»Boosterspice!« rief Louis. »Das ist die Antwort! Sie hatten kein Boosterspice.«
»Ja, deswegen waren sie weniger sicherheitsbewußt. Sie hatten weniger Lebensspanne, die sich zu schützen lohnte«, spekulierte der Puppenspieler. »Das erscheint mysteriös, oder nicht? Wenn sie sich nicht um ihr Leben sorgen, dann werden sie sich erst recht nicht um das unsrige kümmern.«
»Sie reden den Ärger förmlich herbei.«
»Wir werden es bald genug herausfinden. Sprecher-zu-den-Tieren, sehen Sie das letzte Bauwerk, das große, cremefarbene mit den zerbrochenen Scheiben…?«
Sie waren darüber hinweggeflogen, während der Puppenspieler gesprochen hatte. Louis, der mit dem Steuern der Flugräder an der Reihe war, wendete für einen zweiten Blick.
»Ich hatte recht. Sehen Sie das, Sprecher? Rauch!«
Das Gebäude war eine kunstvoll verdrehte und verzierte Säule von vielleicht zwanzig Stockwerken Höhe. Die Fenster waren Reihen schwarzer Ovale. Die meisten Fenster der unteren Etage waren verschüttet. Die wenigen offenen entließen grauen Rauch in den Wind.
Der Turm stand versunken zwischen ein- und zweistöckigen Häusern. Eine Reihe dieser Häuser war von einem rollenden Zylinder zerstört worden, der anscheinend aus dem Himmel gefallen war. Doch die rollende Ruine hatte sich in Betontrümmer aufgelöst, bevor sie den einzelnen Turm erreichen konnte.
Die Rückseite des Turms bildete den äußersten Rand der Stadt. Dahinter befanden sich nur noch Ackerflächen. Humanoide Gestalten rannten von den Feldern herbei, während die Flugräder landeten.
Gebäude, die aus der Luft betrachtet intakt ausgesehen hatten, waren aus Höhe der Dächer nur noch Ruinen. Nichts war verschont geblieben. Der Energieausfall und das begleitende Desaster mußten Generationen zuvor stattgefunden haben. Dann waren Vandalismus, Regen und all die verschiedenen Formen der Verwitterung gekommen, die kleinere Lebensformen verursachten. Rost und Erosion hatten ein Übriges getan. Ein Übriges, das in der prähistorischen Vergangenheit der Erde Hügel über den Städten hatte entstehen lassen, die Archäologen späterer Zeitalter durchsieben konnten.
Die Stadtbewohner hatten ihre Stadt nach dem Unglück nicht wieder aufgebaut. Sie waren auch nicht weggezogen. Sie waren in den Ruinen geblieben.
Und der Müll, den sie hinterließen, stapelte sich ringsum auf.
Abfall. Leere Schachteln. Vom Wind herangetragener Staub. Unverdauliche Nahrungsbestandteile, Knochen, Reste, die Karottengrün und Maisstrünken ähnelten. Zerbrochene Werkzeuge. Ein Hügel, der immer größer wurde, wenn die Bevölkerung zu träge war oder von harter Arbeit zu erschöpft, um den Abfall zu beseitigen. Er wurde größer, seine Bestandteile zersetzten und vermischten sich; der Haufen sackte unter seinem eigenen Gewicht zusammen und wurde von schweren Füßen weiter verdichtet, Jahr um Jahr, Generation um Generation.
Der ursprüngliche Eingang zum Turm war bereits versunken, so hoch war der Boden angestiegen. Während die Flugräder auf festem Dreck landeten, zehn Fuß über dem, was möglicherweise einst ein Parkplatz für große erdgebundene Fahrzeuge gewesen war, traten fünf eingeborene Humanoide in feierlicher Würde durch ein Fenster im ersten Stock nach draußen.
Es war ein zweiflügeliges Fenster, groß genug, um eine derartige Prozession zu ermöglichen. Das Sims und der Sturz waren mit dreißig oder vierzig humanoid aussehenden Schädeln geschmückt. Louis erkannte kein offensichtliches Muster in ihrer Anordnung.
Die Fünf kamen auf die Flugräder zu, dann zögerten sie, sichtlich im Zweifel, wer der Anführer der Fremden war. Sie sahen entfernt humanoid aus, doch sie gehörten eindeutig keiner bekannten menschlichen Rasse an.
Sie waren alle wenigstens sechs Zoll kleiner als Louis. Ihre Haut wirkte sehr weiß, wo sie zu sehen war; beinahe geisterhaft im Kontrast zu Teelas nordisch-rosigem Teint oder Louis’ dunklerem Gelbbraun. Ihre Rümpfe waren kurz, die Beine lang. Sie gingen mit identisch verschränkten Armen; die Finger waren außergewöhnlich lang und spitz. Jeder der Fünf hätte einen vorzüglichen Chirurgen abgegeben in einer Zeit, als es auf der Erde noch Chirurgie gegeben hatte.
