„Einverstanden“, stimmte O'Mara leise zu, und einen Augenblick lang starrte er Lioren in einer Weise an, durch die sich dem Tarlaner die Frage aufdrängte, ob der Chefpsychologe über telepathische Fähigkeiten verfügte. „Sie haben noch etwas zu sagen?“
„Ich möchte keineswegs einen Vorgesetzten in Verlegenheit bringen oder vielleicht sogar erzürnen, indem ich das Folgende als Frage formuliere“, sagte Lioren vorsichtig, „aber mir ist der Verdacht gekommen, daß Sie, da Ihnen bekannt gewesen ist, welche Schulungsbänder der Chefarzt im Kopf gespeichert hatte, geahnt oder bereits gewußt haben, wie es sich mit Seldal verhält, und daß es sich bei dem Auftrag nur um einen Eignungstest für mich gehandelt hat. Dabei hat die Nebenabsicht — oder vielleicht auch der Hauptzweck — darin bestanden zu versuchen, mich dazu zu bringen, hinauszugehen und andere Lebewesen zu treffen, damit ich mich in Gedanken nicht ausschließlich mit meiner eigenen furchtbaren Schuld beschäftigte. Ich habe die Vorfälle auf Cromsag nicht vergessen und werde dazu auch niemals imstande sein. Aber Ihr Plan hat funktioniert, und dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar. Insbesondere möchte ich Ihnen danken, daß Sie mir klargemacht haben, daß es außer mir noch andere gegeben hat, die Kummer gehabt haben, Wesen wie Khone, Hellishomar und Mannon, der.“
„Mannon ist ein Freund von mir“, unterbrach ihn O'Mara. „Sein Gesundheitszustand hat sich nicht geändert, er könnte jeden Augenblick sterben, und trotzdem läuft er mit diesem G-Gürtel herum wie ein. Verdammt, das ist wirklich und wahrhaftig ein Wunder! Ich würde gern wissen, worüber Sie miteinander gesprochen haben. Was Sie mir auch verraten, es wird kein einziges Wort davon in diese psychologische Akte kommen, und ich werde mit niemandem darüber sprechen, aber ich will es wissen. Der Tod ereilt alle, und einige von uns haben unglücklicherweise zuviel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich werde Mannons Vertrauen nicht brechen. Schließlich ist er ein alter Freund von mir.“
Erneut stellte ihm der Chefpsychologe die bewußte Frage, doch Liorens augenblickliche Verärgerung wich rasch einem Gefühl des Mitleids, als er merkte, daß der Chefpsychologe bei dem Gedanken an Mannons Tod und den Verfall von Geist und Körper, der ihm vorausging, tief bekümmert war. Seine Antwort mußte genauso lauten wie vorher, doch diesmal glaubte Lioren, sie hoffnungsvoller klingen lassen zu können.
„Der ehemalige Diagnostiker ist nicht mehr beunruhigt“, sagte er behutsam. „Ich bin mir sicher, wenn Sie als ein alter Freund Mannons ihm die Fragen selbst stellen, würde er Ihnen alles sagen, was Sie wissen wollen. Aber ich kann das nicht.“
Der Chefpsychologe blickte nach unten auf den Schreibtisch, als schämte er sich der vorübergehenden Schwäche, die er gezeigt hatte, und sah dann wieder auf.
„Also gut“, sagte er in forschem Ton. „Wenn Sie nicht reden wollen, dann wollen Sie eben nicht. In der Zwischenzeit wird sich die Abteilung mit einem zweiten — vorsichtig ausgedrückt — aufsässigen Carmody herumschlagen müssen. Wegen Ihres Besuchs auf der Station der Cromsaggi werde ich keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen. Schließen Sie beim Hinausgehen die Tür hinter sich. Aber leise.“
Lioren kehrte erleichtert, aber äußerst verwirrt an seinen Schreibtisch zurück und kam zu dem Schluß, daß er die Verwirrung verringern mußte; ansonsten würde die Qualität seines Berichts darunter leiden. Doch allen Suchens in den Computerdateien zum Trotz blieb die Information, die er haben wollte, unauffindbar, und er fing an, auf die Tastatur einzuhämmern, als wäre sie ein Todfeind.
Am anderen Ende des Vorzimmers machte sich Braithwaite die Atemwege mit einem Geräusch frei, das, wie Lioren wußte, Mitgefühl bedeutete. „Was ist los? Probleme?“ „Ich bin mir nicht ganz sicher“, antwortete Lioren. „O'Mara hat zwar gesagt, er werde keine disziplinarischen Maßnahmen ergreifen, aber er hat mich mit einem Ausdruck bezeichnet. Wer oder was ist ein Carmody, und wo kann ich die entsprechende Auskunft finden?“
Braithwaite fuhr herum, sah ihn an und antwortete: „Dort werden Sie die nicht finden. Lieutenant Carmodys Akte ist nach seinem Unfall gelöscht worden. Er ist zwar vor meiner Zeit in dieser Abteilung gewesen, aber ein bißchen weiß ich trotzdem über ihn. Er ist auf eigenen Wunsch vom Stützpunkt des Monitorkorps auf Orligia ans Orbit Hospital gekommen und hat es geschafft, sich zwölf Jahre lang in dieser Abteilung zu halten, obwohl er sich ständig mit O'Mara gestritten hat. Als ein schwerverletzter Pilot beim Anflug aufs Hospital die Kontrolle über sein Schiff verloren hat und mit ihm durch die Außenhaut gekracht ist, hat Carmody die Rettungsmannschaft begleitet und versucht, einen Überlebenden zu beruhigen, den er für ein Besatzungsmitglied hielt. Dieser Überlebende hat sich dann jedoch als ein riesengroßes, vor Angst rasend gewordenes und nichtintelligentes Schiffstier herausgestellt, von dem Carmody sofort angegriffen wurde. Da der Lieutenant sehr alt, schwach und gebrechlich war, hat er seine Verletzungen nicht überlebt.
In seiner Zeit am Hospital hat sich Lieutenant Carmody beim gesamten Personal und bei allen Langzeitpatienten sehr beliebt gemacht und sich große Achtung erworben“, schloß Braithwaite. „Seine Stelle ist nicht wieder besetzt worden, bis heute nicht.“
Noch verwirrter sagte Lioren: „Mir ist völlig unklar, was Ihre Ausführungen bedeuten sollen. Ich bin weder alt noch schwach oder besonders gebrechlich. Außerdem bin ich meines Rangs im Monitorkorps enthoben worden, und meine Streitgespräche mit O'Mara drehen sich nur darum, nicht das Vertrauen von Patienten zu brechen.“
„Ich weiß“, fiel ihm Braithwaite ins Wort und entblößte die Zähne. „Ihr Vorgänger hat das als ̃̄„Beichtgeheimnis“ bezeichnet. Und der Rang spielt überhaupt keine Rolle. Carmody hat seinen nie ausgenutzt, und die meisten Leute hier haben nicht einmal seinen Namen in den Mund genommen. Sie haben ihn einfach ̃̄„Padre“ genannt.“