöglich, an etwas anderes zu denken.
O’Maras Stimme klang freundlich — ein sehr schlechtes Zeichen. „Ihre jüngsten Aktivitäten sind wirklich sehr eindrucksvoll gewesen, Doktor“, begann er. „Besonders, als sie die Gestalt einer künstlichen Meteoritentätigkeit in Form herabfallender Werkzeuge und Bauteile angenommen haben. Doch ich bin nur um Ihren Patienten besorgt. Das sind wir übrigens alle — sogar und ganz besonders der Captain der Descartes, der vor kurzem zum Fleischkloß zurückgekehrt ist.
Die Descartes ist nämlich in arge Schwierigkeiten geraten. Drei Flugkörper mit Nuklearsprengköpfen wurden auf das Schiff abgeschossen. Einer davon kam vom Kurs ab und hat dabei ein großes Gebiet in einem Ozean des Fleischkloßes verseucht, und der zweite kam so nahe heran, daß der Captain vollen Notschub geben mußte, um ihm auszuweichen. Er meint, eine Kommunikation oder gar einen freundlichen Kontakt mit den Planetenbewohnern herzustellen sei unter diesen Umständen unmöglich. Die Einheimischen glauben offenbar, ihr Astronaut sei zu irgendeinem grauenerregenden Zweck entführt worden. Die einzige Möglichkeit, die Situation zu retten, wäre also die Rückkehr des Wesens in einem glücklichen und gesunden Zustand.
Doktor Conway, Ihr Mund steht offen! Entweder sagen Sie etwas, oder Sie machen ihn wieder zu!“
„Entschuldigung, Sir“, entgegnete Conway geistesabwesend. „Ich hab gerade nachgedacht. Ich würde gerne etwas versuchen, und vielleicht könnten Sie mir dabei behilflich sein, indem Sie mir Colonel Skemptons Unterstützung verschaffen. Wir verschwenden hier draußen nur unsere Zeit, das hab ich jetzt eingesehen, und ich möchte das Raumfahrzeug in das Hospital bringen. Natürlich immer noch rotierend — jedenfalls zuerst. Die Frachtschleuse dreißig ist groß genug, um es aufzunehmen, und sie liegt nahe genug an den wassergefüllten Korridoren, die zur Krankenstation führen, die wir für den Patienten bereits vorbereiten. Doch ich fürchte, der Colonel wird mir die Erlaubnis verwehren, das Alienschiff ins Hospital zu holen.“
Trotz der Argumente Conways und der durch O’Mara gewährten Unterstützung wehrte sich Colonel Skempton tatsächlich gegen dieses Vorhaben mit Händen und Füßen, und er antwortete gerade zum drittenmal mit einem entschlossenen und unmißverständlichen Nein.
„Ich bin mir der Dringlichkeit dieser Angelegenheit zwar vollkommen bewußt“, sagte er, „und ich sehe auch deren Wichtigkeit für unsere zukünftigen Hoffnungen auf Handelsbeziehungen mit dem Fleischkloß vollkommen ein, und ich hab auch Verständnis für Ihre technischen Probleme, aber Sie werden ein chemisch betriebenes Raumfahrzeug mit funktionierenden Bremsraketen nicht, ich wiederhole, nicht in dieses Hospital bringen! Wenn diese Raketen nämlich versehentlich gezündet werden, sprengen sie uns möglicherweise ein Loch in die Wand, das einen tödlichen Druckabfall auf einem Dutzend Ebenen verursachen würde — oder aber das Fahrzeug schießt womöglich wie eine Bombe in den Zentralcomputer oder in das Gravitationskontrollzentrum!“
„Entschuldigen Sie kurz, Colonel“, erwiderte Conway etwas ungehalten. Dann wandte er sich zu Lieutenant Harrison um und fragte ihn: „Können Sie von der Fähre aus diese Bremsraketen zünden oder die Leitungen abtrennen?“
„Die Leitungen könnte ich wahrscheinlich nicht abtrennen, ohne die Raketen versehentlich auszulösen und mich selbst zu verkohlen“, antwortete Harrison nachdenklich, „aber ich könnte eine Relaisschaltung installieren, die. Ja, wir können die Dinger vom Kontrollraum aus zünden.“
„Auf geht’s, Lieutenant!“ entgegnete Conway erleichtert und drehte sich wieder zum Bild von Skempton. „Ich nehme an, Sir, Sie haben nichts dagegen einzuwenden, das Schiff ins Hospital zu lassen, sobald die Bremsraketen abgefeuert worden sind, oder? Und ich hoffe, Sie werden uns auch die Spezialausrüstung liefern, die wir in der Frachtschleuse und auf der Chalder-Station benötigen.“
„Der Wartungsoffizier auf der betreffenden Ebene erhält von mir umgehend die Anweisung, mit Ihnen zusammenzuarbeiten“, erwiderte Skempton knapp. „Viel Glück, Doktor. Ende.“
Während Harrison die Relaisschaltung installierte, überwachte Prilicla die Emotionen des Patienten. Conway und Mannon berechneten die ungefähre Größe und das annähernde Gewicht des Wesens, wobei ihnen als Grundlage die Schiffsmaße und Conways kurzer optischer Eindruck des Aliens dienten. Diese Informationen würde man dringend benötigen, sobald der Spezialtransporter und der sich drehende OP bereitstanden.
„Ich bin übrigens immer noch da, Doktor, und ich hab auch noch eine Frage“, meldete sich O’Mara auf seine typisch unwirsche Weise erneut zu Wort. „Ihre Ansicht, daß dieses Wesen entweder natürliche oder künstliche Schwerkraft zum Überleben benötigt, kann ich ja eventuell noch nachvollziehen, aber es auf ein kompliziertes Karussell zu schnallen und.“
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