»Wir haben unsere Quellen«, erklärte Igan.
»Aber weshalb braucht ihr mich?« fragte Svengaard. Er hielt die Augen gesenkt.
»Weil du eine einmalige Persönlichkeit bist«, antwortete Igan. »Und Potter braucht dich. Denn du kennst den Embryo der Durants.«
Also der Durantembryo, überlegte Svengaard. Alles führt also zu diesem Embryo zurück. Er sah auf, geradewegs in Igans Augen.
»Es fällt dir schwer, die Regenten so zu sehen, wie ich sie sehe, nicht wahr?« fragte Igan.
»Ja«, gab Svengaard zu.
»Sie sind eine Pest für die Erde, eine bösartige Krankheit!« Igans Worte klangen bitter, und Svengaard zuckte zusammen. »Saul hat Tausende vernichtet und David Zehntausende, aber die Regenten vernichten die Zukunft.«
Ein stämmiger Mann quetschte sich am Tisch vorbei und drehte Svengaard den Rücken zu. »Nun?« fragte er. Seine Stimme klang drängend. Svengaard versuchte das Gesicht des Mannes zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Er sah nur einen breiten Rükken in einer grauen Jacke.
»Ich weiß nicht«, antwortete Igan.
»Wir haben keine Zeit mehr«, meinte der Neuankömmling. »Potter ist mit seiner Arbeit fertig.«
»Und das Ergebnis?« wollte Igan wissen.
»Er sagt, es sei gut. Er hat Enzyminjektionen zur raschen Erholung gegeben. Die Mutter wird sehr bald transportfähig sein.« Eine breite Hand hob sich und deutete mit dem Daumen auf Svengaard. »Und was tun wir jetzt mit dem da?«
»Wir bringen ihn hin«, sagte Igan. »Und was macht die Zentrale?«
»Haftbefehl für alle Chirurgen.«
»Jetzt schon? Haben sie Dr. Hand schon erwischt?«
»Ja, aber er ist durch die schwarze Tür gegangen.«
»Herzstillstand«, nickte Igan. »Die einzige Möglichkeit. Wir können nicht riskieren, daß sie einen von uns ausquetschen. Wie viele sind wir jetzt noch?«
»Sieben.«
»Einschließlich Svengaard?«
»Acht mit ihm.«
»Svengaard behalten wir im Augenblick«, ordnete Igan an.
»Sie fangen schon damit an, ihre Spezialisten aus Seatac herauszuziehen.«
Svengaard konnte hinter dem breiten Rücken des Neuankömmlings nur ein Stück von Igans Gesicht erkennen, aber das war von Sorgen und tiefem Nachdenken zerfurcht.
»Das ist ganz klar«, sagte Igan.
»Ja, die zerstören jetzt die Hauptstadt.«
»Nicht zerstören — sterilisieren«, berichtete Igan.
»Hast du Allgood sprechen hören?«
»Ja, oft. Ein Parasit in ihrem Gehege. Er züchtigt die ganze Region, ohne mit der Wimper zu zucken. Ist alles bereit, daß wir verschwinden können?«
»Ja, alles bereit.«
»Der Fahrer?«
»Programmiert wie gewünscht.«
»Dann gebt Svengaard eine Spritze, damit er sich ruhig verhält. Wir haben keine Zeit für ihn, sind wir erst einmal unterwegs.«
Svengaard erstarrte. Der breite Mann drehte sich um. Svengaard begegnete grauen, abwägenden, glitzernden Augen, die kein Gefühl zeigten. Eine der wuchtigen Hände hob sich; sie hielt eine Injektionsspritze. Die Hand berührte seinen Nacken; er spürte einen kleinen Stich.
Die Dunkelheit, in die er sank, war weich wie ein Kissen.
Lizbeth lag auf einer Bank, Harvey saß neben ihr. Fünf Menschen waren in diesem Raum, zusammengepfercht, der kaum größer war als eine große Kiste. Diese Kiste hatte man unter die normale Ladung eines Überlandtransporters versteckt. Eine einzige Glühbirne über ihrem Kopf erhellte nur dürftig das winzige Gelaß. Sie sah Dr. Igan und Dr. Boumour gegenüber auf einer harten Bank sitzen; unter ihren ausgestreckten Beinen erkannte sie die gefesselte Gestalt des bewußtlosen Svengaard.
