Melnikow sah den Kommandanten an.
„Landen!“ befahl Belopolski. „Es ist ungewiß, wo und wann wir anderes Land finden.“ Das Schiff beschrieb einen weiten Halbkreis und setzte zur Landung an.
Die Triebwerke verstummten, und im Gleitflug strich „SSSRKS 3“ dicht über die Wasseroberfläche, warf vor seinem spitzen Bug schäumende Wogen auf, tauchte allmählich tiefer ein und glitt auf seinem flachgestuften Rumpf wie ein gigantisches Boot dahin. Die Tragflächen wurden eingefahren, und der langgestreckte zigarrenähnliche Schiffskörper kam hundert Meter vom Ufer entfernt zur Ruhe.
Sekundenlang verharrten alle Besatzungsmitglieder auf ihren Plätzen. Eine ganz besondere Stille schien eingetreten. Sacht wiegte sich das Schiff. Dann stürmten alle zur Steuerzentrale.
Unter einmütigem Beifall umarmten sich die beiden Kommandanten. „Freunde“, sagte Belopolski. „Die erste Hälfte unserer Fahrt, die schwierigste, liegt hinter uns. Wir haben unser Ziel erreicht. ›SSSR-KS 3‹ ist auf der Venus gelandet. Ich möchte Ihnen allen danken! Wir denken in dieser glücklichen Stunde aber auch an diejenigen, die uns durch ihre Arbeit auf der Erde zu diesem Glück verholfen haben, an die Erbauer unseres herrlichen Schiffes. Ihnen sei Ehre und Ruhm! Voller Dankbarkeit denken wir an unseren Lehrer und Freund Sergej Alexandrowitsch Kamow. Er steht nicht an unserer Seite, aber in Gedanken ist er bei uns. Wir sind auf der Venus! Doch — nicht alle, die von der Erde starteten, haben sie erreicht. Um unsern Erfolg hat sich auch unser Leonid Nikolajewitsch verdient gemacht.
Ehren wir das Andenken unseres gefallenen Genossen durch eine Minute des Schweigens.“
Die Kosmonauten durften mit Recht sagen: „Wir haben es geschafft!“ Überraschend hatte die Venus ihnen einen natürlichen Hafen geboten, der gegenüber jener Flußmündung, die Kamow und seine Begleiter beim vorigen Venusflug gesehen hatten, viele Vorzüge besaß.
Auf dem Fluß hätte man gegen die Strömung kämpfen müssen — in der Bucht gab es keine. Der Fluß wäre völlig deckungslos gewesen — in der Bucht schützten hohe steile Felsen das Schiff sicher gegen Sturm und Wellenschlag. Seewärts war die Bucht durch eine weit vorspringende felsige Landzunge geschützt. Von welcher Seite der Wind auch wehen mochte, das Wasser in diesem Fjord würde ruhig bleiben.
Es fehlte eigentlich nur noch der Sonnenschein, und man hätte die Gegend sogar schön nennen können. Ein dünner Nebel stieg von den dunkelblauen Wassern auf, und die Männer fühlten sich wie an einem frühen Sommermorgen auf der Erde. Das braune Steilufer krönte eine dichte Wand aus Gewächsen und mächtigen Bäumen, die seltsame Formen und alle Schattierungen von Orange, Rot und Gelb aufwiesen. Die Baumstämme waren rosafarben — ein für das Auge der Erdbewohner befremdlicher Anblick —, und ein dichtes Netz von Lianen umrankte sie. So sah es jedenfalls von weitem aus. Allem Anschein nach war dieser Wald schwer zugänglich.
Statt blauen Himmels spannte sich eine düstere, von Blitzen durchzuckte dicke Wolkendecke über Fjord und Wald. Und an Stelle hellen Sonnenlichts herrschte trüber Dämmerschein, der die Umrisse verwischte und die Landschaft sonderbar durchsichtig erscheinen ließ.
Der Fjord lag in jener Zone des Planeten, in der der Morgen gerade erst graute, aber das Bild würde sich auch bei Tage nicht ändern. Es mochte ein bißchen heller werden, weiter nichts. Die kilometerdicke Wolkenschicht, die die Strahlen des Tageslichts nur spärlich durchsickern ließ, verlieh der Venus sogar am Mittag nur die Helligkeit eines Abends auf der Erde.
Die Gelehrten wußten bereits, daß auf der Schwester der Erde ständig Winde wehten, die sich bisweilen zum Orkan steigerten. Aber der hundert und mehr Meter hohe Wald wirkte eigenartig starr. In den Wipfeln war nicht die geringste Bewegung wahrzunehmen. Wie versteint standen die orangeroten Baumriesen. Ebenso unbeweglich schienen auch die gelben Sträucher, die dicht bei dicht die rosafarbenen Stämme umdrängten.
