»Betrügereien?« wiederholte Morey verwirrt. »Wie könnte sie mich denn betrügen?«
»Oh, da gibt's viele Möglichkeiten. Sie nimmt sich kleine Portionen und gibt Ihnen große. Sie kauft Ihnen Hemden von ihren Kleiderrationen. Das wissen Sie doch.«
»Verdammt, das weiß ich nicht!« schrie Morey. »Cherry würde so was nie tun!«
Howland sah ihn ein paar Sekunden lang ausdruckslos an. Dann sagte er: »Natürlich nicht. Trinken wir noch einen.«
Immer noch verärgert, hielt Morey sein Glas hin. Cherry gehörte nicht zu der Sorte von Frauen, die ihren Mann betrogen. Natürlich nicht. Sie war nett und liebevoll und stammte aus einer guten Familie. Sie würde gar nicht wissen, wie man so was machte.
»Kein Haushaltsplan mehr, keine Streitereien mehr!« jubelte Howland. »Keine Klagelieder mehr - >Daddy hat mich niemals so behandelt<.Keine Nörgeleien mehr, keine Extrarationen mehr -gar nichts mehr. Sagen Sie mal, Morey, wollen wir rausgehen und uns noch ein paar Drinks genehmigen? Ich kenne da ein Lokal.«
»Tut mir leid, Howland. Ich muß wieder in den Planungsraum.«
Howland brach in schallendes Gelächter aus und zeigte auf seine Armbanduhr. Als sich Morey leicht schwankend vorbeugte und daraufschaute, stellte er fest, daß das Büro in wenigen Minuten schließen würde.
»Oh, das habe ich ja gar nicht gemerkt«, sagte er. »Nun, trotzdem - vielen Dank, Howland, aber es geht leider nicht. Meine Frau wartet auf mich.«
»Natürlich tut sie das«, spöttelte Howland. »Sie werden sie bestimmt nicht dabei erwischen, wie sie die Rationen ihres lieben Gatten ißt - und dazu noch ihre eigenen.«
»Howland!« stieß Morey hervor.
»Schon gut!« Howard klopfte ihm besänftigend auf die Schulter. »Ich will ja nichts gegen Ihre Frau sagen. Durch meine Erlebnisse mit Jocelyn bin ich wohl etwas voreingenommen. Aber ehrlich, Morey, das Lokal würde ihnen gefallen. Es heißt >Onkel Piggotty< und liegt unten in der Altstadt. Dort hängen ganz verrückte Leute rum. Die würden Ihnen Spaß machen. Letzte Woche haben sie an mehreren Abenden. Sie müssen verstehen, Morey, ich gehe nicht oft da hin, aber ich bin ein paarmal zufällig vorbeigekommen und.«
»Ich muß jetzt gehen, Rowland«, fiel ihm Morey mit fester Stimme ins Wort. »Meine Frau erwartet mich. Aber es war nett von Ihnen, daß Sie mich eingeladen haben. Guten Abend. Bis bald!«
Er ging zur Tür, wo er sich noch einmal umdrehte und sich höflich verbeugte. Als er sich wieder abwandte, stieß er mit dem Gesicht gegen den Türrahmen. Ein angenehmes Gefühl der Betäubung breitete sich auf seiner ganzen Haut aus, und erst als Henry mitfühlend auf ihn einredete, merkte er, daß Blut an seiner Wange her abrann.
»Nur eine kleine Fleischwunde«, sagte er würdevoll. »Du brauchst dir keine Seh - Seh - Schorgen zu machen, Henry. Und jetzt halt deinen häßlichen Mund. Ich will nachdenken.«
Und er verschlief die ganze Heimfahrt.
So einen Kater hatte er noch nie gehabt. Man hat sich ein paar Drinks einverleibt. Man schläft ein bißchen, um wieder nüchtern zu werden. Dann wird von einem verlangt, daß man wach und voll da ist. Aber man hat einen Brummschädel und einen pelzigen Geschmack im Mund, und man ist weit davon entfernt, nüchtern zu sein.
Aber es gibt ein Heilmittel. »Trinken wir einen Cocktail, Liebling«, schlug Morey mit schwerer Zunge vor.
Cherry war entzückt von dieser Idee. Sie ist ja so wunderbar, dachte Morey liebevoll, so wunderbar, so wunderbar.
Er stellte fest, daß sein Kopf im Rhythmus dieser Gedanken nickte, und das tat verteufelt weh. Er stöhnte unwillkürlich auf.
Cherry eilte zu ihm und berührte sanft seine Schläfe. »Hast du starke Schmerzen, Liebling?« fragte sie besorgt. »Warum bist du denn gegen diese Tür gelaufen?«
Morey warf ihr einen scharfen Blick zu, aber in ihren Augen lag keine Spur von Falschheit. Offen, ehrlich und anbetend schauten sie zu ihm auf.
