Der ‚Wille-Gottes-Kult‘ glaubte genau das Gegenteil. Der Jüngste Tag war endlich gekommen, und man sollte keinen Versuch unternehmen, ihm zu entgehen. Ja, man sollte ihn willkommen heißen, denn nach dem Gericht würden jene, die einer Rettung wert waren, in ewiger Glückseligkeit leben.
Und so kamen die Cauldwelliten und der WGK von völlig entgegengesetzten Voraussetzungen ausgehend zu demselben Schluß: Die menschliche Rasse sollte nicht versuchen, ihrem Schicksal zu entgehen. Alle Sternenschiffe mußten vernichtet werden.
Vielleicht war es ein Glück, daß die beiden gegnerischen Kulte so bitter verfeindet waren, daß sie nicht einmal zu einem Zweck, von dem sie beide überzeugt waren, zusammenzuarbeiten vermochten. Ja, nach dem Tod von Präsidentin Windsor war ihre Feindseligkeit in mörderische Gewalttätigkeit umgeschlagen. Jemand — wahrscheinlich war es das Weltsicherheitsbüro, obwohl Beys Kollegen das ihm gegenüber niemals zugegeben hatten — setzte das Gerücht in Umlauf, die Bombe sei vom WGK gelegt und der Zeitzünder von den Cauldwelliten demoliert worden. Auch die genau entgegengesetzte Version wurde gerne verbreitet; eine von beiden hätte sogar wahr sein können.
All das war Geschichte, war jetzt außer ihm selbst nur noch einer Handvoll Menschen bekannt und würde bald vergessen sein. Aber es war doch sonderbar, daß die ‚Magellan‘ nun wieder von Sabotage bedroht wurde.
Anders als der WGK und die Cauldwelliten waren die Sabras sehr kompetent und hatten nicht vor lauter Fanatismus den Verstand verloren. Sie könnten daher ein größeres Problem darstellen, aber Kapitän Bey glaubte zu wissen, wie er damit fertigwerden konnte.
Du bist ein guter Mann, Owen Fletcher, dachte er grimmig. Aber ich habe schon bessere getötet. Und wenn es keine andere Möglichkeit gab, habe ich auch zur Folter gegriffen.
Er war ziemlich stolz darauf, daß er das nie genossen hatte; und diesmal gab es eine bessere Möglichkeit.
Und nun gab es auf der ‚Magellan‘ ein neues Besatzungsmitglied, das vorzeitig aus dem Schlaf geholt worden war und sich erst noch an die Realitäten der Situation anpassen mußte — genau wie Kaldor vor einem Jahr. So ein Vorgehen war nur durch einen Notfall zu rechtfertigen. Aber den Computerunterlagen nach besaß nur Dr. Marcus Steiner, einst Chefwissenschaftler der Terranischen Ermittlungsbehörde das Wissen und die Fähigkeiten, die jetzt leider gebraucht wurden.
Unten auf der Erde hatten ihn seine Freunde oft gefragt, warum er sich dafür entschieden hätte, Professor für Kriminologie zu werden. Und er hatte immer die gleiche Antwort gegeben: „Die einzige Alternative war, Krimineller zu werden.“
Steiner hatte fast eine Woche gebraucht, um die enzephalographische Standardausrüstung des Krankenreviers abzuändern und die Computerprogramme zu überprüfen. Inzwischen durften die vier Sabras ihre Unterkunft nicht verlassen, und sie weigerten sich hartnäckig, irgendein Schuldgeständnis abzulegen.
Owen Fletcher machte kein sehr fröhliches Gesicht, als er sah, welche Vorbereitungen man für ihn getroffen hatte; da gab es zu viele Ähnlichkeiten mit elektrischen Stühlen und Foltergeräten aus der blutigen Geschichte der Erde. Dr. Steiner vermittelte ihm, mit der synthetischen Vertraulichkeit des guten Vernehmungsbeamten, schnell ein Gefühl der Sicherheit.
„Es gibt nichts, wovor Sie erschrecken müßten, Owen — ich verspreche Ihnen, Sie werden überhaupt nichts spüren. Sie werden sich der Antworten, die Sie mir geben, nicht einmal bewußt sein — aber Sie haben keine Möglichkeit, die Wahrheit zu verbergen. Weil Sie ein intelligenter Mensch sind, werde ich Ihnen genau erklären, was ich vorhabe. Überraschenderweise hilft mir das bei meiner Arbeit; ob Sie wollen oder nicht, Ihr Unterbewußtsein wird mir vertrauen — und mit mir zusammenarbeiten.“
Was für ein Unsinn, dachte Leutnant Fletcher; er glaubt doch wohl nicht, daß er mich so leicht übertölpeln kann! Aber er gab keine Antwort, als er in den Stuhl gesetzt wurde und die Sanitäter Lederriemen locker um seine Unterarme und seine Taille befestigten. Er versuchte nicht, Widerstand zu leisten; zwei seiner größten Ex-Kollegen standen verlegen im Hintergrund und wichen seinem Blick sorgfältig aus.