Ihr Haar war noch außergewöhnlicher als die Hände. Alle fünf Würdenträger besaßen den gleichen aschblonden Farbton. Haare und Bärte waren gekämmt, aber ungeschnitten, und die Bärte bedeckten die Gesichter mit Ausnahme der Augen zur Gänze.
Unnötig zu erwähnen, daß die Fünf sich glichen wie ein Ei dem anderen.
»Sie sind so haarig!« flüsterte Teela.
»Bleibt auf den Fahrzeugen!« befahl Sprecher ebenfalls im Flüsterton. »Wartet, bis sie hier sind. Dann steigen wir ab. Ich nehme an, jeder hat seinen Translator bei sich?«
Louis trug die Scheibe auf der Innenseite des linken Handgelenks. Die Scheiben waren mit dem Schiffsrechner an Bord der Lying Bastard verbunden. Sie sollten eigentlich über diese Entfernung funktionieren, und der Rechner sollte imstande sein, jede neue Sprache zu analysieren und in Echtzeit zu übersetzen.
Doch es gab keine Möglichkeit, die tanj Dinger vor dem Ernstfall zu testen. Und dann waren da noch die vielen Schädel…
Weitere Eingeborene strömten auf den einstigen Parkplatz. Die meisten blieben stehen, als sie die bevorstehende Konfrontation erkannten, so daß die Menge in geziemendem Sicherheitsabstand einen weiten, unregelmäßigen Kreis bildete. Eine normale Menschenmenge wäre in erwartungsvolles Raunen ausgebrochen; Wetten wären abgeschlossen worden und Streitereien entbrannt. Diese Menge hier verhielt sich unnatürlich still.
Vielleicht fühlten sich die Würdenträger durch die Gegenwart der Zuschauer zu einer Entscheidung gedrängt. Jedenfalls beschlossen sie, sich Louis Wu zu nähern.
Die Fünf… sie sahen sich doch nicht so ähnlich. Sie besaßen unterschiedliche Körpergrößen. Sie waren allesamt dünn, doch einer war beinahe so mager wie ein Skelett, und einer war beinahe muskulös. Vier trugen schlaffe, beinahe farblose braune Umhänge, der fünfte trug einen Umhang von beinahe gleichem Schnitt — aus der gleichen Decke geschneidert? —, doch die Farbe war ein verblaßtes Rosa.
Der Dünnste von allen war der, der als erster sprach. Ein eintätowierter blauer Vogel schmückte seinen Handrücken.
Louis antwortete.
Der Tätowierte hielt eine kurze Ansprache. Es war ein glücklicher Umstand. Der Schiffsrechner würde genügend Datenmaterial benötigen, bevor er mit einer Übersetzung beginnen konnte.
Louis antwortete erneut.
Der Tätowierte sprach erneut. Seine vier Begleiter hielten ihr würdevolles Schweigen aufrecht. Genau wie unglaublicherweise die Zuschauer.
Die Scheiben nahmen Worte und Sätze auf…
Später dachte Louis, daß das Schweigen ihn hätte warnen müssen. Es war ihre Haltung, die ihn zum Narren machte. Der weite Kreis aus Humanoiden, die vier haarigen Männer, die in einer Reihe standen und davor der fünfte mit der tätowierten Hand, der seine Rede hielt.
»Wir nennen ihn die Faust Gottes.« Der mit der tätowierten Hand deutete direkt nach Steuerbord. »Warum? Warum nicht! Gefällt dir der Name nicht, Baumeister?« Er schien den gewaltigen Berg zu meinen, den sie zusammen mit dem Schiff hinter sich gelassen hatten. Inzwischen war er völlig im Dunst der schieren Entfernung verschwunden.
Louis lauschte und lernte. Der Schiffsrechner gab einen hervorragenden Dolmetscher ab. Nach und nach entstand ein Bild, ein Bild von einem Bauerndorf, dessen Bewohner in den Ruinen einer einst großartigen Stadt lebten…
»Zugegeben, Zignamucklickklick ist nicht mehr so groß, wie es einst war. Trotzdem sind unsere Behausungen noch immer besser als alles, was wir selbst zu bauen imstande sind. Wenn irgendwo ein Dach fehlt, so bleiben die unteren Stockwerke dennoch trocken, wenn es nicht zu lange regnet. Die Bauwerke der Stadt sind leicht zu heizen und im Krieg gut zu verteidigen. Sie brennen kaum jemals nieder.
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