„Ich danke Ihnen, Seldal und Lesk-Murog, und natürlich auch allen anderen Mitarbeitern“, sagte Conway, wobei er sich nach allen Richtungen umblickte, um das gesamte Operations- und technische Hilfspersonal mit einzubeziehen. „Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Und insbesondere Sie, Lioren, indem Sie dafür gesorgt haben, daß sich der Patient nicht bewegt hat, als es am notwendigsten war, und weil Sie die Wachstumseigenschaften des Hautstechers herausgefunden haben und uns rechtzeitig vor den Auswirkungen von Licht und Luft gewarnt haben. Das war eine hervorragende Leistung. Ich persönlich halte Ihre Begabungen in der psychologischen Abteilung für vergeudet.“
„Ich nicht“, widersprach O'Mara heftig. Dann fuhr der Chefpsychologe, als schämte er sich des Kompliments, das er Lioren gemacht hatte, fort: „Der Auszubildende ist aufsässig, hat einen Hang zur Heimlichtuerei und besitzt die ärgerliche Neigung, selbst.“
Lioren.
Alle lauschten O'Mara, und niemand schien etwas gehört zu haben. Unwillkürlich streckte Lioren die Hand nach seinem Kommunikator aus, um auf den vertraulichen Kanal zu schalten, wobei er sich verzweifelt fragte, welche tröstenden Worte er um alles in der Welt für dieses riesige Wesen finden könnte, das abermals alle Hoffnung verloren haben mußte. Dann hielt er plötzlich mit dem Finger auf dem Schalter inne, als ihm eine großartige und erfreuliche Erkenntnis kam.
Sein Name war zwar gerufen, aber nicht ausgesprochen worden.
Wieder handelte es sich um ein vertrauliches Gespräch, doch diesmal ohne das Jucken tief im Gehirn, das dem telepathischen Kontakt mit dem Beschützer des Ungeborenen vorausgegangen war. Die Antworten wurden schon gegeben, noch bevor die Fragen geäußert werden konnten, Hellishomars beruhigende Versicherungen vertrieben Liorens Sorgen, sobald sie in ihm aufstiegen, und die Nervenverbindungen zwischen Liorens Gehirn und den Zungenmuskeln wurden vollkommen überflüssig. Es war, als wäre ein System zum Austausch von Nachrichten, die bislang mühsam in Steintafeln gemeißelt worden waren, durch die gesprochene Sprache ersetzt worden, nur ging der Gedankenaustausch mit Hellishomar noch sehr viel schneller vonstatten.
Hellishomar, der Messerheiler, ehemals der Fehlerhafte, der Schwachsinnige, der telepathisch Taube, gehörte nicht mehr zu den Kleinen und war geheilt.
Eine klare, warme Woge der Dankbarkeit erfüllte ihn, die nur Lioren sehen und spüren konnte, und mit ihr erhielt der Tarlaner Kenntnisse, die unvollständig und vereinfacht waren, um seiner relativ primitiven Denkungsart keinen Schaden zuzufügen, und die er mit niemandem teilen durfte. Diejenigen, die zu der einzigartigen und wunderbaren Heilung des geistig behinderten Groalterris beigetragen hatten, sollten nicht mit Wissen belohnt werden, das ihre eigenen jungen Gehirne lahmlegen würde. Hellishomar war mit dem Verstand jedes denkenden Wesens im Orbit Hospital und auf den Schiffen, die es umkreisten, in Verbindung getreten und wußte, daß es so war.
Bei denjenigen, die zum Gelingen der Operation beigetragen hatten, wollte er sich einzeln und in mündlicher Form bedanken. Er würde ihnen mitteilen, daß es ihm gutging, in seinen Denkvorgängen bereits eine Wendung zum Besseren eingetreten war und er es kaum erwarten konnte, auf Groalter zurückzukehren, wo seine Genesung durch die größere körperliche Bewegungsfreiheit, die ihm das Orbit Hospital nicht bieten konnte, gefördert werden dürfte.
All das traf zwar zu, war aber nicht die ganze Wahrheit. Sie durften nicht erfahren, daß Hellishomar das Hospital schnell verlassen mußte, weil die Verlockung dortzubleiben und die Gedanken, das Verhalten und die Philosophien der abertausend Wesen zu erforschen, die zur Arbeit, zu Besuch oder zur Behandlung in dieses gewaltige Hospital kamen, fast unwiderstehlich war. Denn Lioren hatte recht gehabt, als er O'Mara erklärt hatte, daß das Universum hinter der Atmosphäre für die plumpen und an ihren Planeten geketteten Groalterri das Jenseits darstellte, für dessen Erkundung sie die gesamte Ewigkeit benötigen würden. Und das Orbit Hospital war für sie ein besonders faszinierender kleiner Teil des Himmels, der sie erwartete.
