So sieht es aus, Baumeister. Morgens gehen wir auf die Felder zur Arbeit, und abends kehren wir in unsere Behausungen am Rand von Zignamucklickklick zurück. Warum sollten wir uns anstrengen, neue Häuser zu bauen, wenn die alten ihren Zweck viel besser erfüllen?«
Zwei furchteinflößende Aliens und zwei Beinahe-Menschen, ohne Bart und unnatürlich groß gewachsen; alle vier auf Metallvögeln ohne Flügel, aus deren Mündern Kauderwelsch kam, das die Metallscheiben an ihren Handgelenken mit Sinn füllten… kein Wunder, daß die Eingeborenen Louis und seine Begleiter für die Erbauer der Ringwelt hielten. Louis unternahm nichts, um den Eindruck zu korrigieren. Eine Erklärung, woher sie kamen, hätte Tage in Anspruch genommen. Sie waren hier, um zu lernen — und nicht, um zu lehren.
»Dieser Turm, Baumeister, ist unser Regierungssitz. Wir herrschen über mehr als tausend Leute. Könnten wir einen besseren Palast finden als diesen Turm? Wir haben die oberen Stockwerke abgedichtet, so daß die Räume, die wir nutzen, die Wärme halten. Einst mußten wir den Turm verteidigen, indem wir Trümmer aus den oberen Stockwerken herabwarfen. Ich erinnere mich noch, daß unsere schlimmste Sorge die Furcht vor der Höhe war…
Trotzdem sehnen wir uns nach der Wiederkehr der Tage voller Wunder, als unsere Stadt tausendmal Tausend Bewohner hatte und Bauwerke in der Luft schwebten. Wir hoffen, daß ihr euch entschließt, uns diese Tage zurückzubringen. Man sagt, daß in den Tagen voller Wunder diese alte Welt selbst ihre jetzige Gestalt erhielt. Vielleicht hättest du die Güte zu verraten, ob das zutrifft?«
»Annähernd«, sagte Louis.
»Und werden diese Tage wiederkehren?«
Louis gab eine Antwort, von der er hoffte, daß sie unverbindlich war. Er spürte die Enttäuschung seines Gegenübers mehr, als daß er sie erriet.
Es war nicht leicht, den Gesichtsausdruck der haarigen Männer zu lesen. Gesten waren eine Art Kode, und die Gesten des Sprechers entstammten keiner terranischen Kultur. Dicht gelocktes platinblondes Haar verbarg sein Gesicht bis auf die Augen, die braun und weich in die Welt blickten. Doch Augen allein sind überhaupt nicht ausdrucksvoll, im Gegensatz zu dem, was man allgemein glaubt.
Die Worte klangen fast wie ein Sprechgesang. Als würde der Tätowierte Poesie rezitieren. Der Schiffsrechner übersetzte Louis’ Worte in ähnlich klingende Laute, obwohl Louis in normalem Konversationston redete. Er konnte die übrigen Translatorscheiben hören: Sie flöteten leise in der Sprache der Puppenspieler oder schnarrten in der Heldensprache der Kzinti.
Louis stellte Fragen…
»Nein, Baumeister. Wir sind kein blutrünstiges Volk. Wir führen nur selten Kriege. Die Schädel? Sie liegen überall im Boden, wo man in Zignamucklickklick geht und steht. Sie liegen seit dem Fall der Stadt dort, heißt es. Wir benutzen sie als Dekoration und wegen ihres Symbolgehalts.« Der Sprecher hob feierlich die Hand und zeigte Louis seine Vogeltätowierung.
Und sämtliche Umstehenden riefen: »…!«
Das Wort wurde nicht übersetzt.
Es war das erste Mal, daß jemand anderes als der Tätowierte überhaupt ein Wort gesagt hatte.
Louis hatte etwas verpaßt, und er wußte es. Unglücklicherweise war nicht genug Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Zeigt uns ein Wunder«, verlangte der Sprecher. »Wir bezweifeln eure Macht nicht, aber vielleicht kommt ihr nie wieder hier vorbei. Wir möchten eine Erinnerung, die wir unseren Kindern weitergeben können.«
Louis überlegte. Sie waren bereits wie Vögel geflogen — dieser Trick würde kein zweites Mal Eindruck erwecken. Vielleicht Manna aus den Ausgabeschlitzen des Küchenautomaten? Aber selbst Erdgeborene besaßen verschiedene Geschmäcker. Der Unterschied zwischen Nahrung und Abfall wurde größtenteils durch Kultur bestimmt. Manche aßen Heuschrecken mit Honig, andere brieten Schnecken. Der Käse des einen war die faule Milch des anderen. Besser, es nicht auszuprobieren. Vielleicht die Flashlaser?