Draußen war es Nacht, hatte Harvey gesagt. Das hieß, daß man schon eine beträchtliche Strecke zurückgelegt haben mußte. Ihr war übel, und ihr Leib schmerzte dort, wo er genäht war. Der Gedanke, daß sie ihren Sohn nun in ihrem Körper trug, beruhigte sie; es war wie eine Erfüllung. Potter hatte gemeint, sie brauche, während sie ihren Sohn trug, keine zusätzlichen Enzyme. Wahrscheinlich hatte er daran gedacht, den Embryo wieder in einen Bruttank zu stecken, sobald sie einen sicheren Ort erreichten. Aber sie wußte, sie würde sich dagegen wehren. Sie wollte ihren Sohn voll austragen. Keine Frau hatte das seit Tausenden von Jahren getan, aber sie wünschte es.
»Wir legen Tempo zu«, sagte Igan. »Die Tunnels müßten wir schon hinter uns haben und auf dem Luftweg sein.«
»Müssen wir Kontrollen passieren?« fragte Boumour.
»Wahrscheinlich.«
Harvey dachte über Igans Feststellungen nach. Geschwindigkeit? Ja. In den Kurven spürte man den erhöhten Druck. Die Luft wirbelte etwas schneller durch den kleinen Ventilator unter Lizbeths Bank. Die Fahrt verlief stoßfreier, die Turbinen dröhnten, und er roch unverbranntes Hydrocarbon.
Er wußte nicht, was er darüber denken sollte, daß Lizbeth nun ihren Sohn im Körper trug. Das war seltsam. Nicht obszön, nicht ekelhaft, nur seltsam. Dieser Gedanke weckte seinen Beschützerinstinkt; er hielt nach Gefahren Ausschau, vor denen er sie bewahren konnte. Aber da gab es nur diese Kiste, die mit dem Geruch nach Öl und altem Schweiß angefüllt war.
»Welche Ladung ist da um uns herum aufgebaut?« fragte Boumour.
»Alles mögliche«, antwortete Igan. »Maschinenteile, alte Kunstwerke, allerhand verschiedener Kram. Wir haben alles genommen, was wir kriegen konnten, um eine möglichst normale Ladung zusammenzubringen.«
Kram, dachte Harvey. Sie führten Dinge mit, die zu nichts nütze sind.
Lizbeths Hand suchte nach der seinen. »Harvey?«
Er beugte sich über sie. »Ja, Liebes?«
»Ich fühle mich … so komisch.«
Harvey warf einen verzweifelten Blick auf die Ärzte.
»Oh, sie wird bald wieder ganz in Ordnung sein«, versicherte Igan.
»Harvey, ich fürchte mich«, flüsterte sie. »Wir kommen niemals durch.«
»Sowas sagt man nicht«, mahnte Igan.
Sie sah auf; der Genchirurg musterte ihr Gesicht. Seine Augen waren wie glitzernde Instrumente in einem mageren, hochmütigen Gesicht. Ist er auch ein Cyborg? fragte sie sich. Seine Augen waren so kalt.
»Um mich mache ich mir keine Sorgen«, flüsterte sie, »nur um meinen Sohn. Was ist mit ihm?«
»Am besten ist, Sie beruhigen sich«, riet Igan.
»Ich kann nicht!« stöhnte sie. »Wir werden nicht durchkommen!«
»So was sagt man nicht«, mahnte Igan. der beste Cyborg, den wir haben.«
»Aber er wird nie an ihnen vorbeikommen«, jammerte sie.
»Am besten ist, Sie halten den Mund«, sagte Igan.
»Wagen Sie es nur ja nicht, in dem Ton mit ihr zu sprechen!« fuhr Harvey auf. Endlich konnte er sie beschützen.
»Das gilt auch für Sie, Durant«, erklärte Igan und seufzte. »Sie wissen ebensogut wie ich, daß sie überall über Abhörstationen verfügen. Wir würden am besten gar nicht sprechen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.«
»Nichts kann ihnen heute entkommen«, flüsterte Lizbeth.
»Unser Fahrer ist wenig mehr als eine Hülle aus Fleisch um einen Reflexcomputer«, erklärte Igan, »und genau für diese Aufgabe programmiert. Wenn uns irgend jemand durchbringt, dann er.«
»Wenn überhaupt …« Sie begann zu weinen. Schließlich erschütterte das Schluchzen ihren ganzen Körper.
»Sehen Sie, was Sie getan haben?« fauchte Harvey.
Igan seufzte und reichte Harvey eine Kapsel. »Geben Sie ihr das hier.«
»Was ist das?« fragte Harvey.
»Ein Beruhigungsmittel.«
»Ich will kein Beruhigungsmittel«, jammerte sie.
»Das tut Ihnen gut, meine Liebe«, antwortete Igan. »Wirklich, Sie schaden sonst Ihrem Embryo. So kurz nach der Operation sollten Sie sich ruhig verhalten.«
»Sie will es aber nicht«, widersprach Harvey böse.
»Sie muß es nehmen«, befahl Igan.
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