Damals war Liorens Besorgnis wegen der möglichen Auswirkungen von Hellishomars außerplanetarischen Erlebnissen auf die Zivilisation der übrigen Groalterri berechtigt gewesen. Doch jetzt kehrte Hellishomar nicht als ein Kleiner auf seinen Heimatplaneten zurück, dem es beschieden war, für den Rest seines Lebens ein telepathischer Taubstummer zu bleiben und durch ein ständig beeinträchtigtes Gehirn ein Krüppel zu sein. Statt dessen kam er im Vollbesitz seiner wiederhergestellten Kräfte zurück, als ein fast erwachsener Groalterri, der einzig und allein den Eltern von seinem wundersamen Erlebnis erzählen wollte. Wie diese auf die neuen Kenntnisse reagieren würden, über die er nunmehr verfügte, wußte er zwar nicht, doch waren die Eltern alt und sehr weise, und der Beweis, daß der Himmel tatsächlich so wunderbar war und sämtliche Vorstellungen gänzlich übertraf, und auch die Tatsache, daß ein kleiner Teil des Universums von kurzlebigen Wesen mit primitivem Verstand und fortschrittlicher Moral bevölkert war, dürfte den Glauben der Eltern wahrscheinlich stärken und sie veranlassen, sich noch angestrengter um die Vollkommenheit von Geist und Seele zu bemühen, die vor dem Sterben unbedingt erforderlich war.
Dem Monitorkorps und dem Personal des Hospitals, das ihn wieder gesund gemacht hatte, schuldete Hellishomar großen Dank, genau wie dem Tarlaner, der geredet und argumentiert und seinen Verstand eingesetzt hatte, um die Einwilligung des Patienten zur Operation zu bekommen. Noch größeren Dank schuldeten ihnen die übrigen Groalterri, doch revanchieren konnte sich weder Hellishomar noch seine Spezies. Der Föderation würde der vollständige Kontakt mit den Groalterri nicht gestattet werden, und auch Lioren konnte keine Antworten auf die beiden Fragen erhalten, die ihm am meisten auf der Zunge brannten.
Bei all seinen Kontakten zu Patienten hatte es sich Lioren nie gestattet, ihre Überzeugungen in nichtmateriellen Fragen zu beeinflussen, wie eigenartig oder albern sie ihm im Licht seiner eigenen größeren Kenntnisse und Erfahrungen auch vorgekommen sein mochten. Er hatte sich stets geweigert, ihnen in ihre Überzeugungen hineinzureden, obwohl er selbst nicht glaubte, an irgend etwas zu glauben. Unter diesen Umständen war Liorens Verhalten moralisch einwandfrei gewesen, und Hellishomar konnte ihm diesbezüglich nur nacheifern. Er durfte seinen tarlanischen Freund nicht in den Genuß des fortschrittlichen groalterrischen philosophischen und theologischen Denkens kommen lassen, indem er ihm sagte, was er glauben sollte. Und eine Antwort auf Liorens zweite Frage war überflüssig, weil der Tarlaner im Begriff stand, die Entscheidung ganz allein zu treffen und etwas zu tun, das seinem Wesen vollkommen fremd war.
Durch die stark gedrängte Methode des Gedankenaustauschs und durch Antworten, die erfolgten, bevor die Fragen vollständig formuliert waren, wurde Lioren immer verwirrter.
Ich schäme mich, Sie an die Schuld zu erinnern, in der Sie bei mir stehen, und Sie zu bitten, einen kleinen Teil davon zu begleichen, dachte Lioren. Immer wenn Sie mit meinem Verstand in Berührung treten, ahne ich ein unermeßliches Wissen, einen riesigen Bereich der Klarheit, den Sie vor mir verbergen. Wenn Sie mich unterweisen könnten, würde ich zum Glauben finden. Warum wollen Sie mir nicht aufgrund Ihrer umfangreicheren Kenntnisse die Wahrheit über Gott mitteilen?
Sie haben sich durch eigene Anstrengungen ein großes Wissen erworben, antwortete Hellishomar. Das haben Sie eingesetzt, um die inneren Schmerzen vieler Lebewesen zu lindern, mein früheres, zurückgebliebenes Selbst eingeschlossen, doch Sie sind noch nicht bereit zu glauben. Die Frage ist bereits beantwortet worden.
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