Wäre nicht die Bewegung des Wassers und des Nebels gewesen, das Land hätte tot gewirkt, als sei es von einem geistesgestörten Künstler, der alle Farben der Pflanzenwelt verwechselte, auf den bleigrauen Himmel gemalt. Nirgends prangte das den Menschen der Erde so vertraute Grün.
„Ich glaube, als wir damals mit ›KS 2‹ hier waren, haben sich die Wipfel der Bäume geregt“, sagte Paitschadse.
„Ich erinnere mich genau, daß der Wind die Baumkronen wiegte“, bestätigte Melnikow. „Denken Sie doch an meinen Film.“ Belopolski hob verständnislos die Schultern.
„Entweder steht hier eine andere Baumart“, sagte er, „oder wir haben uns damals getäuscht. Ich kann mich nicht darauf besinnen, ob im Film eine Bewegung des Waldes zu sehen war.
Die ›KS 2‹ hat ihn sehr schnell überflogen.“ Je länger die Sternfahrer durch die Bullaugen des Observatotiums die Umgebung betrachteten, desto eigenartiger wirkte sie.
Es war unfaßbar, daß dies tatsächlich ein Wald, also ein Reich der Pflanzen, sein sollte. Allzu unbeweglich und leblos sahen alle diese Sträucher und Bäume aus. Durchs Fernglas war zu erkennen, wie regellos die Zweige wuchsen, die im übrigen wie verbogene Röhren aussahen und keine Blätter, sondern verschiedenfarbige längliche Knollen trugen. Die Baumstämme waren von der Wurzel bis zur Krone beinahe gleich stark, etwa einen Meter im Durchmesser, was bei derart hohem Wuchs noch mehr verblüffte. Die gelben Büsche sahen wie eine kompakte Masse aus, und sogar durch die starken Ferngläser konnte man keine Zweige unterscheiden. Überall hingen wundersam verschlungene Lianen; sie waren armstark und purpurfarben mit schwarzen Ringen; dadurch erinnerten sie an bestimmte Korallenarten. Mit ihren biegsamen Leibern wanden sie sich um die rosafarbenen Stämme und die roten und orangefarbenen Zweige.
„Was halten Sie von alledem?“ fragte Paitschadse, während er das Fernglas absetzte und sich Korzewski zuwandte.
„Das ist das Reich von Aktinien, von Blumentieren, Korallpolypen also“, erwiderte der Biologe.
Man hätte schwerlich einen treffenderen Vergleich ersinnen können. Die Bäume der Venus glichen tatsächlich ungewöhnlich großen Korallen, jenen schlauchähnlichen Lebewesen, die auf der Erde in den warmen Äquatorialgewässern leben.
„Und die gelben Sträucher erinnern an Schwämme“, warf Melnikow ein.
Professor Balandin lächelte.
„Verhielte es sich so“, sagte er, „dann gäbe es auf der Venus keine Gewächse, und wir wären in das Reich von Lebewesen verschlagen worden.“
„Das könnte wahrhaftig so sein“, erklärte Belopolski ernst.
„Wenn wir bedenken, daß die Gewächse auf der Venus nach der Spektralanalyse Sauerstoff aufnehmen und Kohlensäure abgeben, was bekanntlich Lebewesen zu tun pflegen, so ist das gar nicht verwunderlich.“
„Nein!“ rief Melnikow aus. „Auf der Venus gibt es richtige Bäume. Ich entsinne mich genau. Ich bin davon überzeugt. Am Ufer des Flusses, den wir beide gesehen haben, wuchs ein lebendiger Wald.“
„Boris hat recht“, stellte Paitschadse fest.
„Wir sind also auf eine neue Gattung gestoßen. Es wäre sehr schön, wenn es sich so verhielte. Je mehr Neues wir auf der Venus finden, desto besser!“
„Wann werden wir von Bord gehen?“ fragte Korzewski ungeduldig.
„Sobald Stepan Arkadjewitsch die Analyse beendet hat.“ Doktor Andrejew, der Chefarzt — Korzewski war sein Assistent —, hatte schon damals, als er sich an den Vorbereitungen zur Fahrt von „SSSR-KS 2“ beteiligte, beschlossen, Sternfahrer zu werden. Er wollte sich aber so nützlich wie möglich machen, und da er gute Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie besaß, studierte er noch mehrere Jahre diese Wissenschaft und wurde schließlich nicht nur als Arzt, sondern auch als Chemiker in die Besatzung aufgenommen. Nach der Landung in der Bucht waren Luftproben genommen worden, und Stepan Arkadjewitsch stellte nun eine quantitative und qualitative Analyse her.
Читать дальше