„Das liegt daran, daß die vorhandenen Informationen spärlich und bisher zu spekulativ sind, um sie in die medizinische Bibliothek aufzunehmen“, erklärte ihm Prilicla. „Aber beruhigen Sie sich bitte, mein Freund. Die wachsende Besorgnis, die Sie empfinden, läßt darauf schließen, daß Sie Angst haben, andere könnten etwas von Ihrem Privatvorhaben erfahren. Ich versichere Ihnen, das wird meinerseits nicht ohne Ihre vorherige Erlaubnis geschehen. Aha, Sie fühlen sich bereits besser und ich mich natürlich auch. Jetzt werde ich Ihnen das wenige erzählen, das bekannt ist.“
Der scheinbar endlose Spaghettistrang verschwand, und der Teller war bereits in den Rückgabeschlitz gewandert, als der Cinrussker federleicht auf dem Tisch landete.
„Fliegen regt die Verdauung an“, sagte er. „Zunächst einmal sind Telepathie und Empathie zwei grundlegend verschiedene Fähigkeiten, mein Freund, obwohl ein Empath hin und wieder den Eindruck eines Telepathen erwecken kann, wenn die emotionale Ausstrahlung seines Gegenübers durch Äußerungen und Verhaltensweisen des betreffenden Wesens untermauert wird und der Empath selbst über einiges Hintergrundwissen verfügt. Im Gegensatz zur Telepathie handelt es sich bei der Empathie um keine seltene Fähigkeit. Die meisten intelligenten Spezies besitzen sie bis zu einem gewissen Grad, sonst hätten sie sich nie bis zur Zivilisation weiterentwickeln können. Viele glauben, über telepathische Fähigkeiten hätten zunächst alle Spezies verfügt, und erst mit der Entwicklung der genaueren gesprochenen und visuell reproduzierbaren Sprache seien diese Fähigkeiten in Vergessenheit geraten oder verkümmert. Uneingeschränkte Telepathie ist selten, und der telepathische Kontakt zwischen verschiedenen Spezies kommt so gut wie nie vor. Haben Sie schon einmal Erfahrung mit solch einer geistigen Verbindung gemacht?“
„Davon habe ich jedenfalls bislang noch nie etwas gemerkt“, antwortete Lioren.
„Gut, wenn dies nämlich der Fall gewesen wäre, hätten Sie bestimmt etwas davon gemerkt“, versicherte ihm der Empath.
Wie Lioren Priliclas weiteren Ausführungen entnehmen konnte, war uneingeschränkte Telepathie normalerweise nur zwischen Mitgliedern derselben Spezies möglich. Versuchte ein Telepath mit einem Nichttelepathen in Verbindung zu treten, hätte man die Stimulation der beim letzteren seit langem schlummernden Fähigkeit als Versuch eines Nachrichtenaustauschs zwischen zwei organischen Sendern und Empfängern beschreiben können, die schlichtweg nicht zusammenpaßten. Am Anfang waren die subjektiven Eindrücke des Nichttelepathen alles andere als angenehm.
Momentan befanden sich Vertreter dreier telepathischer Spezies im Hospital, die allesamt zu den Patienten zählten. Die Lebensform namens ̃̄„Telfi“ gehörte zur physiologischen Klassifikation VTXM. Bei ihr handelte es sich um eine Spezies mit käferähnlichem Körper, die sich durch die direkte Umwandlung harter Strahlung ernährte und bei der die Artgenossen ihre Gehirne zu einem Gruppenverstand zusammenschlossen. Obwohl die einzelnen VTXMs ziemlich dumm waren, verfügten die zu einer Einheit, der sogenannten Gestalt, zusammengeschlossenen Individuen über eine hohe Intelligenz. Den extrem heißen Metabolismus dieser Spezies eingehend zu untersuchen, bedeutete, den Tod durch Strahlenschäden zu riskieren.
Der Zugang zu den übrigen telepathischen Lebensformen war eingeschränkt. Bei ihnen handelte es sich um die gogleskanische Ärztin Khone und ihren jüngsten Nachkommen sowie um zwei Beschützer von Ungeborenen, die sich alle zur medizinischen und psychologischen Untersuchung durch Diagnostiker Conway, Chefpsychologe O'Mara und Prilicla selbst am Orbit Hospital aufhielten.