„Wenn Sie etwas zu trinken haben wollen oder auf die Toilette müssen, brauchen Sie es nur zu sagen. Die erste Sitzung wird genau eine Stunde dauern; vielleicht brauchen wir später noch ein paar kürzere. Wir möchten, daß Sie entspannt sind und sich wohlfühlen.“
Unter den gegebenen Umständen war dies eine höchst optimistische Bemerkung, aber niemand schien sie im mindesten komisch zu finden.
„Tut mir leid, daß wir Ihnen den Kopf rasieren mußten, aber Schädelelektroden haben etwas gegen Haare. Und wir müssen Ihnen die Augen verbinden, damit wir keine visuellen Inputs auffangen, die nur Verwirrung stiften… Sie werden jetzt allmählich schläfrig, aber Sie bleiben voll bei Bewußtsein… Wir werden Ihnen eine Reihe von Fragen stellen, auf die es nur drei mögliche Antworten gibt — ‚Ja‘, ‚Nein‘ oder ‚Ich weiß nicht‘. Aber nicht Sie müssen antworten; das wird Ihr Gehirn für Sie tun, und das trinärlogische System des Computers wird verstehen, was es sagt.
Es gibt absolut keine Möglichkeit, wie Sie uns anlügen können; Sie dürfen es sehr gerne versuchen! Glauben Sie mir, einige der besten Köpfe auf der Erde haben diese Maschine erfunden — und sie konnten sie nie täuschen. Wenn sie zweideutige Antworten bekommt, formuliert der Computer einfach die Fragen anders. Sind Sie bereit? — Schön… Aufzeichnungsgerät bitte an… Zunahme auf Kanal 5 überprüfen… Programm läuft.“
SIE HEISSEN OWEN FLETCHER… ANTWORTEN SIE JA… ODER NEIN…
SIE HEISSEN JOHN SMITH… ANTWORTEN SIE JA… ODER NEIN…
SIE WURDEN IN LOWELL CITY, MARS GEBOREN… ANTWORTEN SIE JA… ODER NEIN… SIE HEISSEN JOHN SMITH… ANTWORTEN SIE JA… ODER NEIN…
SIE WURDEN IN AUCKLAND, NEUSEELAND GEBOREN…
… ANTWORTEN SIE JA… ODER NEIN…
SIE HEISSEN OWEN FLETCHER…
SIE WURDEN AM 3. MÄRZ 3585 GEBOREN…
SIE WURDEN AM 31. DEZEMBER 3584 GEBOREN…
Die Fragen kamen in so kurzen Abständen, daß Fletcher, selbst wenn er nicht unter dem Einfluß leichter Beruhigungsmittel gestanden hätte, keine falschen Antworten hätte geben können. Und es hätte auch nichts ausgemacht, wenn er es getan hätte; innerhalb von wenigen Minuten hatte der Computer das Muster seiner automatischen Reaktionen auf alle Fragen aufgestellt, auf die die Antworten schon bekannt waren.
Von Zeit zu Zeit wurde die Kalibrierung überprüft (SIE HEISSEN OWEN FLETCHER… SIE WURDEN IN CAPETOWN, ZULULAND GEBOREN…) und gelegentlich wurden Fragen wiederholt, um schon gegebene Antworten zu bestätigen. Das ganze Verfahren lief völlig automatisch ab, sobald die physiologische Konstellation von JA-NEIN-Reaktionen einmal festgestellt war.
Die primitiven ‚Lügendetektoren‘ hatten das auch versucht und recht gute Erfolge erzielt — aber selten vollständige Sicherheit. Es hatte nicht mehr als zweihundert Jahre gedauert, um die Technik zu vervollkommnen und damit die Rechtspraxis im Strafrecht wie im Zivilrecht so weit zu revolutionieren, daß nur wenige Prozesse noch länger als ein paar Stunden dauerten.
Es war nicht so sehr ein Verhör als eine computerisierte — und betrugssichere — Version des alten Spiels ‚Zwanzig Fragen‘. Im Prinzip konnte jede Information mit einer Serie von JA-NEIN-Fragen schnell lokalisiert werden, und es war erstaunlich, wie selten man mehr als zwanzig dieser Fragen brauchte, wenn ein menschlicher Fachmann mit einer sachverständigen Maschine zusammenarbeitete.
Als Owen Fletcher genau eine Stunde später ziemlich betäubt aus dem Stuhl taumelte, hatte er keine Ahnung, wonach man ihn gefragt und wie er geantwortet hatte. Er war jedoch ziemlich zuversichtlich, daß er nichts verraten hatte.
Читать дальше