»Vater«, fragte Michael Wireman sanft, »hast du der Erde damit gedient, so mit Professor Danko zu verfahren?«
»Der Erde gedient? Natürlich, ich …« Er unterbrach sich plötzlich. Das war ja nicht so wichtig. Der springende Punkt bestand darin: Wer war hier das Oberhaupt? War das einmal geregelt und der entsprechende Zuständigkeitsbereich für jeden einzelnen genau festgelegt, dann konnte die Regierung ihre Arbeit ungehindert fortsetzen.
Oder war das bereits erledigt worden?
»Michael, hast du mir die Präsidentschaft, genommen? Du hast mir keinen Platz gelassen, nicht wahr?«
»Das ist schwer zu beantworten, Vater«, sagte Michael.
Ladislas Danko begann: »Die gesetzliche Lage ist äußerst unklar. Da ist einmal die Frage, ob der C.S.O.-Vertrag mit Hammil dem Internationalen Gesetz nach gültig war, das heißt, die weitere Frage, ob Hammil diesen Status unabhängig vom Vertrag erworben hat, wenn man bedenkt, daß seine Aktionen einen Staatsstreich gegen die Regierung im Exil dargestellt haben.
Nehmen wir an, Hammil wäre rechtmäßiger Präsident gewesen, dann taucht die Frage auf, ob Michael den Titel als legitimer Erbe erhalten hat, denn er tötete den General im Zweikampf. Oder ob er die Ordnung auf der Erde im Namen der Regierung im Exil wiederherstellte, womit er Ihre Autorität aufrechterhalten hätte; oder ob er die Macht einfach an sich gerissen oder ob er eine Gegenrevolution ausgeführt hat …«
Aber Ralph Wireman hörte gar nicht zu. Er war auch nicht schockiert oder enttäuscht. Er hatte natürlich schon lange gewußt, daß seine Position nur ein Blatt Papier war, das hinwegflattern würde beim ersten Wind, der über die Erde fegte. Aber daß Michael es sein mußte, den er nicht verstand, dessen Beweggründe er nicht kannte, dessen Führungsgrundsätze er nicht geprüft hatte, kurz und gut, nicht zu wissen, in welche Hände seine Autorität gefallen war, das verwirrte ihn und machte ihn unsicher.
Immer wußte ich, was ich tat, dachte er. Ich plante und führte die Pläne aus, meistens. Wollte ich nicht schon einmal aufgeben, vor Jahren, an Bord des Raumschiffs? Aber jeder Mensch hat Totpunkte im Leben, dann verliert er das Vertrauen zu seinen Plänen.
Aber nur vorübergehend. Er macht weiter. Wer kann sagen, warum ich meine Meinung änderte?
Änderte ich sie wirklich? Wenn ich mich nicht erinnern kann, ist es dann überhaupt geschehen, oder vermute ich das nur? Wer kann sagen, ob ich immer wußte, was ich tat? Wer kann sagen, daß alles immer so war, wie ich es mir dachte? Ich habe nur mein Gedächtnis zur Unterstützung. Ist es perfekt, oder kommt mir das nur so vor? Hat mein Gedächtnis die Vergangenheit so aufbewahrt, daß alle unebenen Stellen mit Moos bedeckt sind und grün aussehen, schöner als sie wirklich waren?
O Gott! dachte Ralph Wireman. Ich bin der Gefangene meines Gehirns, und mein Gehirn ist menschlich — nur zu menschlich. Es versucht, Dinge freundlicher zu machen, es versucht, alles so zu arrangieren, daß mein letzter Gedanke der Freude gelten wird und nicht dem Leid. Oh! Wie wichtig mir das geworden ist! Hätte ich das nur gewußt, als ich noch jünger war. Jetzt ist es zu spät. Zuviel Vergangenheit liegt hinter mir. Wie kann ich sie jetzt ändern?
Oder habe ich sie geändert? Habe ich die Wahrheit übergangen, so daß die zeitlose Welt, in die ich eingehen werde, falsch und hohl sein wird, wo ich nicht werde ruhen können?
»Mr. Wireman«, sagte Captain Lemby zu Michael, nicht zu Ralph. »Wir haben einiges zu besprechen. Der Feind ist aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Wir müssen jetzt rasch einen Kordon errichten, um Verstärkungen abzuwehren, während der Rest hier geschlagen wird.«
Michael hörte Lemby geduldig zu. »Sicherlich, Captain«, sagte er. »Aber während Ihre Gedanken sich mit Raumschiffen beschäftigen, muß ich Sie daran erinnern, daß es mein Vater war, der es euch ermöglicht hat, diesen Sektor frei zu machen. Eben erst hat er erfahren, daß er entlastet ist und nun das Recht hat, ein wenig Atem zu holen. Spazieren wir langsam zu meinem Zelt. Bis dahin sind wir sicher soweit, uns wieder der Politik zuwenden zu können.«
Sanft legte er seine Hand auf Ralph Wiremans Arm. »Laß uns gemeinsam gehen.«
Sie saßen um den langen Tisch in Michael Wiremans Zelt, und Ralph Wireman beobachtete schläfrig seinen Sohn, der mit dem C.S.O.-Bevollmächtigten verhandelte.
