Statt dessen gab ihm der Komputer genaue Auskunft — über Beruf, Stand, Adresse und Gesundheitszustand Donald Mortensens. Nicht einmal eine Personenbeschreibung fehlte.
Schön. Es gab also einen Donald Mortensen. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen falschen Namen zu wählen, als er vor vierhundert Jahren an Weihnachten in Boston auftauchte. Wenn er aufgetaucht war. Quellen warf noch einen Blick auf die Aufzeichnungen und erfuhr, daß Mortensen eine Anstellung als Automechaniker gefunden hatte (wie altmodisch, dachte Quellen), daß er eine gewisse Donna Brewer im Jahre 2091 geheiratet und fünf Kinder gehabt hatte (einfach vorsintflutlich!). Er hatte bis zum Jahre 2149 gelebt und war an einer unbekannten Krankheit gestorben.
Quellen erkannte, daß diese fünf Kinder wiederum eine Menge Nachwuchs gehabt haben mußten. Tausende von Menschen der Jetztzeit konnten von ihnen abstammen, auch er selbst oder ein Mitglied der Hohen Regierung. Wenn Quellen nun verhinderte, daß Donald Mortensen am vierten Mai auf die Reise ging …
Er zögerte. Das Gefühl kühner Entschlossenheit, das ihn noch vor Sekunden erfüllt hatte, verließ ihn, als er an die Konsequenzen seines Tuns dachte.
Vielleicht sollte ich zuerst mit Koll und Spanner darüber sprechen, dachte er.
Das Zentrale Beschäftigungsregister befand sich in der großen Vorhalle eines Katastergebäudes. Das kuppelförmige Gebäude war mit einer Platinschicht übersprüht. Im Innern, entlang der Kuppelwände, sah man die Ergebnisse der Komputerberechnungen. Die Berechnungen selbst wurden anderswo durchgeführt. Ein geschäftiges, maschinelles Gehirn arbeitete Tag und Nacht daran, die Arbeitsmöglichkeiten auszuwerten und sie auf die Arbeitsuchenden abzustimmen.
Norm Pomrath nahm ein Schnellboot zur Job-Maschine. Er hätte auch gehen und eine Münze sparen können, denn Zeit hatte er. Aber er wollte es nicht. Es war ein absichtliches Verschwenden. Zeit hatte er in Hülle und Fülle. Sein Bargeld war trotz der Großzügigkeit der Hohen Regierung beschränkt. Das wöchentliche Stempelgeld, das er durch die Gnade Dantons, Kloofmans und der anderen Mitglieder der Führungsschicht erhielt, reichte aus, um die Grundbedürfnisse einer vierköpfigen Familie zu decken, aber damit war auch schon Schluß. Pomrath ging im allgemeinen sparsam mit seinem Geld um. Er haßte das Stempeln natürlich, aber da er kaum eine Möglichkeit sah, zu geregelter Arbeit zu kommen, nahm er das Geld wie jeder andere an. Auf dieser Welt verhungerte keiner, wenn er es nicht freiwillig tat — und selbst das war nicht leicht.
Pomrath hätte die Maschine wirklich nicht aufsuchen müssen. Telefonleitungen verbanden jedes Apartment mit jedem Komputer, zu dem es öffentlichen Zutritt gab. Er konnte telefonieren, um den augenblicklichen Stand der Dinge zu erfahren. Und außerdem, wenn es in seinem Beruf eine Chance gegeben hätte, wäre die Maschine von sich aus mit ihm in Verbindung getreten. Aber er zog es vor, aus dem Haus zu sein. Er kannte die Antwort der Maschine im voraus, und so war alles nur eine Geste, eine der vielen Gesten, die ihm vergessen halfen, daß er ein völlig nutzloses Mitglied der Gesellschaft war.
Suchstrahlen unter dem Boden summten, als Pomrath das Gebäude betrat. Er wurde abgetastet, identifiziert und überprüft. Wenn er auf dem Register der bekannten Anarchisten gestanden hätte, wäre er nicht bis über die Schwelle gekommen. Klammern, die aus dem Marmorboden kamen, hätten ihn sanft festgehalten, bis man ihn entwaffnet und weggeschickt hätte. Aber Pomrath hatte nichts Böses mit der Job-Maschine vor. Seine Feindseligkeit war gegen das Universum im allgemeinen gerichtet. Er war zu intelligent, um seinen Zorn an Komputern auszulassen.
