»Er jagt sich einen Hasen«, erwiderte Louis. »Warum verschaffen wir uns nicht ebenfalls etwas Bewegung, wo wir schon die Gelegenheit dazu haben?«
»Was hältst du von einem Spaziergang im Wald?«
»Gute Idee.« Ihre Blicke trafen sich, und Louis sah, daß sie den gleichen Gedanken hatte wie er. Er griff in das Gepäckfach seines Flugrads und zog eine Decke hervor. »Fertig.«
»Sie erstaunen mich«, sagte Nessus. »Keine andere intelligente Spezies kopuliert derart häufig wie Menschen. Also schön, gehen Sie. Passen Sie auf, wo Sie sich hinlegen. Vergessen Sie nicht, daß überall unbekannte Lebensformen lauern.«
»Wußtest du eigentlich«, sagte Louis, »daß nackt früher einmal das gleiche bedeutete wie ungeschützt?«
Er fühlte sich, als würde er zusammen mit der Kleidung seinen Schutz ablegen. Die Ringwelt besaß eine funktionierende Biosphäre, ganz ohne Zweifel voller Insekten und Bakterien und zahnbewehrter Dinger, die dazu geschaffen waren, protoplasmisches Fleisch zu fressen.
»Nein«, entgegnete Teela. Sie stand nackt auf der Decke und streckte sich in der Mittagssonne. »Es ist herrlich! Weißt du eigentlich, daß ich dich noch nie bei Tageslicht ohne Kleider gesehen habe?«
»Ich dich auch nicht. Ich möchte hinzufügen, daß du tanj gut aussiehst. Komm, ich zeige dir etwas.« Er deutete mit der Hand auf seine haarlose Brust. »Tanj…«
»Ich sehe nichts.«
»Sie ist weg. Das sind die Nachteile von Boosterspice. Keine Erinnerungen. Die Narben verschwinden, und nach einer Weile…« Er fuhr mit den Fingerspitzen quer über seinen Brustkorb, doch da war nichts.
»Hier hat mir ein Reicher von Gummidgy einen Streifen von der Schulter bis zum Nabel herausgerissen… vier Zoll breit und einen halben Zoll tief. Sein nächster Angriff hätte mich in zwei Hälften zerfetzt. Er beschloß jedoch, zuerst das zu schlucken, was er schon von mir hatte. Anscheinend muß ich tödlich giftig für ihn gewesen sein, denn er rollte sich kreischend zusammen und starb.
Und jetzt ist nichts mehr zu sehen. Keine einzige Narbe am ganzen Körper!«
»Armer Louis. Ich habe auch keine Narbe an mir.«
»Du bist eine statistische Ausnahme und außerdem erst zwanzig Jahre alt.«
»Oh.«
»Mmm — wie glatt deine Haut ist.«
»Noch andere verschwundene Andenken?«
»Ich habe eine falsche Bewegung mit einem Minenstrahler gemacht…« Er führte ihre Hand.
Schließlich rollte er sich auf den Rücken, und Teela setzte sich rittlings auf ihn. Sie sahen sich für einen langen, strahlenden, unerträglichen Augenblick an, bevor sie sich bewegten.
Im Glühen eines herannahenden Orgasmus scheint jede Frau engelsgleich zu erstrahlen…
… etwas von der Größe eines Hasen schoß zwischen den Büschen hervor, hoppelte über Louis’ Brust und verschwand auf der anderen Seite wieder im Unterholz. Einen Augenblick später sprang der Kzin aus dem Gebüsch. »Ich bitte um Entschuldigung«, rief er und verschwand ebenfalls wieder, dem Hoppeltier hart auf den Fersen.
Als sie sich später alle wieder bei den Flugrädern trafen, war das Fell um den Mund von Der-zu-den-Tieren-spricht rot gefleckt. »Zum erstenmal in meinem Leben«, verkündete er voll stiller Befriedigung, »habe ich mein Essen gejagt — mit nichts anderem als meinen eigenen Zähnen und Klauen.«
Wenigstens befolgte er den Rat des Puppenspielers und nahm ein Breitband-Antiallergikum ein.
»Es wird Zeit, daß wir uns über die Eingeborenen unterhalten«, meinte Nessus.
»Eingeborene?« wiederholte Teela mit großen Augen. Louis berichtete in wenigen Worten.