„Conway hat nicht nur chirurgische Erfahrungen mit diesen beiden Lebensformen gesammelt, sondern ist auch erfolgreich mit ihnen in Kontakt getreten, obwohl dieses Ereignis noch nicht lange genug zurückliegt und zu extrem verlaufen ist, um bereits Eingang in die Literatur gefunden zu haben“, fuhr der Empath fort. „Auch Ihre Kollegin Cha Thrat ist schon mit Khone in Berührung gekommen und hat ihr geholfen, das Kind zur Welt zu bringen. Sie würden sich Zeit und Mühe sparen, wenn Sie sich einfach mit diesen Wesen unterhalten oder darum bitten würden, daß Ihnen die relevanten medizinischen Aufzeichnungen zugänglich gemacht werden. Tut mir leid, mein Freund. Durch die Stärke Ihrer emotionalen Ausstrahlung ist mir klar, daß mein Vorschlag für Sie keine Hilfe gewesen ist.“
Prilicla zitterte, als würden sein zerbrechlich wirkender Körper und die bleistiftdünnen Beine von einem kräftigen Wind durchgeschüttelt, den nur er wahrnehmen konnte. Doch in Wirklichkeit handelte es sich um einen Gefühlssturm, den Lioren ausgelöst hatte, und deshalb bemühte sich der Tarlaner, seine Gefühle zu beherrschen, bis der Körper des Empathen schließlich wieder zur Ruhe gekommen war.
„Ich bin es, der sich entschuldigen muß, Ihnen Unbehagen bereitet zu haben“, sagte Lioren. „Sie haben völlig recht; ich habe triftige persönliche Gründe, die anderen Mitarbeiter meiner Abteilung nicht in diese Sache hineinzuziehen, zumindest so lange nicht, bis ich genügend weiß, um mit ihnen zu sprechen, ohne ihre Zeit unnötig in Anspruch zu nehmen. Aber ich würde für mein Leben gern die medizinischen Aufzeichnungen des Diagnostikers lesen und die Patienten besuchen, die Sie erwähnt haben.“
„Ihre Neugier kann ich zwar spüren, mein Freund“, sagte Prilicla, „aber natürlich nicht die Gründe dafür. Ich vermute, das Ganze hat irgendwas mit dem groalterrischen Patienten zu tun.“
Der Cinrussker machte eine Pause, und wieder zitterte sein Körper, aber nur einen Augenblick lang. „Die Kontrolle über Ihre emotionale Ausstrahlung verbessert sich allmählich, und dazu möchte ich Ihnen gratulieren und mich bei Ihnen bedanken, mein Freund. Doch für Ihre innerliche Angst besteht überhaupt kein Grund. Zwar weiß ich, daß Sie irgend etwas vor mir verheimlichen, aber da ich kein Telepath bin, habe ich keine Ahnung, worum es sich dabei handelt. Meine Vermutungen werde ich niemandem gegenüber aussprechen, damit ich Sie keiner emotionalen Belastung aussetze, zumal diese nur auf mich selbst zurückfallen würde.“
Dankbar und beruhigt entspannte sich Lioren, da er wußte, daß er seine Gefühle bei diesem Wesen nicht in Worte zu fassen brauchte. Doch der Empath war mit seinen Ausführungen noch nicht am Ende.
„Wie allgemein bekannt ist, sind Sie der einzige im ganzen Hospital, der offen mit Hellishomar gesprochen hat“, fuhr Prilicla fort. „Da meine empathischen Fähigkeiten durch das Gesetz der umgekehrten Proportion zum Quadrat der Entfernung bestimmt sind, nimmt ihre Empfindlichkeit mit der Nähe zu demjenigen zu, von dem die Emotionen ausgehen. Ich habe es bewußt vermieden, mich dem Groalterri zu nähern, weil es sich bei Hellishomar um ein zutiefst betrübtes und äußerst unglückliches Wesen handelt, das von Schuld, Leid und Schmerz erfüllt ist und eine so starke emotionale Ausstrahlung hat, daß es im Hospital keinen Ort gibt, an den ich vor diesen furchtbaren und ständig anhaltenden Gefühlen fliehen kann. Seit Sie jedoch begonnen haben, Hellishomar zu besuchen, ist die Stärke dieser quälenden emotionalen Ausstrahlung merklich zurückgegangen, und dafür bin ich Ihnen wirklich sehr dankbar, mein Freund.
Immer, wenn Hellishomars Name erwähnt wird, nehme ich an Ihnen eine Empfindung wahr, die einer starken Hoffnung näherkommt als einer Erwartung“, fuhr der Empath fort, bevor Lioren etwas sagen konnte. „Am stärksten war diese Emotion, als wir über Telepathie gesprochen haben. Darum erhalten Sie von mir die Erlaubnis, die telepathischen Patienten zu besuchen. Zudem werden Ihnen Kopien der medizinischen Akten, die für Sie von Belang sind, zu Studienzwecken zur Verfügung gestellt. Falls es Ihnen jetzt schon recht ist, werden wir gleich mit einem Besuch bei den Beschützern der Ungeborenen beginnen.“
Читать дальше