„So schlecht ist das Schiff nun auch wieder nicht, Doktor“, meinte der Lieutenant. „In den Pioniertagen unseres eigenen Raumflugzeitalters — also noch lange bevor es durch Schwerkraftregulierung und Hyperantrieb praktisch keine Gewichtsprobleme mehr gab — mußten die Raumfahrzeuge so leicht wie möglich gebaut werden, und zwar so leicht, daß sogar die Treibstoffbehälter häufig zur Versteifung der Konstruktion mitbenutzt wurden.“
„Trotzdem hab ich ein Gefühl, als würde ich auf hauchdünnem Eis liegen“, entgegnete Conway. „Ich kann darunter sogar Wasser oder Treibstoff gluckern hören. Wenn Sie das Heck überprüfen, gehe ich nach vorne.“
Conway und Harrison nahmen gleich an mehreren Stellen von dem ausströmenden Dampf Proben, klopften und pochten das Schiff ab und horchten sorgsam mit empfindlichen Richtmikrofonen auf Geräusche aus dem Schiffsinnern. Doch vom Insassen kam keine Antwort, und Prilicla berichtete den beiden, der Pilot sei sich ihrer Anwesenheit nicht bewußt. Die einzigen Lebenszeichen von innen waren mechanischer Natur. Nach den Geräuschen zu urteilen, die sie neben dem Gluckern von Flüssigkeit hören konnten, schien das Schiff eine ungewöhnlich große Menge an Maschinen zu beherbergen. Und als sie sich auf die äußeren Enden des Schiffs zubewegten, kam durch die Zentrifugalkraft eine weitere Komplikation hinzu — je weiter sie sich dem Bug oder Heck näherten, desto größer wurde die Kraft, die sie von dem rotierenden Schiff fortzuschleudern drohte.
Conways Körper war mit dem Kopf zum Schiffsbug gerichtet, so daß sich die Zentrifugalkraft mit zirka minus einem Ge auf ihn auswirkte. Das war, jedenfalls bis jetzt, nicht einmal sonderlich unangenehm — zwar verspürte er ein unbehagliches Gefühl, als ob ihm die Augen heraustreten würden, doch konnte er nach wie vor gut sehen. Das größte Unbehagen bereitete ihm der Anblick Priliclas, der Ambulanzfähre und der gewaltigen Konstruktion des Orbit Hospitals, das aus dieser Entfernung wie ein röhrenförmiger Weihnachtsbaum wirkte, weil sie allesamt um den nicht wirklich bewegungslosen Schiffsbug herumzurasen schienen. Sobald er die Augen schloß, verringerte sich zwar das Schwindelgefühl umgehend, aber logischerweise konnte er dann nicht mehr sehen, was er tat.
Je weiter er sich nach vorne begab, desto mehr Kraft brauchten die Magneten, um ihn am glatten Metall des Schiffsrumpfs zu halten. Aber er konnte die Kraft nur geringfügig steigern, da sich die dünne Außenhaut unter den Magneten auszubeulen begann, und er fürchtete, den Rumpf aufzureißen. Ein paar Meter vor ihm befand sich ein kurzes, hervorstehendes Rohr, das vielleicht eine Art Periskop darstellte, und er schob sich vorsichtig darauf zu. Plötzlich rutschte er nach vorne ab, wobei er instinktiv nach dem Rohr griff.
Das vorspringende Rohr in seinen Händen bog sich erschreckend zurück, und als Conway bemerkte, daß an den Befestigungsnähten Dampf austrat, ließ er es sofort wieder los. Unmittelbar darauf spürte er, daß er wie von einer Steinschleuder in den freien Raum katapultiert wurde.
„Wo, zum Teufel, sind Sie, Doktor?“ fragte Mannon besorgt. „Bei der letzten Drehung waren Sie noch da, und jetzt sind Sie einfach weg.“
„Keine Ahnung, Doktor“, antwortete Conway wütend. Dann zündete er eins der Notleuchtsignale an seinem Anzug und fragte: „Können Sie mich jetzt sehen?“
Als er spürte, wie sich die Traktorstrahlen auf ihn richteten und ihn zur Fähre zurückzuziehen begannen, fuhr er fort: „Was wir machen, ist völlig sinnlos. Das Ganze sollte eine simple Rettungsaktion werden, aber wir brauchen einfach viel zu lange dafür. Lieutenant Harrison und Doktor Prilicla, kommen Sie bitte zum Schiff zurück. Wir werden es auf eine andere Art versuchen.“
Während sie ihre Vorgehensweise besprachen, hatte Conway das Raumfahrzeug aus jedem Winkel fotografieren lassen und das Labor auf der Fähre mit einer ausführlichen Analyse der Proben betraut, die er und Harrison zuvor gesammelt hatten. Sie suchten noch immer nach einem geeigneten Verfahren, den Patienten zu bergen, als sie mehrere Stunden später die Abzüge und vollständigen Analysen erhielten.
