»Die Wasserflächen weisen anscheinend sämtlich ungefähr die gleiche Größe auf«, sagte Nessus.
»Ich habe ein paar kleinere Seen entdeckt«, widersprach Teela. »Und dort, sehen Sie — das ist ein Fluß. Es muß ein Fluß sein. Aber bis jetzt habe ich noch kein richtig großes Meer gesehen.«
Seen gab es in Hülle und Fülle, wenn Louis sich nicht irrte und die vielen flachen Ausbuchtungen Seen waren. Natürlich waren nicht alle gleich groß, aber sie schienen regelmäßig verteilt, und keine Region blieb ohne Wasser. Und… »Flach. Alle Seen haben einen flachen Boden!«
»Ja«, sagte Nessus.
»Wenn alle Seen flach sind, bedeutet das, daß die Ringweltler keine Wasserbewohner sind. Sie nutzen lediglich die oberen Schichten der Seen. So wie wir.«
»Aber die Seen sind unregelmäßig geformt«, sagte Teela. »Und die Ränder wirkten ausgefranst. Was bedeutet das?«
»Buchten. So viele Buchten, wie man sich nur wünschen kann.«
»Also sind Ihre Ringweltler Landbewohner, aber sie fürchten das Wasser nicht. Sonst würden sie nicht so viele Buchten benötigen«, sagte Nessus und blickte Louis an. »Louis, diese Wesen scheinen Ihnen ähnlich zu sein. Die Kzinti hassen Wasser, und meine Spezies fürchtet sich vor dem Ertrinken.«
Man kann eine Menge über eine Welt erfahren, wenn man ihre Kehrseite betrachtet, dachte Louis. Eines Tages würde er eine Monographie über dieses Thema verfassen…
»Es muß schön sein, wenn man sich die Welt so gestalten kann, wie man sie haben will«, sagte Teela.
»Gefällt dir deine Welt etwa nicht, Playmate?«
»Du weißt genau, was ich meine.«
»Macht?« Louis mochte Überraschungen; er hatte keine Meinung zu Macht. Er war nicht kreativ; er schuf keine Dinge — er bevorzugte es, sie zu entdecken.
Voraus sah er irgend etwas. Eine höhere Auswölbung… und eine daraus hervorragende Flosse oder Finne, schwarz im Licht der gedrosselten Antriebe und sicher Hunderttausende von Quadratmeilen groß.
Wenn die anderen Erhebungen Seen waren, dann war das hier ein Ozean; der König aller Ozeane. Er zog sich endlos unter/über ihnen dahin, und sein Boden war nicht glatt. Er sah aus wie eine topographische Karte des irdischen Pazifik: Täler, Gräben, Untiefen, bodenlose Tiefen und Gipfel, die weit genug aufragten, um auf der Oberseite Inseln zu bilden.
»Sie wollten die Fauna und Flora ihrer Heimat erhalten«, vermutete Teela. »Dazu brauchten sie einen tiefen Ozean. Und diese Flosse dient wahrscheinlich dazu, die unteren Wasserschichten kühl zu halten. Eine Kühlrippe.«
Ein Ozean, der zwar nicht tief genug, aber ausgedehnt genug war, um die Erde zu verschlucken.
»Das reicht«, sagte der Kzin plötzlich. »Wir sollten als nächstes die Innenseite untersuchen!«
»Zuerst werden wir Messungen vornehmen. Ist der Ring wirklich rund? Schon die geringste Abweichung würde genügen, um Luft in den Raum schwappen zu lassen!«
»Wir wissen doch, daß es Luft gibt, Nessus!« wandte Louis Wu ein. »Die Verteilung des Wassers auf der inneren Oberfläche wird uns verraten, wie weit der Ring von der Kreisform abweicht!«
Nessus gab sich geschlagen. »Nun gut. Sobald wir den Rand des gegenüberliegenden Ringwalls erreicht haben.«
Sie entdeckten Löcher von Meteoriteneinschlägen. Es gab nicht viele, aber sie waren vorhanden. Amüsiert überlegte Louis, daß die Ringweltler vielleicht doch nicht ihr ganzes Sonnensystem gesäubert hatten. Nein — die Meteoriten mußten von draußen gekommen sein, aus dem interstellaren Raum. Ein konischer Krater glitt im Licht der Fusionsantriebe vorüber, und Louis entdeckte ein Glitzern am Boden des Kraters. Etwas Nacktes, Reflektierendes.
