Er wurde von seinem Adjutanten flankiert einem großen blonden Leutnant namens Jole. Miles hatte Jole bei seinem letzten Heimaturlaub getroffen. Nun, hier war ein vollkommener Offizier, tapfer und brillant — er hatte im Weltraum gedient, war dekoriert worden für etwas Mut und schnelles Denken während eines schrecklichen Unfalls an Bord, hatte verschiedene Abteilungen im Hauptquartier durchlaufen, während er sich von seinen Verletzungen erholte, und war dann prompt vom Premierminister, der einen scharfen Blick für vielversprechende neue Talente hatte, weggeschnappt und zu dessen militärischem Sekretär gemacht worden.
Obendrein noch prächtig aussehend, hätte er Vids zur Anwerbung von Rekruten machen sollen. Miles seufzte jedesmal in hoffnungsloser Eifersucht, wenn er ihm begegnete. Jole war noch schlimmer als Ivan, der zwar geheimnisvoll gutaussehend war, den aber noch nie jemand der Brillanz bezichtigt hatte.
»Danke, Jole«, murmelte Graf Vorkosigan seinem Adjutanten zu, als sein Blick auf Miles fiel. »Ich sehe Sie dann später im Büro.«
»Jawohl, Sir.« So entlassen ging Jole wieder hinaus, warf Miles und seinem Vorgesetzten nochmals einen besorgten Blick zu, und dann schloß sich die Tür wieder zischend.
Illyan hielt mit seiner Hand immer noch einen Knopf auf seinem Schreibtisch gedrückt.
»Sind Sie offiziell hier?«, fragte er Graf Vorkosigan.
»Nein.«
Illyan schaltete etwas aus — ein Aufnahmegerät, erkannte Miles. »Nun gut«, sagte er, doch in seiner Stimme klang Zweifel an.
Miles salutierte vor seinem Vater. Sein Vater ignorierte den militärischen Gruß, umarmte ihn ernst und wortlos, setzte sich auf den einzigen anderen Stuhl im Zimmer, überkreuzte seine Arme und seine gestiefelten Füße und sagte: »Fahren Sie fort, Simon.«
Illyan, der mitten in etwas unterbrochen worden war, was sich nach Miles’ Einschätzung zu einer wirklich klassischen Standpauke entwickelt hätte, kaute frustriert auf seiner Unterlippe.
»Die Gerüchte mal beiseite«, sagte er zu Miles, »was ist gestern abend auf dieser verdammten Insel wirklich geschehen?«
In den neutralsten und prägnantesten Ausdrücken, die ihm zur Verfügung standen, beschrieb Miles die Ereignisse des vorangegangenen Abends, beginnend mit dem Verschütten des Fetains und endend mit seiner Verhaftung durch die Kaiserliche Sicherheit.
Sein Vater sagte während der ganzen Erzählung gar nichts, aber er hatte einen Lichtgriffel in der Hand, den er ständig geistesabwesend herumdrehte und mit dem er sich immer wieder auf sein Knie klopfte.
Als Miles geendet hatte, herrschte Schweigen. Der Lichtgriffel trieb Miles zum Wahnsinn. Er wünschte, sein Vater würde das verdammte Ding weglegen oder fallen lassen oder was.
Sein Vater schob den Lichtgriffel wieder in seine Brusttasche, Gott sei Dank, lehnte sich zurück, legte seine Fingerspitzen zusammen und runzelte die Stirn. »Daß ich das richtig verstehe: du sagst, Metzov hat die Befehlskette übersprungen und Rekruten zu seinem Erschießungskommando gezwungen?«
»Zehn von ihnen. Ich weiß nicht, ob sie Freiwillige waren oder nicht, denn bei der Auswahl war ich nicht zugegen.«
»Rekruten.« Graf Vorkosigans Gesicht war düster. »Jungen.«
»Er brabbelte etwas, es sei wie Armee gegen Marine, damals auf der guten alten Erde.«
»Was?«, sagte Illyan.
»Ich glaube, daß Metzov nicht sehr stabil war, als er nach seinen Schwierigkeiten bei der Revolte von Komarr auf die Insel Kyril ins Exil geschickt wurde, und fünfzehn Jahre des Brütens darüber haben seinen Geisteszustand nicht verbessert.« Miles zögerte. »Wird … General Metzov überhaupt über seine Aktionen befragt?«
»General Metzov hat nach deiner Darstellung«, sagte Admiral Vorkosigan, »einen Zug von Achtzehnjährigen in etwas hineingezogen, das um Haaresbreite ein Massenmord geworden wäre.«
Miles nickte in Erinnerung an die Ereignisse. Sein Körper schmerzte noch von den verschiedenen Qualen.
