„Tut mir leid“, gab ich lächelnd zurück, „ich habe schon gefrühstückt und pflege niemals zwischen den Mahlzeiten zu essen. Außerdem dürften deine Konten gesperrt sein, Adelaide. Entmündigung, unter Vormundschaft und so weiter. Habe ich recht?“
„Nein, du irrst dich. Chase Manhattan zahlt auf jeden meiner Schecks.“
„Na schön, aber ich habe wirklich keinen Appetit. Kommen wir lieber auf die Träume zurück.“
Das Gespräch hatte mich so in Anspruch genommen, daß ich neben allem anderen auch meine linke Körperhälfte vergessen hatte. Sie meldete sich von selbst: Wir hatten die kritische Schnecke bereits hinter uns gelassen, als ich dem Millionär plötzlich ein Bein stellte und mit einem Faustschlag ins Genick nachhalf, daß er der Länge lang auf den Rasen fiel. Ich erzähle das in der ersten Person, obwohl meine linken Extremitäten die Täter waren. Es galt, das Gesicht zu wahren.
„Entschuldige bitte“, sagte ich und suchte alle verfügbare Herzlichkeit in meine Stimme zu legen, „entschuldige, aber das war mein Traum.“ Ich half ihm beim Aufstehen. Er war weniger beleidigt als verstört. So war er offenbar noch nie behandelt worden, weder innerhalb noch außerhalb des Sanatoriums.
„Du läßt dir wirklich was einfallen“, sagte er und klopfte die Erdkrumen vom Pyjama. „Mach das aber nicht wieder, sonst bekomme ich einen Bandscheibenvorfall. Außerdem könnte ich anfangen, mal von dir zu träumen“, setzte er mit einem fiesen Grinsen hinzu. „Was hast du eigentlich?“
„Nichts.“
„Das ist klar, aber warum bist du hier?“
„Ich muß ein bißchen ausspannen.“
In der Tiefe einer schattigen Allee erblickte ich Doktor Hous. Durch Winken bedeutete er mir, ich solle kommen, dann wandte er sich um und verschwand in einem Pavillon.
„Für mich wird es Zeit, Adelaide“, sagte ich und klopfte dem Millionär auf die Schulter. „Das nächste Mal träumen wir weiter.“
Aus der offenen Tür wehte es angenehm kühl. Die Klimaanlage lief völlig geräuschlos, die Wände waren von einem blassen Grün, es herrschte eine Stille wie im Innern einer Pyramide. Teppichboden, weiß wie Eisbärenfell, dämpfte jeden Schritt. Hous erwartete mich in seinem Arbeitszimmer. Auch Tarantoga war da, er machte mir einen recht verlegenen Eindruck, wie er eine pralle Mappe auf den Knien hielt, Papiere herausnahm und wieder hineinstopfte. Hous wies auf einen Sessel, ich nahm mit dem unangenehmen Gefühl Platz, auf eine Sache zurückkommen zu müssen, die ich nur loswerden konnte, wenn ich mich selber los wurde.
Hous blieb an seinem Schreibtisch sitzen und nahm sich eine Zeitung vor. Tarantoga fand endlich die gesuchten Papiere.
„Ja, mein lieber Ijon, so sieht das nun aus … Ich war bei zwei hochrenommierten Juristen, um deine Lage unter rechtlichem Aspekt definieren zu lassen. Den eventuellen Mandanten habe ich natürlich nicht mit Namen genannt, auch von deiner Mission habe ich nichts gesagt, sondern die Geschichte so vorgetragen, daß nur der Kern des Falles blieb: Jemand hatte Zugang zu Problemen höchster Geheimhaltungsstufe, er sollte sich damit vertraut machen und einem Organ der Regierung Bericht erstatten. Zwischen dem ersteren und dem letzteren wurde er einer Kallotomie unterzogen. Er hat einen Teil dessen, was er erkundet hatte und weitergeben sollte, vergessen, weil es höchstwahrscheinlich in der rechten Halbkugel seines Gehirns steckt. Inwieweit ist er gegen seine Auftraggeber verpflichtet? Wie weit dürfen sie legal gehen, um diese Informationen zu bekommen? Beide erklärten die Angelegenheit für schwierig, es handle sich um einen Präzedenzfall. Ein Gericht, das zu entscheiden hätte, werde Sachverständige berufen und könne deren Ansicht folgen, müsse es aber nicht. Jedenfalls brauchst du dich ohne Gerichtsurteil keinerlei Untersuchungen oder Tests unterziehen zu lassen, falls jene Institution diese verlangen sollte.“
Doktor Hous blickte von seiner Zeitung auf.