»Schauen Sie«, ereiferte sich Lemby gereizt, »wir sagten gewisse Ding zu: die Blockade, die Versorgungsgüter, den Rücktransport der Mitglieder der früheren Regierung, die Anerkennung eurer Regierung. Nun, auch ihr müßt uns etwas geben. Handelskonzessionen, Entschädigungen, irgend etwas, um Himmel willen!«
»Nun, ja«, sagte Michael Wireman. »Wir sind euch für eure Hilfe dankbar. Aber ohne uns würdet ihr euren Krieg nie gewinnen.«
»Unseren Krieg? Es ist auch euer Krieg!«
»Dann sind wir Verbündete. Betrachten Sie es als ehrenhaft, unser Territorium wirtschaftlich beherrschen zu wollen, als Entschädigung für eine Hilfe, die Freunde und Verbündete normalerweise selbstverständlich gewähren? Sie selbst wiesen darauf hin, Captain; es ist auch euer Krieg. Auch ihr werdet davon profitieren.«
»Wireman, Sie werden bestimmt nicht profitieren, wenn wir die Blockade aufheben und den Feind wieder ins Land lassen! Dann würden Sie uns bestimmt gern wiederhaben und auf jeder Basis verhandeln.«
»Das können Sie nicht tun, Captain«, sagte Michael, langsam den Kopf schüttelnd. »Was erzählten Sie Ihrem Volk, zu Hause, als der Krieg begann? Daß ihr mit einem Rivalen in wirtschaftlichen Konflikt gekommen seid — oder daß ihr der unterdrückten Erde zu Hilfe eilen würdet? Ich kenne Ihre Regierung, Captain. Es ist eine gute Regierung, aber sie ist der Meinung, daß man dem gewöhnlichen Volk eine edle Absicht vortäuschen und die harte Wirklichkeit verbergen soll. Nein, Captain, Sie dürften den Feind nicht wieder hereinlassen. Ihr Volk würde sich vor Entrüstung erheben und die Regierung stürzen.«
Lemby hatte sich vorgebeugt und wie um Gehör bittend die Hand erhoben. »Mr. Wireman …«
»Tut mir leid, Captain. Ich wünschte, Ihre Regierung hätte nicht einen strebsamen Offizier für eine politische Mission ausgesucht. Ich glaube, sie wählte Sie, weil sie herausgefunden hatte, daß Hammil nicht mehr an der Macht war, und weil sie die jetzige Situation voraussah. Nun wird man allen Zorn an Ihnen auslassen und Ihnen den Rang aberkennen. Man wird Sie vor die Wahl stellen: Entweder Entehrung oder an die Front. Ich weiß, wie Ihre Entscheidung aussehen wird.«
Lemby stand gefaßt auf. »Sie zielen gut, Mr. Wireman; die Erde kann glücklich sein, Sie zu haben.«
Michael Wireman schaute auf. »Ich habe vor, mein Bestes zu tun.«
* * *
Ralph Wireman stand neben seinem Sohn und schaute vom Berggipfel hinunter. Er konnte dieses Neue an Michael noch immer nicht fassen. Er konnte es nicht verstehen.
»Jeden Tag lerne ich ein wenig dazu, Vater«, sagte Michael, müde dastehend. »Wie ich handeln muß und was zu geschehen hat. Jeder könnte das erlernen.«
»Das ist nicht wahr«, entgegnete Ralph Wireman schnell.
»Es ist wahr. Tut mir leid, Vater. Was dir schwierig erscheint, ist in Wirklichkeit nicht mehr als das, was jedes Baby lernen muß, wenn es zum erstenmal einem anderen Baby begegnet. Es muß lernen, was ihm gehört und was dem andern, und wie man diesbezüglich übereinkommen kann. Jedes Kind will zuerst immer alles für sich haben. Mit Kämpfen und Weinen werden die Grenzen schmerzvoll gezogen. Wenn das Kind dann größer ist, sieht es die begangenen Fehler ein: die Gemeinheiten, die Betrügereien, die nutzlosen Kämpfe, und muß mit dieser Erinnerung weiterleben. Es lebt weiter und läßt sich ständig von der Vergangenheit beeinflussen. Wenn es älter ist, sieht es, daß Irrtum Irrtum gebiert, daß Schande Schande zeugt und daß Betrug ebenso ein Teil der menschlichen Seele ist wie Treue. Und dann muß es lernen, damit zu leben, das ist alles.
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