»Für dieses Vergehen gibt es kein Loch, das tief genug wäre, um ihn vor meinem Zorn zu verstecken. Man wird sich mit Metzov befassen, auf jeden Fall.«
Graf Vorkosigan klang erschreckend grimmig. »Was geschieht mit Miles und den Meuterern?«, fragte Illyan.
»Notwendigerweise werden wir das als eine getrennte Angelegenheit behandeln müssen, fürchte ich.«
»Oder zwei getrennte Angelegenheiten«, regte Illyan an.
»Mm. Also, Miles, erzähl mir über die Männer, auf die gezielt wurde.«
»Meistens Techniker, Sir. Eine Menge Griechen.«
Illyan zuckte zusammen. »Guter Gott, hatte denn der Mann überhaupt kein politisches Gespür?«
»Keines, das ich je wahrgenommen hätte. Ich dachte, das würde ein Problem werden.« Nun ja, später hatte er daran gedacht, als er auf seiner Pritsche in der Zelle wach lag, nachdem die Sanitäter gegangen waren. Da waren ihm die anderen politischen Weiterungen durch den Kopf gegangen.
Über die Hälfte der langsam erfrierenden Techniker hatten zur griechisch sprechenden Minderheit gehört. Die Sprachseparatisten hätten auf den Straßen einen Aufruhr veranstaltet, wenn aus dem Vorfall ein Massaker geworden wäre, sie hätten dann sicher behauptet, der General habe den Griechen aus rassistischer Schikane die Aufräumung des Fetains befohlen.
Mehr Tote, Chaos als Echo wie bei den Folgen des SolsticeMassakers? »Es … kam mir der Gedanke, wenn ich mit ihnen sterben würde, dann wäre es zumindest ganz klar, daß dies kein Komplott deiner Regierung oder der Vor-Oligarchie gewesen war. Also, wenn ich überlebte, hätte ich gewonnen, und falls ich gestorben wäre, hätte ich auch gewonnen. Oder zumindest gedient. Eine Art Strategie.«
Barrayars größter Strategie dieses Jahrhunderts rieb seine Schläfen, als ob sie ihm schmerzten. »Nun ja … eine Art, ja.«
»Also«, Miles schluckte, »was geschieht jetzt, meine Herren? Werde ich des Hochverrats angeklagt?«
»Zum zweiten Mal in vier Jahren?« sagte Illyan. »Zum Teufel, nein. Ich mache das nicht noch einmal mit. Ich werde dich einfach verschwinden lassen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Wohin, das habe ich noch nicht ganz ausgeknobelt. Die Insel Kyril geht ja nicht mehr.«
»Freut mich, das zu hören.« Miles kniff seine Augen zusammen. »Was ist mit den anderen?«
»Den Rekruten?«, sagte Illyan.
»Den Technikern. Meinen … Mitmeuterern.«
Illyan zuckte bei diesem Wort zusammen.
»Es wäre eine bedenkliche Ungerechtigkeit, wenn ich aufgrund von Vor-Privilegien davonkäme und sie auf der Anklagebank allein zurückließe«, fügte Miles an.
»Der öffentliche Skandal deines Prozesses würde die zentristische Koalition deines Vaters gefährden. Deine moralischen Skrupel mögen bewundernswert sein, Miles, aber ich bin mir nicht sicher, daß ich sie mir leisten kann.«
Miles blickte unverwandt auf den Premierminister Graf Vorkosigan. »Sir?«
Graf Vorkosigan saugte nachdenklich an seiner Unterlippe.
»Ja, ich könnte die Anklagen gegen sie niederschlagen lassen, durch kaiserlichen Erlaß. Das würde allerdings einen anderen Preis fordern.« Er lehnte sich gespannt nach vorn und blickte Miles eindringlich an. »Du könntest nie wieder dienen. Gerüchte wandern auch ohne einen Prozeß. Kein Kommandant würde dich danach haben wollen. Keiner könnte dir vertrauen, könnte glauben, daß du ein wirklicher Offizier bist, nicht ein Artefakt, das durch besondere Privilegien geschützt wird. Ich kann niemanden bitten, dich zu befehligen, wenn er dabei ständig seinen Hals verdrehen müßte.«
Miles atmete langsam und hörbar aus. »In einem seltsamen Sinn waren sie meine Männer. Tu es. Schlage die Anklagen nieder.«
»Wirst du dann deine Offiziersstelle aufgeben?«, fragte Illyan. Er sah enttäuscht aus.
Miles war übel, er fühlte sich dem Erbrechen nahe und ihm war kalt. »Werde ich.« Seine Stimme klang dünn.
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