»Aber warum sind wir geflüchtet? Was hätten sie uns denn tun können? Waren sie wirklich menschlich?«
Louis beantwortete die letzte Frage, weil sie ihn die ganze Zeit über beschäftigt hatte. »Ich kann es selbst nicht begreifen. Was suchen Menschen so weit von unserem Raum entfernt?«
»Trotzdem besteht kein Zweifel«, unterbrach Der-zu-den-Tierenspricht. »Vertrauen Sie Ihren Sinnen, Louis. Wahrscheinlich werden wir feststellen, daß sie einer anderen Rasse angehören als Sie oder Teela, aber es waren Menschen.«
»Weshalb sind Sie so sicher, Sprecher-zu-den-Tieren?«
»Ich kann sie riechen, Louis. Der Geruch stieg mir in die Nase, als ich die Schallfalte abstellte. Verlassen Sie sich auf meine Nase, Louis.«
Louis nahm es hin. Kzintinasen gehörten jagenden Fleischfressern. »Parallele Evolution?« schlug er vor.
»Unsinn«, flötete Nessus.
»Richtig.« Die menschliche Gestalt war adäquat für ein Wesen, das Werkzeuge benutzte, aber nicht mehr als andere Körperformen auch. Intelligenz kam in allen möglichen Gestalten daher.
»Wir vergeuden unsere Zeit«, fauchte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Das Problem lautet nicht, wie Menschen herkommen konnten. Das Problem lautet: Wie stellen wir den ersten Kontakt her? Für uns wird jeder Kontakt ein Erstkontakt werden.«
Er hat recht, überlegte Louis. Die Flugräder kamen schneller voran als jede Nachrichtenübermittlung, über die die Einheimischen wahrscheinlich verfügten. Es sei denn, sie verwendeten Semaphore…
Der-zu-den-Tieren-spricht fuhr fort: »Wir müssen wissen, wie sich Menschen im Stadium des Barbarentums verhalten. Louis? Teela?«
»Ich kenne mich ein wenig in Anthropologie aus«, antwortete Louis.
»Schön, dann werden wir mit ihnen in Kontakt treten, und Sie werden für uns reden. Ich hoffe nur, daß der Autopilot einen akzeptablen Dolmetscher abgibt. Wir treten mit den nächsten Humanoiden in Kontakt, denen wir begegnen.«
Sie war kaum wieder in der Luft, als der Wald den Blick auf ein Schachbrettmuster bebauter Felder freigab. Sekunden später entdeckte Teela die Stadt.
Sie erinnerte an irdische Städte vergangener Jahrhunderte. Es gab zahlreiche Gebäude, die nur wenige Stockwerke hoch waren, dicht aneinandergedrängt in einer regellosen Anhäufung. Ein paar schlanke Türme ragten aus der Ansammlung hervor. Sie waren untereinander durch geschwungene Rampen für Bodenfahrzeuge verbunden: definitiv kein typisches Merkmal irdischer Städte. Irdische Städte aus vergleichbarer Zeit hatten eher Hubschrauberlandeplätze auf den Türmen gehabt.
»Vielleicht ist unsere Suche hier zu Ende«, sagte Der-zu-denTieren-spricht hoffnungsvoll.
»Ich wette, sie ist unbewohnt!« erwiderte Louis.
Es war nur eine Vermutung, doch er sollte recht behalten. Es wurde offensichtlich, als sie die Stadt überflogen.
In ihrer Blütezeit mußte die Stadt von geradezu überwältigender Schönheit gewesen sein. Besonders ein Merkmal hätte selbst heute noch den Neid jeder Stadt im Bekannten Weltraum erweckt: Zahlreiche Gebäude hatten gar nicht auf dem Boden gestanden, sondern in der Luft geschwebt. Rampen und Aufzugtürme hatten sie mit den Nachbarhäusern und dem Boden verbunden. Frei von den Fesseln der Schwerkraft und von horizontalen oder vertikalen Beschränkungen kamen die Traumschlösser in allen Formen und Variationen daher.
Jetzt flogen vier Räder über ihre Ruinen. Jedes der schwebenden Bauwerke hatte niedrigere Gebäude am Boden unter sich begraben, als es abgestürzt war. Überall zerbrochene Steine und Mauern und Glas und Beton, zerrissener Stahl und verbogene Rampen und Aufzugtürme, die noch immer in die Höhe ragten.
Der Anblick ließ Louis erneut über die Eingeborenen nachdenken. Menschliche Architekten bauten keine Luftschlösser; sie waren zu sicherheitsbewußt.
»Sie müssen alle auf einmal abgestürzt sein«, sagte Nessus. »Ich sehe nirgendwo ein Zeichen von Reparaturversuchen. Ein Energieausfall, ohne Zweifel. Sprecher-zu-den-Tieren, würden Kzinti so leichtsinnig bauen?«
»Wir mögen die Höhe nicht besonders. Menschen sind da vielleicht anders. Vielleicht hängen sie nicht so an ihrem Leben.«
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