Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie überraschte Gesichter machen. Aber reines Eisen kommt in der Natur nie vor — es rostet zu leicht. Die einzige Bezugsquelle für den primitiven Menschen waren Meteoriten. Kein Wunder, daß man sie verehrte; kein Wunder, daß unsere Vorfahren an übernatürliche Wesen jenseits des Himmels glaubten…
Passiert hier die gleiche Geschichte noch einmal? Ich möchte Sie dringend darum bitten, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Vielleicht sammeln sie die Metalle aus reiner Neugier und weil sie von ihren — soll ich sagen, magischen? — Eigenschaften fasziniert sind. Aber werden sie herausfinden, daß man sie nicht nur als Schmuck verwenden kann? Wie weit können sie fortschreiten — solange sie unter Wasser bleiben? Werden sie dort bleiben?
Meine Freunde, ich glaube, Sie sollten soviel über die Skorps in Erfahrung bringen, wie Sie nur irgend können. Vielleicht teilen Sie Ihren Planeten mit einer zweiten, intelligenten Rasse. Wollen Sie mit ihr zusammenarbeiten oder sie bekämpfen? Selbst wenn die Skorps nicht wirklich intelligent sind, könnten sie eine tödliche Bedrohung sein — oder ein nützliches Werkzeug. Vielleicht sollten Sie Beziehungen zu ihnen pflegen? Übrigens, sehen Sie in Ihren Historischen Speichern unter dem Stichwort ‚Cargo-Kult‘ nach… ich buchstabiere: C-A-RG-O — K-U-L-T.
Ich wüßte zu gerne, wie das nächste Kapitel dieser Geschichte lautet. Sammeln sich jetzt schon die SkorpPhilosophen in den Tangwäldern — um darüber nachzudenken, was sie mit uns anfangen sollen?
Ich bitte Sie deshalb, reparieren Sie die Tiefenraumantenne, damit wir in Kontakt bleiben können! Der Computer der ‚Magellan‘ wird Ihren Bericht erwarten — während er auf dem Weg nach Sagan Zwei über uns wacht.“
46. Welche Götter es auch geben mag…
„Was ist Gott?“ wollte Mirissa wissen.
Kaldor seufzte und schaute von dem jahrhundertealten Computerbild auf, das er gerade überflog.
„O je. Warum fragen Sie das?“
„Weil Loren gestern sagte: ‚Moses meint, die Skorps suchen vielleicht nach Gott.‘“
„Hat er das wirklich gesagt? Ich werde später mit ihm sprechen. Und Sie, junge Dame, wollen, daß ich Ihnen etwas erkläre, wovon Millionen von Menschen Tausende von Jahren lang besessen waren und was mehr Worte hervorgebracht hat als j eder andere Einzelbereich in der Geschichte. Wieviel Zeit können Sie heute vormittag erübrigen?“
Mirissa lachte. „Oh, mindestens eine Stunde. Haben Sie nicht einmal gesagt, daß alles, was wirklich wichtig ist, in einem einzigen Satz ausgedrückt werden kann?“
„Hm… Nun, ich bin schon auf einige äußerst langatmige Sätze gestoßen. Nun, wo soll ich anfangen…?“
Er ließ seinen Blick über die Lichtung vor dem Bibliotheksfenster und über den stummen — und doch so beredten — Rumpf des Mutterschiffs wandern, der sie überragte. Hier hat auf diesem Planeten das menschliche Leben begonnen; kein Wunder, daß er mich oft an Eden erinnert. Soll ich die Schlange sein, die seine Unschuld zerstören will? Aber ich werde einem Mädchen, das so klug ist wie Mirissa, nichts erzählen, was sie nicht schon weiß — oder errät.
„Die Schwierigkeit mit dem Wort ‚Gott‘ ist“, begann er langsam, „daß es noch niemals für zwei Menschen das gleiche bedeutet hat — besonders, wenn es Philosophen waren. Deshalb ist es im Laufe des dritten Jahrtausends allmählich aus dem Sprachgebrauch verschwunden, außer als Kraftausdruck — in einigen Kulturen, so obszön, daß man es in anständiger Gesellschaft nicht verwenden konnte. Statt dessen wurde es von einer ganzen Ansammlung von Spezialausdrücken ersetzt. Dadurch wurde wenigstens erreicht, daß die Leute nicht mehr aneinander vorbeireden konnten, wodurch in der Vergangenheit neunzig Prozent der Probleme entstanden waren.