Laut Laborbericht lief aus sämtlichen Lecks des Alienschiffs kein Treibstoff aus, sondern Wasser, das ausschließlich zum Atmen zu dienen schien, da es nicht die üblichen tierischen und pflanzlichen Organismen enthielt, die man in den Meeresproben vom Fleischkloß gefunden hatte. Verglichen mit diesen Meeresproben war der CO2-Gehalt zudem relativ hoch — das Wasser war, kurz gesagt, besorgniserregend verbraucht.
Eine genaue Untersuchung der Fotos durch Harrison, der sich auf dem Gebiet der frühzeitlichen Raumfahrt recht gut auskannte, deutete darauf hin, daß das überstehende Heck einen Hitzeschild enthielt, an dem mit Feststoff betriebene Bremsraketen angebracht waren. Für Harrison war klar, daß der lange zylindrische Flugkörper keine dritte Stufe mehr hatte, sondern nur wenig mehr als eine Lebenserhaltungsausrüstung enthielt, die, ihrer Größe nach zu urteilen, ziemlich primitiv sein mußte. Nachdem er dies geäußert hatte, korrigierte er sich noch ein wenig zugunsten einer etwas freundlicheren Darstellung und fügte hinzu, daß es sauerstoffatmenden Astronauten möglich sei, komprimierte Luft mit sich zu führen, wohingegen Wasseratmer ihr Wasser ja nicht komprimieren könnten.
Die Spitze der Schiffsnase enthielt kleine Klappen, hinter denen sich wahrscheinlich die Landefallschirme befanden. Ungefähr anderthalb Meter dahinter befand sich eine weitere Klappe, die zirka vierzig Zentimeter breit und zwei Meter hoch war. Das stellte für die Aus- und Einstiegsluke eines Piloten zwar eine seltsame Form dar, doch Harrison war davon überzeugt, daß es sich nur um eine solche Öffnung handeln konnte. Wie er hinzufügte, mache es der geringe Entwicklungsgrad der Schiffskonstruktion zudem unwahrscheinlich, daß es sich bei dieser Klappe um die Außenluke einer Luftschleuse handelte, sondern mit ziemlicher Sicherheit nur um einen direkten Zugang zur Kommandokapsel.
Er warnte Conway davor, diese Luke zu öffnen, weil durch die Zentrifugalkraft innerhalb weniger Sekunden das Wasser aus dem Schiff geschleudert werden würde, oder, um ganz genau zu sein, die Hälfte des Wassers. Durch dieselbe Kraft würde nämlich die andere Hälfte des Wassers im Heckbereich verbleiben, doch befand sich der Astronaut höchstwahrscheinlich in der Schiffsnase.
Conway gähnte heftig, rieb sich die Augen und sagte erschöpft: „Ich muß den Patienten sehen, um eine Vorstellung von seinen Verletzungen zu bekommen und die Unterbringung vorzubereiten, Lieutenant. Angenommen, ich würde mich mittschiffs in der Nähe des Rotationszentrum hineinschneiden. Eine beträchtliche Menge Wasser ist ja bereits ausgelaufen, und der Rest wird von der Zentrifugalkraft in Bug und Heck gedrückt. Deshalb dürfte die Schiffsmitte so gut wie leer sein und der durch mein Eindringen verursachte zusätzliche Wasserverlust nur geringfügig ausfallen.“
„Das stimmt zwar, Doktor“, entgegnete Harrison, „aber die Schiffskonstruktion könnte so beschaffen sein, daß Sie dabei versehentlich eine Schweißnaht der wassergefüllten Teile beschädigen. Es besteht sogar die Gefahr, daß die Zentrifugalkraft die gesamte Konstruktion auseinanderreißt, so zerbrechlich ist das Ding.“
Conway schüttelte den Kopf. „Wenn wir den Mittelteil mit einem breiten Band aus dünnem Metall umschließen, das eine mit einem Scharnier versehene luftdichte Luke hat, die groß genug für einen Menschen ist, dann können wir die Ränder des Bands mit schnelltrocknendem Klebstoff luftdicht an das Schiff kleben und eine provisorische Schleuse über der Luke aufbauen — natürlich ohne zu schweißen, denn die Hitze würde die Außenhaut beschädigen. Das würde mir ermöglichen hineinzugelangen, ohne.“
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