Mit Hilfe der Radioastronomie war festgestellt worden, daß die Temperatur der Oberfläche des Planeten nahezu hundert Grad betrage, aber das mußte geprüft werden. Es galt auch, die Dauer eines Tages und vieles andere genauer festzustellen.
Der Umfang der bevorstehenden Arbeit war groß, das Raumschiff aber durfte sich laut Plan nicht länger als achtundvierzig Tage — natürlich Erdentage — auf der Venus aufhalten.
All das hatte Belopolski auf einer Versammlung der Schiffsbesatzung dargelegt.
Nun näherte sich „SSSR-KS 3“ seinem Ziel. Bis zur Bahn der Venus waren noch ungefähr dreiundeinehalbe Million Kilometer zurückzulegen. Das kam etwas mehr als vierundzwanzig Fahrstunden gleich.
Das Raumschiff flog bereits nicht mehr geradeaus, mit gezogenen Gasrudern beschrieb es im Weltenraum eine gigantische Kurve und bog in die Bahn des Planeten ein. Die Triebwerke waren etwas gedrosselt. Dadurch entstand sogleich wieder eine schwache Schwerkraft. Nichts konnte mehr frei in der Luft schweben, die Backbordseite zog alle Gegenstände innerhalb des Schiffes gleichsam an sich.
Belopolski und Melnikow wachten abwechselnd am Steuerpult. Die automatischen Steuervorrichtungen führten das Schiff auf den vorgeschriebenen Kurs, aber trotzdem mußte alles überprüft und stündlich der Standort ermittelt werden.
Die übrigen Mitglieder der Besatzung legten in den Kajüten und Korridoren bereits die provisorischen Fußböden aus, erwarteten die Sternfahrer doch auf der Venus die gewohnten Bedingungen der Schwerkraft. Die Räume sollten so eingerichtet sein, daß sie während des anderthalbmonatigen Aufenthaltes auf der Schwester der Erde möglichst viel Bequemlichkeit boten.
Neunzehn Tage und Nächte waren schon seit dem denkwürdigen Morgen vergangen, an dem „SSSR-KS 3“ den Raketenflugplatz verlassen und die schwere und gefährliche Fahrt angetreten hatte. In dieser verhältnismäßig kurzen Zeit hatten die Expeditionsmitglieder viel erlebt und erlitten. Die sechsund- 91 dreißig Stunden auf der Arsena und besonders der tragische Tod Orlows waren an keinem spurlos vorübergegangen. Die Männer hatten sich verändert. Vor allem war das bei jenen zu spüren, die zum ersten Mal an einem interplanetaren Flug teilnahmen.
Einige, zum Beispiel Romanow, Knjasew und Wtorow, hatten beim Start von der Erde noch keine klaren Vorstellungen dessen besessen, was sie erwartete. Die Raumfahrt, der Besuch des Asteroiden und die Erforschung der Venus waren in ihrer Vorstellung romantisch verklärt gewesen. Inzwischen hatten sie die Kehrseite gesehen und die rauhe Wirklichkeit kennengelernt.
Der Sieg über die Natur fällt dem Menschen nicht in den Schoß, er wird in zähem, verderbendrohendem Kampf errungen. Diesem und jenem hatten die ersten Tage des Fluges viele schwere Minuten gebracht. Die Unendlichkeit des leeren Raumes, in dessen Mitte unbeweglich das winzige Raumschiff zu hängen schien, das Fehlen eines sichtbaren Haltes, die Verwirrung der Begriffe „oben“ und „unten“ sowie die Schwerelosigkeit selbst — all das hatte stark auf das Gemüt gewirkt, und gut die Hälfte der Besatzung war von der „Kosmonautenkrankheit“ befallen worden.
Mit Beginn der zweiten Hälfte der Fahrt änderte sich das. Die Raumschiffbesatzung reifte zu einem Forscherkollektiv, das vom gleichen Denken, Fühlen und Streben beseelt war, und jeder einzelne verstand bis ins Letzte, was der von ihm gewählte Beruf verlangte und welche Gefahren er mit sich brachte. Alle hatten Orlows schreckliches Ende miterlebt, aber keiner bedauerte, daß er sein Leben dem hohen Ziel geweiht hatte.
Am 9. Juli, genau zweiundzwanzig Uhr dreißig, stimmte die Flugkurve von „SSSR-KS 3“ genau mit der Bahn der Venus überein, das Raumschiff nahm sozusagen die Verfolgung des Planeten auf, der hunderttausend Kilometer vor ihm mit einer Geschwindigkeit von rund fünfunddreißig Sekundenkilometern flog. In fünf Stunden und dreiunddreißig Minuten würde das Schiff die Schwester der Erde eingeholt haben.