„Das ist eine merkwürdig lustige Geschichte“, sagte er, entnahm einer Schublade eine Tüte Pfefferkuchen und leerte sie auf einen Teller, den er mir hinschob. „Ich weiß, Herr Tichy, Sie finden das durchaus nicht lustig, aber jedes Paradoxon von der Art des Circulus vitiosus bereitet nun mal Spaß. Wissen Sie, was Lateralisierung ist?“
„Natürlich“, erwiderte ich und sah voller Abneigung meiner linken Hand zu, die einen Pfefferkuchen ergriff, obgleich ich nicht den geringsten Appetit hatte. Um mich nicht zum Narren zu machen, nahm ich das Gebäck dennoch in den Mund. „Ich habe genug darüber gelesen. Beim normalen Menschen ist die linke Gehirnhalbkugel dominierend, weil sie für die Sprache zuständig ist. Die rechte ist im allgemeinen stumm, versteht aber einfache Sätze und kann manchmal sogar ein bißchen lesen, das eine wie das andere jedoch in unterschiedlichem Grade. Ist die linke Lateralisierung nicht stark ausgeprägt, kann die rechte Halbkugel über entsprechend mehr Selbständigkeit verfügen — auch im Gebrauch der Sprache. Sehr selten kommt es vor, daß es eine Lateralisierung fast gar nicht gibt. Dann befinden sich die Sprachzentren in beiden Halbkugeln, was zum Stottern oder zu anderen Störungen führen kann …“
„Sehr gut.“ Hous lächelte mir freundlich zu. „Aus dem, was ich erfahren habe, ziehe ich den Schluß, daß Ihr linkes Gehirn (so nennen wir das nämlich zuweilen auch) deutlich dominiert, das rechte aber überdurchschnittlich aktiv ist. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht, dazu bedürfte es längerer Untersuchungen.“
„Und wo liegt das Paradoxon?“ fragte ich und suchte möglichst unauffällig die linke Hand wegzuschieben, die mir wieder einen Pfefferkuchen in den Mund stecken wollte.
„Ob eine Befragung Ihres rechten Gehirns einen realen Nutzen bringt, hängt davon ab, wie groß die rechtsseitige Lateralisierung ist. Um zu erfahren, ob eine solche Befragung überhaupt der Mühe wert ist, muß zuerst die Größe der Lateralisierung bestimmt werden. Das heißt, Sie müssen untersucht werden, aber um Sie untersuchen zu können, braucht man Ihr Einverständnis. Das bedeutet, daß die vom Gericht berufenen Sachverständigen nicht mehr sagen können als ich jetzt: Der Befund wird vom Ausmaß der Lateralisierung bei Ijon Tichy abhängen, die man ohne Untersuchung nicht bestimmen kann. Man müßte Sie also untersuchen, um darüber befinden zu können, ob man Sie untersuchen muß. Verstehen Sie?“
„Ja. Und was raten Sie mir, Doktor?“
„Ich kann Ihnen nichts raten, weil ich in der gleichen Situation bin wie jene Sachverständigen mitsamt dem Gericht. Niemand auf der Welt, Sie eingeschlossen, weiß, was Ihr rechtes Gehirn enthält. Sie sind auf die Idee gekommen, die Taubstummensprache anzuwenden, auch das ist bereits versucht worden, aber ohne wesentliche Resultate, weil die rechte Lateralisierung in diesen Fällen zu schwach war.“
„Mehr können Sie mir also wirklich nicht sagen?“
„Doch. Wenn Sie Ärger vermeiden wollen, tragen Sie Ihren linken Arm in der Binde oder noch besser in Gips. Er verrät Sie.“
„Was verstehen Sie darunter?“
Hous wies schweigend auf den Teller mit den Pfefferkuchen.
„Das rechte Gehirn hat Süßigkeiten im allgemeinen lieber als das linke. Das ist statistisch erwiesen. Ich wollte Ihnen eine simple Methode demonstrieren, deren sich jemand bedienen könnte, um über den Daumen Ihre Lateralisierung zu bestimmen. Als Rechtshänder müßten Sie die Pfefferkuchen mit der Rechten ergreifen — oder gar nicht.“
„Wie lange und wozu soll ich den Arm in Gips legen? Was habe ich davon?“
Hous zuckte kaum merklich die Achseln.
„Schön, ich will Ihnen sagen, was ich eigentlich nicht sagen dürfte. Sie haben gewiß von den Piranhas gehört?“
„Ja, das sind so kleine, sehr blutgierige Fische.“
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