Die wohlwollenden Gesichter von Benjamin Danton und Peter Kloofman strahlten aus der Höhe der Kuppel auf ihn herab. Riesige Tri-Di-Bilder hingen von der Decke. Danton wirkte trotz seines Lächelns ernst. Kloofman, dem man große menschliche Wärme nachsagte, sah angenehmer aus. Pomrath erinnerte sich an eine Zeit vor etwa zwanzig Jahren, als die öffentlichen Vertreter der Hohen Regierung noch ein Triumvirat gebildet hatten. Kloofman und zwei andere, deren Namen er bereits vergessen hatte. Dann war eines Tages Danton aufgetaucht, und man hatte die Bilder der beiden anderen abgenommen. Zweifellos würden eines Tages auch Kloofman und Danton verschwinden, und in den öffentlichen Gebäuden würde man zwei oder drei neue Gesichter sehen. Pomrath beschäftigte sich nicht sehr eingehend mit dem Personalwechsel der Hohen Regierung. Wie die meisten Menschen hatte er seine Zweifel an der Existenz von Kloofman und Danton. Es gab genug Gründe zu der Annahme, daß die Komputer das ganze Leben steuerten und daß sie es seit einem guten Jahrhundert taten. Und doch nickte er den Tri-Di-Bildern ehrfürchtig zu, als er das Gebäude betrat. Was wußte er? Vielleicht beobachtete ihn Danton hinter dem Bild aus kalten Augen.
Die Halle war überfüllt. Pomrath schlenderte zur Mitte und genoß einen Augenblick das Summen und Klappern der Maschine. Zu seiner Linken war der Rote Speicher, der für Stellentausch zuständig war. Hier hatte Pomrath nichts verloren. Man mußte erst eine Arbeit haben, bevor man sie wechseln konnte. Direkt vor ihm befand sich der Grüne Speicher — für Arbeitslose wie er. Rechts von ihm stand der Blaue Speicher, wo sich neue Mitglieder um Arbeit bewarben. Vor jedem der Speicher war eine lange Reihe von Wartenden. Ganz rechts ein paar Halbwüchsige; links ein paar übereifrige Mitglieder der Klasse Zehn, die sich nach einer Beförderung umsahen. Und vor ihm die Schlange der Arbeitslosen.
Es ging schnell vorwärts. Niemand sprach mit ihm. Pomrath stand inmitten der Menge wie auf einer einsamen Insel und überlegte, wie schon so oft, wann sein Leben eigentlich abgeglitten war. Er wußte, daß er einen hohen Intelligenzquotienten besaß. Gute Reflexe. Entschlossenheit, Ehrgeiz und Beweglichkeit. Er hätte jetzt Klasse Acht sein können, wenn alles nach seinem Willen gegangen wäre.
Aber das war es nicht. Er hatte sich als technischer Mediziner ausbilden lassen, da er wußte, daß selbst in einer geordneten Welt immer Kranke waren und er somit immer eine Beschäftigung haben würde. Leider waren viele junge Männer seiner Generation zu dem gleichen Schluß gekommen. Es war wie bei diesen Wettrennen. Man suchte sich einen Favoriten heraus, auf den man setzen konnte. Man beurteilte seine Fähigkeiten, man besah sich seine Kondition. Man ging mit aller Schläue zu Werk. Aber die anderen waren ebenso schlau. Wenn man einen wirklich überragenden Kandidaten ausmachen konnte, setzten sie auch auf ihn und drückten die Gewinne. Und doch gab es manche, die einen potentiellen Sieger schneller als andere erkannten und die dicken Gewinne einstrichen. Es lag nicht an der Ungerechtigkeit der Welt, dachte Pomrath seufzend. Aber das Universum war einfach gleichgültig.
Er hatte auf die sichere Sache gesetzt, und so war sein Gewinn klein gewesen. Ein paar Wochen Arbeit, viele Monate Nichtstun. Pomrath war ein guter Techniker. Seine Fähigkeiten waren mindestens so groß wie die eines guten Arztes vor ein paar Jahrhunderten. Heute befanden sich die wirklichen Ärzte — es gab nur noch ganz wenige — in Klasse Drei, direkt unter der Regierungsschicht. Aber Pomrath, als technischer Mediziner, steckte im Sumpf der Klasse Vierzehn mit all ihren Unannehmlichkeiten, und er konnte nur höher hinaufgelangen, wenn er mehr Erfahrung sammelte. Aber wie sollte er das, wenn er keine Arbeit bekam?
Welche Ironie, dachte er. Joe Quellen, der überhaupt keine Spezialkenntnisse hat, sitzt in Klasse Sieben. Und ich stehe um das Doppelte unter ihm. Aber Quellen war eben ein Mitglied der Regierung — nicht der Hohen Regierung natürlich, die die Politik machte, aber immerhin —, und so mußte Quellen einen gewissen Status bekommen. Sie mußten ihn einfach in eine höhere Klasse stecken, um seine Autorität zu bekräftigen. Pomrath kaute an einem Fingernagel und überlegte, weshalb er nicht so schlau gewesen war, in den Regierungsdienst zu gehen.
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