Durch die runden Fenster des Observatoriums und auf den Bildschirmen war die Venus als ungewöhnlich großer Halbmond zu sehen. Beinahe elfmal größer als der Mond am Himmel der Erde. Die von der Sonne beschienene Hälfte des Planeten leuchtete grell mit ihrem schneeweißen Wolkenschleier. Deutlich zeichnete sich auch die Nachtseite vor den Sternen ab; sie verdeckte diese und sandte einen schwachen Lichtschimmer aus, der dem Schimmern der oberen Schichten der Erdatmosphäre ähnelte, aber bedeutend stärker war. Zwischen Licht und Schatten lag ein Dämmerstreifen. Dort züngelten von Zeit zu Zeit grelle Flammen und zuckten Blitze.
„Was wir dort sehen, ist das Polarlicht der Venusatmosphäre“, erklärte Belopolski. „Dank der Nähe zur Sonne muß diese Erscheinung hier bedeutend eindrucksvoller sein als auf der Erde.“
„Von der Venus aus betrachtet, muß das Polarlicht ja zauberhaft aussehen“, sagte Melnikow.
Das waren die einzigen Sätze, die die Kommandanten des Schiffes während der Stunden, in denen sie der Venus nachjagten, austauschten. Beide beobachteten angestrengt die Kontrollgeräte. Der Abstand zwischen dem Planeten und dem Raumschiff verringerte sich ständig. Die Landung rückte näher, ein schwieriges Manöver — sowohl auf der Venus als auch auf der Erde —, das höchste Konzentration und in jeder Bewegung Präzision erforderte.
Der Planet wurde größer und größer und verdrängte bald mit seinem Riesenleib alle anderen Sterne aus dem Blickfeld.
Voraus und zu beiden Seiten wälzte sich ein Meer von Wolken, unerträglich weiß auf der der Sonne zugewandten Seite — allmählich dunkler werdend und in Schwarz übergehend auf der anderen.
Am 10. Juli, vier Uhr morgens nach Moskauer Zeit, befand sich „SSSR-KS 3“ auf gleicher Höhe mit dem Planeten und drosselte die Geschwindigkeit, paßte sich seiner Bewegung an. Das Schiff flog in diesem Augenblick in den obersten, dünnen Schichten der Venusatmosphäre und setzte von dieser Höhe aus, abbremsend, zur Landung an.
Die Triebwerke arbeiteten mit voller Kraft, um eine Bruchlandung zu verhüten. Das Wolkenmeer kam näher.
Belopolski, Paitschadse und Melnikow wußten, welches Bild sich ihnen in einigen Minuten zeigen würde. Sie würden die Landschaft der Venus nie vergessen. Den übrigen Expeditionsmitgliedern war diese Landschaft durch einen Film vertraut, den Melnikow während des Fluges von „SSSR-KS 2“ gedreht hatte.
„Die Tragflächen!“ befahl Belopolski kurz, als die Wolkenmassen den Bildschirm mit weißem Nebel überzogen.
Melnikow drückte die notwendigen Kontaktknöpfe. Nach einigen Sekunden flammten blaue Lämpchen auf — die Tragflächen waren ausgefahren. Nachdem sich „SSSR-KS 3“ auf diese Weise in ein Düsenflugzeug verwandelt hatte, verringerte es abermals die Flughöhe und stieß durch die dicke Wolkendecke, an deren unterem Saum bereits aufflackernde Blitze matt zu erkennen waren.
Das Raumschiff flog nicht mehr im luftleeren Raum und mußte jetzt völlig anders gesteuert werden.
Vier Triebwerke, die an den Tragflächen angebracht waren, trugen es vorwärts. Manövriert wurde wie bei einem Flugzeug mit gewöhnlichem Leitwerk.
Vom Kommandanten eines Raumschiffes wurde verlangt, daß er auch in der Steuerung von Düsenflugzeugen erfahren war.
Belopolski hatte die Füße auf die Pedale gestellt und den Steuerknüppel ergriffen.
Es mochte befremden, daß ein Akademiker so sicher die schwere Arbeit eines Piloten verrichtete. Noch dazu in solch einem gigantischen Raumschiff. Aber das war nichts Besonderes.
Alle Besatzungsmitglieder von „SSSR-KS 3“, außer Professor Balandin, Andrejew und Wtorow, hatten eine Luftfahrtschule besucht, sich im Fliegen schwerer Maschinen gründlich geübt und besaßen das Pilotendiplom für Düsenflugzeuge.
Читать дальше