„Leider gibt es auch für ein solches Verhalten Beispiele, doch wenn die Lehre gut ist, überlebt sie den Lehrmeister“, gab Lioren zu bedenken. „Und außerdem sind die Gogleskaner im Grunde eine gutmütige Spezies. Deshalb sollte die Lehrerin weder Angst haben noch verzweifelt sein.“
Da Khone nichts darauf antwortete, fuhr Lioren fort: „Es ist eine Binsenweisheit, daß ein Patient in jedem Krankenhaus stets auf andere stößt, die sich in noch schlechterer Verfassung befinden als er selbst, und aus dieser Erkenntnis ein wenig Trost zu schöpfen pflegt. Das gleiche gilt auch für notleidende Planeten. Folglich irrt sich die Ärztin auch, wenn sie glaubt, einzig und allein Goglesk sei vom Schicksal — oder welche Macht sie sonst dafür verantwortlich hält — verflucht.
Da gibt es zum Beispiel die Cromsaggi“, fuhr Lioren fort, wobei er trotz der tumultartig wachgerufenen Erinnerungen, die durch das letzte Wort ausgelöst worden waren, einen ruhigen Ton beibehielt, „deren Fluch es war, ständig krank zu sein und fortwährend Krieg zu führen, weil Zweikämpfe die einzige Behandlung gegen ihre Krankheit gewesen sind. Und dann gibt es die Beschützer, die in jeder Sekunde ihres Lebens als Erwachsene kämpfen, jagen und gedankenlos töten. Im Vergleich mit diesen Wesen erscheinen die seit langem ausgestorbenen Raubtiere von Goglesk geradezu als zahm. Dennoch leben in diesen furchtbaren organischen Tötungsmaschinen — nur allzu kurz — die telepathischen Ungeborenen, die sanftmütig, feinfühlig und in jeder Hinsicht zivilisiert sind. Das Problem der Cromsaggi, das sich im wesentlichen um die innere Sekretion gedreht hat, hat Diagnostiker Thornnastor gelöst, so daß die wenigen Überlebenden dieser Spezies nun nicht mehr dazu verurteilt sind, widerwillig einen endlosen Krieg zu führen. Diagnostiker Conway hat dafür gesorgt, die Beschützer der Ungeborenen aus der Falle zu befreien, die ihnen die Evolution gestellt hat, doch alle glauben, daß die Schwierigkeiten der Gogleskaner noch einfacher zu beheben wären.“
„Diese Probleme sind bereits alle erörtert worden“, schnitt ihm Khone das Wort ab, deren pfeifende Sprechweise beim Reden in eine immer höhere Tonlage geriet. „Auch wenn die Lösungen komplex sind, so beziehen sie sich doch auf chirurgische oder medizinische Umstände, die körperlich behandelt werden können. Auf Goglesk stellte sich die Situation aber anders dar, denn das dortige Problem läßt sich nicht auf irgendwelche physische Weise beheben. Der wichtigste Bestandteil des genetischen Erbguts hat es der Spezies nämlich erst ermöglicht, seit den Zeiten vor der Entwicklung von Intelligenz zu überleben, und dieser Teil kann nicht einfach zerstört werden. Das Unheil, das die FOKTs zur Selbstzerstörung und in die selbst auferlegte Einsamkeit treibt, war schon immer da und wird auch immer da sein. Auf Goglesk hat es nie einen Gott gegeben, sondern nur den Teufel.“
„Der Auszubildende möchte wiederholt darauf hinweisen, daß sich die Ärztin möglicherweise irrt“, sagte Lioren. „Aus Furcht durch seine Unkenntnis auf dem Gebiet des religiösen Glaubens der Gogleskaner Anstoß zu erregen, zögert er, da dieser Glaube vielleicht von der.“
„Momentan erregt der Tarlaner nur Ungeduld“, unterbrach ihn Khone, „aber Anstoß wird die Gogleskanerin nicht nehmen.“
Einen Moment lang versuchte Lioren verzweifelt, sich an die Informationen zu erinnern, die er sich vor kurzem über den Bibliothekscomputer beschafft hatte, und sie zu ordnen. „In der gesamten Föderation wird allgemein gelehrt und geglaubt, daß es dort, wo das Böse ist, auch das Gute gibt und ohne einen Gott kein Teufel existieren kann. Dieser Gott wird für das allwissende und allmächtige, aber auch mitleidsvolle höchste Wesen und den Schöpfer aller Dinge gehalten, und man stellt ihn sich als unsichtbar, jedoch allgegenwärtig vor. Wenn sich also auf Goglesk nur der Teufel zeigt, bedeutet das nicht zwangsläufig, daß kein Gott da ist; denn alle Glaubensrichtungen — egal, von welcher Spezies sie vertreten werden — stimmen darin überein, daß man nach Gott zuallererst in sich selbst suchen muß.
