Hellishomar ist in telepathischer Hinsicht taubstumm, deshalb können ihm die Eltern nicht mitteilen, was sie beabsichtigen oder daß sie ihm die Sünde, die er zu begehen versucht hat, verziehen haben“, fuhr Lioren fort. „Auch können sie ihm nicht sagen, daß sie wegen seines Kummers Mitleid mit ihm haben und einfach ihr Bestes tun, die Qualen eines geistig Behinderten zu lindern, indem sie ihm Erinnerungen an das verschaffen, was für einen lebenden Groalterri eine einzigartige Erfahrung ist, nämlich den Heimatplaneten zu verlassen. Doch nach meiner Überzeugung ist der Patient um einiges intelligenter und hat eine viel strengere religiöse Selbstdisziplin, als den Eltern klar ist.
Hellishomar versucht, das Geschenk der Eltern zurückzuweisen.
Als er eingeliefert wurde, hat er keinen Widerstand geleistet, und bei der ersten Untersuchung und Behandlung hat er bloß die einfachen Bitten von Seldal und den Schwestern erfüllt“, setzte Lioren seine Ausführungen schnell fort. „Fragen zu seiner Person wollte er weder zulassen noch beantworten, und immer wieder hielt er für lange Zeit die Augen geschlossen. Erst als ich dem Patienten von mir erzählt habe und er feststellte, daß auch ich eine schwere Sünde begangen hatte und darüber immer noch verzweifelt gewesen bin und unter Schuldgefühlen gelitten habe, hat Hellishomar vorbehaltlos von sich gesprochen. Doch selbst dann mußte ich ihm noch versprechen, bestimmte persönliche Auskünfte nicht an andere weiterzugeben, und als ich versucht habe, über die Mitgliedspezies und die Planeten der Föderation zu sprechen, hat er große Unruhe an den Tag gelegt. Auf mein Angebot hin, ihm zur Veranschaulichung Bildmaterial zu zeigen, ist er sehr aufgeregt und besorgt geworden.
Ich verlange, oder, besser gesagt, schlage mit allem Nachdruck vor, seine Kontakte mit anderen Spezies weiterhin auf ein Minimum zu beschränken und ihm alle Nachrichten, die nichts mit der bevorstehenden Operation zu tun haben, vorzuenthalten, falls notwendig, indem man seinen Translator abschaltet und ihm die Augen bedeckt, wenn bislang unbekannte Lebensformen auf der.“
„Wieso?“ erkundigte sich O'Mara in scharfem Ton.
„Weil Hellishomar ein Sünder ist und sich selbst dieses ganz kurzen Einblicks in den Himmel für unwürdig hält“, antwortete Lioren. „Für den hochintelligenten und suchenden Verstand, der in dem großen und schweren Körper der Groalterri eingeschlossen ist, bedeutet der Tod den Himmel und insbesondere die Flucht aus der Gefangenschaft des Heimatplaneten. Das Orbit Hospital und all die verschiedenen Lebensformen, die sich in ihm aufhalten, sind ein Teil dieses wohlverdienten Lebens nach dem Tode.“
O'Mara entblößte die Zähne. „Dieses Hospital ist ja schon als so manches bezeichnet worden, aber bestimmt noch nie als Himmel. Wie ich es sehe, steht Hellishomar vor einem theologischen Problem, bei dessen Lösung wir ihm behilflich sein müssen. Daß Sie ein Problem haben, sehe ich allerdings immer noch nicht. Was genau macht Ihnen zu schaffen?“
„Unsicherheit und Angst“, antwortete Lioren. „Ich weiß nicht, was die Eltern beabsichtigt haben, als sie mit dem Verstand des Captains vom Schiff in der Umlaufbahn in Kontakt getreten sind. Diese telepathische Verbindung muß ihnen eine Menge über die Föderation verraten haben, doch die religiösen Begleiterscheinungen haben sie anscheinend nicht beachtet, denn sie haben Hellishomar ja hierherbringen lassen. Vielleicht ist die Theologie der erwachsenen Groalterri subtiler und liberaler als die Form, die sie den weniger fähigen Köpfen der Kleinen beibringen müssen, oder ihnen ist einfach nicht klar gewesen, was sie tun. Womöglich haben sie, wie schon gesagt, geglaubt, Hellishomar liege aufgrund der selbst beigebrachten Wunden im Sterben, und wollten ihn dieses kleine Stückchen Himmel erleben lassen, weil sie sich unsicher waren, welches Los einen geistig Behinderten im Leben nach dem Tod erwartete, und weil sie eine Spezies mit viel Mitgefühl sind. Oder vielleicht erwarten sie von uns, den Patienten von allen Gebrechen zu kurieren und ihn wieder zurückzuschicken, damit er seinen Platz unter den Eltern einnehmen kann. Doch was geschieht, wenn wir nur seine körperlichen Verletzungen heilen?
