„Das wäre auf einem rotierenden Schiff aber eine äußerst heikle Angelegenheit“, gab Mannon zu bedenken. Harrison nickte zustimmend, dann sagte er: „Sicher, aber wir könnten ein leichtes, röhrenförmiges. Gerüst errichten, das wir mit Magneten am Rumpf verankern. Von dort aus könnten wir das Band verkleben und die Luftschleuse aufbauen. Das klingt komplizierter als es ist und würde nur relativ wenig Zeit in Anspruch nehmen.“
Prilicla äußerte sich nicht. Cinrussker hatten einen notorischen Mangel an physischem Durchhaltevermögen, und der kleine Empath hatte sich mit seinen Beinen, deren Enden mit Saugnäpfen versehen waren, an die Decke gehängt und war eingeschlafen.
Mannon, der Lieutenant und Conway bestellten beim Hospital Material und fachmännische Hilfe und begannen, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen, als der Funker der Ambulanzfähre meldete: „Ich hab Major O’Mara für Sie auf Schirm zwei.“
„Werter Doktor Conway“, sagte der Chefpsychologe, als er sehen und gesehen werden konnte, „zu mir sind Gerüchte durchgedrungen, daß Sie versuchen — und es wahrscheinlich schon erfolgreich bewerkstelligt haben —, einen neuen Langsamkeitsrekord in der Disziplin „Bergung eines Patienten von einem Schiff und dessen Einlieferung in ein Hospital“ aufzustellen. Ich brauche Sie nicht an die Dringlichkeit und Wichtigkeit dieser Angelegenheit zu erinnern, tue es aber trotzdem. Also, Conway, diese Angelegenheit ist dringend und wichtig. Ende.“
„Sie selbstherrlicher und aufgeblasener Seelenklempner.“, begann Conway wütend eine Schimpftirade an das bereits verblassende Bild, beherrschte dann jedoch schnell seine Gefühle, weil sie Prilicla selbst im Schlaf zucken ließen.
„Vielleicht“, sagte der Lieutenant, wobei er Mannon grübelnd anblickte, „ist mein Bein noch nicht wieder richtig verheilt, seit ich es mir während dieses überstürzten Starts vom Fleischkloß gebrochen hab. Ein freundlicher, hilfsbereiter Arzt würde sich möglicherweise entschließen, mich wieder auf Ebene zweihundertdreiundachtzig, Station vier zurückzuschicken.“
„Derselbe freundliche und hilfsbereite Arzt würde möglicherweise zu dem Schluß kommen“, entgegnete Mannon trocken, „eine gewisse terrestrische Schwester auf Ebene zweihundertdreiundachtzig, Station vier, könnte etwas mit ihrem Rückfall zu tun haben. Er würde Sie wahrscheinlich in diesem Fall auf. nun, sagen wir mal, auf Ebene zweihunderteinundvierzig, Station sieben, verlegen. Es gibt nämlich nichts Besseres, als einen terrestrischen Mann von einer vieräugigen Schwester mit viel zu vielen Beinen bemuttern zu lassen, um ihn von seinen fleischlichen Gelüsten zu heilen.“
Conway lachte. „Beachten Sie ihn einfach nicht, Harrison. Gelegentlich sind Doktor Mannons Gedanken noch schmutziger als die von O’Mara. Im Moment gibt es nichts mehr, was wir tun könnten, meinen Herren, und es ist ein langer harter Tag gewesen. Lassen Sie uns lieber ins Bett gehen, bevor wir noch im Stehen einschlafen.“
Ein weiterer Tag verging, ohne bedeutende Fortschritte zu erzielen. Wegen der gebotenen Eile versuchte das für den Aufbau des Gerüsts zuständige Team, die Arbeit zu beschleunigen, mit dem Erfolg, daß es Werkzeuge und Gerüstteile verlor und mehrmals Mitarbeiter über Bord gingen. Sie konnten zwar ganz einfach mit Traktorstrahlen wieder zurückgeholt werden, doch die Werkzeuge und Gerüstteile waren nicht mit Leuchtsignalen ausgestattet und normalerweise unwiederbringlich verloren. Fluchend beschwerten sich die Monteure immer wieder darüber, solch heikle Gerüstbauarbeiten auf einem Weltraumkarussell verrichten zu müssen, machten sich dann aber wieder an die Arbeit.
Man kam zwar nur langsam, dafür aber zielstrebig voran. Die Menge der von Werkzeugen und Raumstiefeln im Rumpf des Raumfahrzeugs erzeugten Beulen und Furchen war nicht mehr zu zählen, und aus dem Schiff entwich immer mehr Wasserdampf.