Die Gogleskaner kämpfen schon gegen ihren Teufel, seit sie Intelligenz entwickelt haben“, fuhr Lioren fort. „Manchmal haben sie verloren, doch in letzter Zeit haben sie häufiger kleine Siege errungen. Es könnte sein, daß es einen einzigen Teufel gibt und viele, die ihren Gott, ohne es zu wissen, in sich tragen.“
„Genau das hat Conway auch erzählt“, sagte Khone. „Aber der Diagnostiker tritt für eine moderne Medizin ein und empfiehlt eine strengere Schulung in den geistigen Disziplinen. Ist Goglesks Wohltäter unfähig, an Gott oder unseren Teufel oder an irgendeine andere Form unkörperlicher Macht zu glauben?“
„Vielleicht“, antwortete Lioren. „Aber egal, an was er glaubt, an der Art seiner Hilfe ändert das nichts.“
Khone schwieg so lange, daß sich Lioren schon fragte, ob das Gespräch nun vorbei sei. Er hatte das starke Gefühl, die Gogleskanerin wollte etwas sagen, und als sie dies schließlich tatsächlich tat, waren ihre Worte mehr als eine Überraschung für ihn.
„Wenn der Tarlaner von seinem eigenen Glauben erzählte, wäre das für die gogleskanische Ärztin eine zusätzliche Beruhigung“, sagte Khone.
„Der Tarlaner kennt viele verschiedene Glaubensrichtungen, die sowohl von seiner eigenen Spezies als auch von denen anderer Planeten vertreten werden, doch diese Kenntnisse hat er erst vor kurzem erworben, und sie sind lückenhaft und vielleicht sogar falsch“, begann Lioren behutsam. „Zudem hat er in der Geschichte der verschiedenen Religionen herausgefunden, daß es sich bei derartigen Überzeugungen, wenn an ihnen festgehalten wird, um reine Glaubensfragen handelt, die durch eine logische Beweisführung nicht verändert werden können. Ist der Glaube sehr stark, kann die Diskussion anderer Glaubensrichtungen Anstoß erregen. Der Tarlaner möchte niemanden verletzen und hat nicht das Recht, den Glauben anderer in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder gar in Frage zu stellen. Aus diesen Gründen würde er es vorziehen, wenn die Gogleskanerin den Anfang machte, indem sie ihren Glauben beschreibt.“
Von Anfang an hatte Lioren das Gefühl gehabt, daß Khone etwas sehr bedrückte, auch wenn ihm die genaue Art ihres Problems immer noch unklar war. Da er keine Ahnung hatte, worum es sich drehte, konnte er natürlich auch keine Ratschläge erteilen.
„Der Tarlaner verhält sich vorsichtig und ausweichend“, stellte Khone fest.
„Da hat die Gogleskanerin recht“, stimmte ihr Lioren zu.
Es trat eine kurze Stille ein, und dann fuhr Khone fort: „Na gut. Die Gogleskanerin fürchtet sich und ist verzweifelt. Außerdem ist sie über den Teufel böse, der in den Köpfen der Gogleskaner lebt, sie pausenlos quält und sie in einem Zustand gefangenhält, der an Barbarei grenzt. Ihr wäre es lieber, nicht von den seelischen Krücken zu sprechen, durch die sich ihre Artgenossen trösten und sich selbst Mut machen, da sie als Ärztin die Wirksamkeit nichtmaterieller Heilmittel bezweifelt. Sie fragt nochmals: An welche Art Gott glaubt der Tarlaner?
Handelt es sich um einen großen, allwissenden und allmächtigen Schöpfer, der Leid und Unrecht zuläßt oder sich gar nicht darum kümmert?“ fragte Khone weiter, bevor Lioren antworten konnte. „Ist es ein Gott, der einige wenige Spezies mit unverdientem Unglück überhäuft, während er die meisten mit Frieden und Zufriedenheit segnet? Hat dieser Gott einsichtige oder sogar göttliche Gründe, solche schrecklichen Ereignisse wie die Vernichtung der Bevölkerung von Cromsag oder die Falle der Evolution, die die Beschützer der Ungeborenen gefangenhält, oder die furchtbare Plage, die er über die Gogleskaner verhängt hat, zuzulassen? Kann irgendeine in der Vergangenheit begangene Sünde so schwer sein, daß sie eine derartige Bestrafung verdient? Verfügt dieser Gott über Intelligenz, und hat er für ein solch offensichtlich dummes und unsittliches Verhalten moralische Gründe, und würde der Tarlaner sie bitte erklären?“
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