Der Persönliche Gott, manchmal Gott Eins genannt, wurde zu Alpha. Er war die hypothetische Entität, von der man annahm, daß sie über das tägliche Leben wache — über jedes Individuum, jedes Tier sogar! — und daß sie das Gute belohne und das Böse bestrafe, gewöhnlich in einer vage beschriebenen Existenz nach dem Tode. Man verehrte Alpha, man betete zu ihm, führte komplizierte, religiöse Zeremonien durch und baute riesige Kirchen zu seinen Ehren…
Dann gab es den Gott, der das Universum geschaffen und seither etwas damit zu tun gehabt hatte oder auch nicht. Das war Omega. Als die Philosophen damit fertig waren, Gott zu sezieren, hatten sie auch alle weiteren ungefähr zwanzig Buchstaben des altgriechischen Alphabets verbraucht, aber für heute vormittag sind Alpha und Omega völlig ausreichend. Ich würde schätzen, daß die Menschen mehr als zehn Milliarden Lebensjahre damit verbracht haben, über die beiden zu diskutieren. Alpha war unentwirrbar mit Religion verstrickt — und das war sein Verderben. Er hätte sich bis zur Zerstörung der Erde halten können, wenn sich die Myriaden miteinander konkurrierender Religionen in Ruhe gelassen hätten. Aber dazu waren sie nicht fähig, weil jede behauptete, die Eine und Einzige Wahrheit zu besitzen. Deshalb mußten sie ihre Rivalen vernichten — und das bedeutete letzten Endes, nicht nur jede andere Religion, sondern auch Abweichler innerhalb des eigenen Glaubens.
Das ist jetzt natürlich eine grobe Vereinfachung: gute Männer und Frauen wuchsen oft über ihren Glauben hinaus, und es ist durchaus möglich, daß für die frühen menschlichen Gesellschaften die Religion wesentlich war. Ohne übernatürliche Sanktionen, die sie im Zaum hielten, hätten die Menschen vielleicht nie in größeren Verbänden als einem Stamm zusammengearbeitet. Erst als die Religion durch Macht und Privilegien korrumpiert wurde, wurde sie eine im Innersten antisoziale Kraft, und all das Gute, das sie geleistet hatte, wurde durch die noch größeren Missetaten verdunkelt.
Sie haben hoffentlich nie von der Inquisition, von Hexenjagden und von Heiligen Kriegen gehört. Würden Sie glauben, daß es bis weit ins Raumzeitalter hinein Nationen gab, in denen man Kinder offiziell hinrichten konnte, weil ihre Eltern einer ketzerischen Teilmenge der besonderen Alpha-Marke dieses Staates anhingen? Sie machen ein schockiertes Gesicht, aber diese Dinge -
und noch schlimmere — geschahen, während unsere Vorfahren begannen, das Sonnensystem zu erforschen.
Zum Glück für die Menschheit verschwand Alpha zu Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts mehr oder weniger elegant von der Bildfläche. Er wurde das Opfer einer faszinierenden Entwicklung, die man ‚Statistische Theologie‘ nannte. Wieviel Zeit habe ich noch? Wird Bobby nicht ungeduldig werden?“
Mirissa schaute aus dem großen Panoramafenster. Der Palomino rupfte ganz fröhlich das Gras um das Mutterschiff herum ab und war sichtlich vollauf zufrieden.
„Er wird nicht weglaufen — solange es hier etwas zu fressen gibt. Was war die Statistische Theologie?“
„Das war der letzte große Ansturm auf das Problem des Bösen. Was zur Entscheidung führte, war die Entstehung eines sehr exzentrischen Kults — seine Anhänger nannten sich die Neo-Manichäer; bitte fragen Sie mich nicht, warum! — um das Jahr 2050. Übrigens war es die erste ‚orbitale‘ Religion; obwohl auch alle anderen Glaubensrichtungen mit Nachrichtensatelliten gearbeitet hatten, um ihre Lehren weltweit zu verbreiten, stützten sich die NM ausschließlich auf sie. Sie hatten keinen Versammlungsort außer dem Fernsehschirm.
Trotz dieser Abhängigkeit von der Technik war ihre Tradition eigentlich sehr alt. Sie glaubten, daß Alpha zwar existierte, aber völlig böse sei — und daß es die letzte Bestimmung der Menschheit sei, sich ihm zu stellen und ihn zu vernichten.
Um ihren Glauben zu stützen, ließen sie eine gewaltige Reihe abscheulicher Tatsachen aus der Geschichte und der Zoologie aufmarschieren. Ich glaube, es waren wohl ziemlich kranke Menschen, denn es schien ihnen ein morbides Vergnügen zu bereiten, solches Material zu sammeln.
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