Der Robotkammerdiener servierte die Cocktails und zog sich dann zurück. Cherry prostete ihrem Mann zu, er hob sein Glas und ließ es beinahe fallen, als ihm der Geruch des Alkohols in die Nase stieg. Sein Magen begann sich zu drehen. Aber er riß sich zusammen und zwang sich, einen Schluck zu trinken.
Überrascht und dankbar stellte er fest, daß er sich nicht übergeben mußte. Und einen Augenblick später erlebte er wieder jenes seltsame Phänomen - eine angenehme Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Er leerte das Glas und hielt es, um es nachfüllen zu lassen. Er versuchte sogar zu lächeln. Komisch, daß sein Gesicht dabei nicht auseinanderfiel.
Ein weiterer Drink, und alles war okay. Morey fühlte sich glücklich und entspannt, aber keineswegs betrunken. In bester Laune gingen sie ins Eßzimmer, unterhielten sich vergnügt miteinander und mit Henry, und Morey dachte voller Mitleid an den armen Rowland, dessen Ehe schiefgelaufen war, obwohl es doch so leicht war, eine gute Ehe zu führen, eine Zweierbeziehung herzustellen, die für beide Teile so erfreulich, so herzerwärmend war.
»Was?« fragte er verwirrt.
»Das ist der cleverste Gag, der mir je untergekommen ist, Liebling«, wiederholte Cherry. »So ein ulkiger kleiner Mann! Nervös von den Haar- bis zu den Zehenspitzen. Die ganze Zeit starrte er auf die Tür, als ob er auf jemanden warten würde, aber das war natürlich dumm. Keiner seiner Freunde wäre in unser Haus gekommen, um ihn hier zu treffen.«
»Cherry, bitte!« sagte Morey mit gepreßter Stimme. »Hast du vorhin nicht von Rationsmarken gesprochen?«
»Aber das habe ich dir doch erzählt, Liebling. Er kam gleich, nachdem du heute morgen weggefahren warst. Der Kammerdiener öffnete ihm die Tür und sagte mir, daß der Mann seinen Namen nicht nennen wollte. Ich habe trotzdem mit ihm gesprochen. Ich dachte, es wäre vielleicht ein Nachbar, und ich kann natürlich nicht unhöflich zu unseren Nachbarn sein.«
»Die Rationsmarken!« flehte Morey. »Hast du nicht gesagt, daß er dir gefälschte Rationsmarken andrehen wollte?«
»Nun, in gewisser Weise sind sie wahrscheinlich falsch«, sagte Cherry unsicher. »Als er mir die Sache erklärte, wußte ich natürlich, daß es keine offiziellen Marken sind. Aber er bot mir vier für eine an. Also holte ich unser Haushaltsbuch, riß ein paar Marken heraus und.«
»Wie viele?« brüllte Morey.
Cherry blinzelte. »Nun - etwa zwei Wochenquoten.«
Morey schloß wie betäubt die Augen. »Zwei Wochenquoten«, wiederholte er. »Vier Marken für eine. Du hast sie nicht einmal zum üblichen Kurs bekommen.«
»Wie hätte ich das denn wissen sollen?« jammerte Cherry. »Bei mir zu Hause ist so was nie passiert. Bei uns gab's keine Lebensmittelaufstände und keine Slums und keinen einzigen von diesen schrecklichen kleinen Robotern, und bei uns kamen auch keine schmutzigen, kleinen, widerlichen Männer an die Tür.«
Morey starrte sie mit steinernem Gesicht an. Sie weinte schon wieder. Aber das machte keinen Eindruck auf den stahlharten Panzer, der sich plötzlich um sein Herz gelegt hatte.
Henry gab versuchsweise ein Geräusch von sich, das dem menschlichen Räuspern entsprach, aber Morey ließ ihn mit einem eisigen Blick erstarren und verstummen.
Mit dumpfer, monotoner Stimme, die Cherrys Schluchzen kaum übertönte, sagte er: »Ich will dir mal erzählen, was du getan hast. Angenommen - und das wäre noch der günstigste Fall -, daß diese Marken, die du dir da eingehandelt hast, wenigstens durchschnittliche Fälschungen sind und nicht so miserabel, daß wir sie gleich wegwerfen müßten, bevor man sie bei uns findet. Also, wenn wir das mal annehmen, hast du etwa einen Zweimonatsvorrat von diesen komischen kleinen Marken. Falls du es nicht gewußt haben solltest - diese Rationierungsbücher sind nicht nur zur Zierde da. Wir müssen sie jeden Monat abgeben, um zu beweisen, daß wir unsere Konsumquoten erreicht haben. Bei manchen Büchern macht man nur Stichproben, aber einige werden sehr sorgfaltig geprüft. Ein gewisser Prozentsatz wird mit ultravioletten und infraroten Strahlen durchleuchtet, mit Röntgenapparaten und Radio-Isotopen und chromatographischen Geräten getestet und mit jeder anderen verdammten Methode, die der Mensch bisher erfunden hat.«
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