Gegen Priliclas ausdrücklichen Wunsch versuchte Conway erneut, die Drehgeschwindigkeit des Schiffs zu verringern, um so den Verlauf der Arbeiten zu beschleunigen. Diesmal gab es beim Insassen keine Anzeichen von Panik, wie der Empath berichtete, weil er bereits zu bewußtlos war, um sich überhaupt noch Sorgen zu machen. Prilicla fügte hinzu, eigentlich könne er die emotionale Ausstrahlung des Patienten nur einem anderen Empathen beschreiben, doch sei er fest davon überzeugt, daß der Patient sehr bald sterben müsse, wenn die volle Drehgeschwindigkeit nicht bald wiederhergestellt würde.
Am nächsten Tag war das Gerüst fertig aufgebaut, und man begann mit der Arbeit, das Metallband anzubringen, mit dem die provisorische Luftschleuse verbunden werden sollte. Während die Schleusenkonstruktion errichtet wurde, befestigten Conway und Harrison Sicherheitsleinen am Gerüst und untersuchten den Schiffskörper. Der Lieutenant fand dabei eine Menge über die Steuerungsdüsen und die zu den Bremsraketen verlaufenden Schaltungen heraus, während Conway nur verblüfft auf die lange und recht schmale Ausstiegsluke starrte oder hin und wieder durch das winzige Glasbullauge guckte, das lediglich einen Durchmesser von wenigen Zentimetern hatte und hinter dem er nur wenig mehr als einen Rolladen erkennen konnte, der sich schnell öffnete und wieder schloß. Erst am folgenden Tag waren Conway und der Lieutenant in der Lage, das Alienschiff zu betreten.
Der Insasse wäre zwar noch am Leben, teilte Prilicla ihnen mit, doch sei er mittlerweile bereits in eine Art Koma gefallen.
Wie erwartet, befand sich im Mittelteil des Raumfahrzeugs kaum noch Wasser. Die Zentrifugalkraft hatte bewirkt, daß es sich in den äußeren Schiffsenden gesammelt hatte. Conways und Harrisons Scheinwerferlicht wurde von einem blendenden Nebel aus feinem Wasserdunst reflektiert, der, wie eine rasche Untersuchung ergab, durch die Funktionsweise eines mechanischen Systems aus Zahnrad- und Kettenantrieben entfacht wurde, das über die gesamte Schiffslänge verlief.
Sehr vorsichtig, um sich nicht mit einer Hand zwischen Ketten und Zahnrädern zu verfangen oder versehentlich mit einem Stiefel durch den zerbrechlichen Rumpf in den Weltraum zu treten, tastete sich Conway nach vorn, während sich der Lieutenant nach achtern bewegte. Auf diese Weise wollten sie sicherstellen, daß der Schiffsschwerpunkt so nahe wie möglich bei der Rotationsachse blieb, denn jede jetzt erzeugte Unausgeglichenheit würde das Gerüst herunterschütteln und wahrscheinlich Löcher in die Schiffswand reißen.
„Ich bin mir zwar darüber im klaren, daß eine Wasserwiederaufbereitungsanlage eine umfangreichere mechanische Ausrüstung erfordert als ein Luftwiederaufbereitungssystem“, sagte Conway zu Harrison und an die Adresse der Fähre, „aber müßte das Schiff nicht trotzdem verhältnismäßig mehr elektrische als mechanische Geräte an Bord haben? Ich komme nur ein paar Meter voran, und alles was ich sehe, sind Zahnräder und Kettenantriebe. Außerdem verursacht das Zirkulationssystem eine starke Strömung, einen regelrechten Sog, und ich laufe Gefahr, in das Räderwerk gezogen zu werden.“
Der feine, ständig gegenwärtige Sprühnebel erschwerte die Sicht enorm, doch einen Augenblick lang erhaschte Conway einen flüchtigen Blick von etwas, das nicht zur Maschinerie gehören konnte — irgend etwas Braunes und Ringelförmiges, aus dessen Körper kurze Stoppeln oder angedeutete Tentakel hervorragten, jedenfalls war es irgend etwas Organisches. Das Wesen war von allen Seiten durch sich drehende Maschinen eingeengt und schien selbst ebenfalls zu rotieren, doch war von seinem Körper so wenig sichtbar, daß Conway sich nicht sicher sein konnte.
„Ich kann jetzt den Insassen sehen“, berichtete Conway aufgeregt. „Allerdings nicht gut genug, um ihn klassifizieren zu können. Er scheint keinen Druckanzug zu tragen. Aber wir kommen an ihn nicht heran, ohne das Schiff auseinanderzureißen und ihn dabei zu töten.“ Er fluchte und fuhr dann wütend fort: „Das ist doch alles völlig verrückt! Normalerweise würde ich jetzt den Patienten ruhigstellen, dann mit ihm rauskommen, ihn auf die Station transportieren lassen und ihn dort behandeln. Aber dieses verdammte Ding kann nicht ruhiggestellt werden, ohne.“
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