Louis öffnete das Gepäckabteil seines Rads, als der Rand der Sonne von einer ersten Ecke einer Schattenblende berührt wurde. Dunkelheit würde seine Vorführung noch beeindruckender erscheinen lassen.
Mit weiter Streuung und geringer Intensität richtete er das Licht zuerst auf den Sprecher, dann auf seine vier Mitregierenden, und zuletzt auf die Gesichter der Menge. Wenn sie beeindruckt waren, verbargen sie es jedenfalls gut. Louis ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und zielte mit dem Laser nach oben.
Er zielte auf eine Figur, die vom Dach des Turms vorsprang wie ein surrealistischer Wasserspeier. Louis bewegte den Daumen, und der Wasserspeier leuchtete gelb-weiß auf. Louis bewegte den Zeigefinger, und der Strahl verengte sich zu einem grünen Bleistift. Der Wasserspeier hatte plötzlich einen weißglühenden Bauchnabel.
Louis wartete auf den Applaus.
»Ihr kämpft mit Licht, Baumeister!« sagte der Sprecher mit der tätowierten Hand. »Wißt ihr nicht, daß das verboten ist?«
»…!« rief die Menge und verstummte genauso plötzlich wieder.
»Das wußten wir nicht«, erwiderte Louis. »Wir entschuldigen uns.«
»Das wußtet ihr nicht? Wie konntet ihr das nicht wissen? Habt ihr nicht selbst den Bogen errichtet, als Zeichen eures Bundes mit den Menschen?«
»Welchen Bogen meinst du?«
Das Gesicht des Mannes war unter Haaren verborgen, doch sein Erstaunen war unübersehbar. »Den Bogen über der Welt, o Baumeister!«
Louis verstand mit einem Mal. Er brach in Lachen aus.
Der haarige Mann boxte ihn ungeschickt auf die Nase.
Es war ein leichter Schlag, denn der haarige Mann war schwach, und seine Hände waren zart. Aber es tat trotzdem weh.
Louis war nicht an Schmerz gewöhnt. Die meisten Leute seiner Generation hatten niemals stärkeren Schmerz empfunden als einen angestoßenen Zeh. Anästhetika waren zu weit verbreitet, und medizinische Hilfe war stets in der Nähe. Der Schmerz eines beim Skifahren gebrochenen Beins dauerte in der Regel nur Sekunden, keine Minuten, und die Erinnerung daran wurde häufig auch noch als nicht tolerierbares Trauma unterdrückt. Kampfkünste wie Karate, Judo, Jiu-Jitsu oder Boxen waren schon lange vor Louis’ Geburt illegal gewesen. Louis Wu war ein lausiger Kämpfer. Er konnte dem Tod ins Gesicht sehen, doch Schmerzen ertragen konnte er nicht.
Der Schlag schmerzte. Louis schrie auf und ließ seinen Flashlaser fallen.
Die Menge schoß vor. Zweihundert aufgebrachte haarige Gestalten wurden zu tausend Dämonen, und die Dinge waren nicht mehr annähernd so lustig wie noch eine Minute zuvor.
Der gertenschlanke Sprecher hatte beide Arme um Louis geschlungen und umklammerte ihn mit hysterischer Kraft. Louis, der nicht weniger hysterisch war, befreite sich mit einem heftigen Ruck. Er war auf seinem Flugrad, die Hand am Lenker, als die Vernunft zurückkehrte.
Die anderen Flugräder waren mit seinem gekoppelt. Wenn er jetzt startete, würden sie ebenfalls starten, mit oder ohne Passagiere.
Louis blickte sich um.
Teela Brown war bereits in der Luft. Aus sicherer Distanz beobachtete sie mit besorgt erhobenen Augenbrauen den Kampf. Sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, den anderen zu helfen.
Der-zu-den-Tieren-spricht wütete unter den Angreifern. Er hatte bereits ein halbes Dutzend Feinde niedergestreckt. Während Louis hinsah, schwang der Kzin seinen Flashlaser und zerschmetterte einem Mann den Schädel.
Die haarigen Angreifer umkreisten ihn unentschlossen.
Langfingrige Hände streckten sich Louis entgegen und versuchten, ihn von seinem Flugrad zu zerren. Sie drohten die Oberhand zu gewinnen, obwohl sich Louis mit aller Macht am Sattel festklammerte. Fast zu spät dachte er daran, die Schallfalte zu aktivieren.
Die Eingeborenen kreischten, als sie weggeschleudert wurden.
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