Es ist die Antwort auf diese Frage, die nur angst macht“, schloß Lioren, „und das ist das Problem, das mich derart in Schrecken versetzt, daß ich mich fürchte, es ohne fremde Hilfe zu lösen.“
„Es versetzt Sie in Schrecken? Wie denn?“ fragte O'Mara in der ruhigen, geistesabwesenden Art von jemandem, der die Antwort bereits selbst herausgefunden hatte.
„Auf vielen Planeten gibt es Beispiele für Propheten und Lehrmeister, die aus der Wildnis kommen, um einen Glauben zu verbreiten, der an der alten Ordnung rüttelt“, antwortete Lioren. „Auf Groalter gibt es keine Gewalt und keine Möglichkeit, einen religiösen Ketzer zum Schweigen zu bringen, der gegen die Worte der Älteren taub ist. Der geistig behinderte Hellishomar ist vielleicht von seinen neuen Kenntnissen so erfüllt, daß er sich nicht, wie von ihm erwartet wird, der freiwilligen Isolation unterwerfen kann. Statt dessen könnte er den unreifen Köpfen der jüngeren Kleinen das Wissen vermitteln, daß es im Himmel riesige Maschinen für Interstellarflüge und andere technologische Wunderwerke gibt, und daß das Universum von vielen verschiedenen kurzlebigen Spezies bewohnt wird, die häufig eine geringere Intelligenz und zweifellos ein von weniger moralischen Zwängen geprägtes Verhalten als die Groalterri aufweisen. Folglich könnten die Kleinen versuchen, durch die Nutzung ihrer begrenzten Technologie und der Ressourcen ihres Heimatplaneten Maschinen zu bauen, damit ein paar von ihnen die Möglichkeit bekommen, den Planeten zu verlassen, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen, und dazu nicht erst auf ihr Lebensende zu warten brauchen. Die vielen, die nicht wegfliegen könnten, würden dagegen unter den Kleinen Unzufriedenheit stiften und die Ordnung ins Wanken bringen. Schlimmer noch, sie würden Hellishomars Lehren möglicherweise mit hinüber ins Erwachsenenalter nehmen, und das empfindliche physikalische und philosophische Gleichgewicht, das den Planeten und die Zivilisation der Groalterri viele tausend Jahre lang erhalten hat, wäre damit zerstört.
Die Cromsaggi habe ich bereits vernichtet“, schloß Lioren in kläglichem Ton, „und ich fürchte, in den Köpfen der fortschrittlichsten Zivilisation, die seit der Gründung der Föderation entdeckt worden ist, verursache ich eine noch größere Zerstörung.“
O'Mara setzte die Hände gegeneinander und blickte einen Augenblick lang auf sie hinunter, bevor er sprach. „Wir haben tatsächlich ein Problem, Lioren“, räumte er ein, wobei er das erste Wort sehr stark betonte. „Die einfache Lösung wäre, den Patienten zu verlieren, Hellishomar hier im Hospital sterben zu lassen, natürlich zum größeren Nutzen seiner Spezies. Doch das ist eine Lösung, die uns moralisch zweifelhaft erscheint, ein Relikt aus der Zeit vor der Entwicklung von Intelligenz. Wenn wir uns dieser vermeintlichen Lösung widersetzen, können wir uns der Zustimmung des gesamten Hospitalpersonals, des Monitorkorps, der Föderation und der groalterrischen Eltern sicher sein. Deshalb müssen wir für den Patienten alles tun, was in unseren Kräften steht, und hoffen, daß die Eltern ebenfalls gewußt haben, was sie taten, als sie Hellishomar zu uns geschickt haben. Einverstanden?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Chefpsychologe fort: „Der Vorschlag, daß Sie der einzige Verbindungsmann zum Patienten bleiben sollten, ist begründet. Während der Operation wird Hellishomar von allen anderen optischen und sprachlichen Verbindungen abgeschnitten werden, und ich selbst werde mich ganz bestimmt nicht an ihn wenden. Zumindest nicht direkt.
Sie haben hervorragende Arbeit geleistet, Lioren“, lobte ihn O'Mara in ungewohnter Manier. „Doch Ihnen fehlt meine Berufserfahrung oder — wie es Cha Thrat bestimmt ausdrücken würde — meine Kenntnisse über die hintergründigeren Beschwörungen. Sie wissen längst nicht alles, Lioren, auch wenn Sie sich manchmal so verhalten. Beispielsweise gibt es mehrere bewährte Methoden, die Verständigung und die freundschaftlichen Beziehungen zum Patienten einer fremden Spezies wiederherzustellen, der aus emotionalen Gründen den Kontakt abgebrochen hat.“
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