Es mußte ein Stück blanker Ringweltboden sein. Der Boden bestand aus einem Material, das dicht genug war, um vierzig Prozent aller Neutrinos aufzuhalten, und wahrscheinlich ungeheuer fest. Über dem Boden, auf der Innenseite: Erdboden und Wasser und Städte, und darüber Luft. Unter dem Ringboden, dem All zugekehrt: ein schwammiges Material wie Schaumplastik vielleicht, um Meteoriteneinschlägen die Wucht zu nehmen. Die meisten Meteoriten würden in dem dicken, schaumigen Material verdampfen. Aber einige kamen durch und hinterließen konische Löcher mit glänzenden Böden…
Weit voraus, beinahe hinter der unendlichen, unendlich sanften Wölbung, entdeckte Louis eine Vertiefung. Das muß ein großer Brocken gewesen sein, dachte er. So groß, daß man den Krater selbst aus dieser Entfernung im Sternenlicht erkennen kann.
Er machte die anderen nicht auf seine Entdeckung aufmerksam. Louis Augen und Verstand waren noch nicht an die Dimensionen der Ringwelt gewöhnt…
KAPITEL NEUN
SCHATTENBLENDEN
Gleißend ging die G2-Sonne hinter dem geraden schwarzen Rand des Ringes auf. Die Helligkeit schmerzte, bis Der-zu-den-Tierenspricht die Hülle polarisierte. Louis betrachtete die Sonnenscheibe, und er entdeckte einen scharfen dunklen Umriß, der eine Ecke der Sonnenscheibe verdeckte. Eine Schattenblende.
»Wir müssen vorsichtig sein«, warnte Nessus. »Wenn wir mit gleicher Geschwindigkeit wie der Ring über der inneren Oberfläche schweben, werden wir bestimmt angegriffen!«
Die Antwort von Der-zu-den-Tieren-spricht war ein fauchendes Gähnen. Nach so vielen Stunden hinter den Kontrollen schien der Kzin zu ermüden. »Mit welchen Waffen denn? Wir haben bereits festgestellt, daß die Ringweltkonstrukteure nicht einmal eine funktionierende Radiostation betreiben!«
»Wir wissen nichts über ihre Form der Kommunikation. Telepathie vielleicht, oder Resonanzschwingungen im Ringweltboden. Elektrische Impulse in metallenen Leitungen. Genausowenig wissen wir über ihre Waffen. Wenn wir über ihnen schweben, werden sie das als ernsthafte Bedrohung ansehen. Sie werden alles gegen uns richten, was sie haben.«
Louis nickte zustimmend. Er war von Natur aus nicht sehr vorsichtig, und die Ringwelt reizte seine Neugierde aufs äußerste. Doch der Puppenspieler hatte recht.
Wenn die Liar über der inneren Ringoberfläche schwebte, stellte sie einen potentiellen Meteor dar. Einen ziemlich großen Meteor. Wenn die Lying Bastard sich nur mit Orbitalgeschwindigkeit bewegte, stellte ihre Masse eine höllische Gefahr dar. Eine einzige Berührung der Atmosphäre, und sie würde kreischend und glühend mit mehreren hundert Meilen pro Sekunde auf die Oberfläche stürzen. Wenn sie sich schneller bewegte und unter Zuhilfenahme ihrer Antriebe eine gekrümmte Bahn verfolgte, würde die Bedrohung zwar geringer sein, dafür aber um so deutlicher: Falls die Antriebe versagten, würde die eigene Massenträgheit das Schiff auf bewohntes Land schleudern. Die Ringweltler würden Meteoriten nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nicht, wenn eine einzige Perforation ausreichte, um die gesamte Atemluft der Ringwelt zwischen die Sterne entweichen zu lassen.
Der Kzin wandte sich von seinem Instrumentenpult ab und fand sich Auge in Auge mit den beiden flachen Köpfen des Puppenspielers wieder. »Also schön. Ihre Befehle?«
»Zuerst verzögern Sie das Schiff auf Orbitalgeschwindigkeit.«
»Und dann?«
»Beschleunigen Sie auf die Sonne zu. Wir können die Innenseite der Ringwelt bis zu einem gewissen Grad studieren, während sie unter uns kleiner wird. Unser wichtigstes Ziel sind im Augenblick die Schattenblenden.«
»Soviel Vorsicht ist unnötig und beschämend. Wir haben nicht das geringste Interesse an diesen Blenden.«
Tanj! dachte Louis. Er war hungrig und müde. Mußte er sich schon wieder als Friedensstifter für die beiden Aliens betätigen? Es war einfach zu lange her, daß einer von ihnen gegessen oder geschlafen hatte. Und wenn Louis schon müde war, dann war der Kzin vollkommen erschöpft und aggressiv.
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