Er zwängte sich hinein und setzte sich, während Wainwright ein Telefonat beendete. Morey überlegte, warum Wainwright wohl persönlich mit ihm reden wollte, statt das Telefon zu benutzen oder ein paar Worte mit ihm zu wechseln, während er durch den Planungsraum ging.
Und es fielen ihm tatsächlich ein paar gute Gründe ein.
Wainwright legte den Hörer auf die Gabel zurück, und Morey richtete sich auf. »Sie wollten mich sprechen?«
Wainwright wirkte in der Welt, die von lauter Dicken bevölkert war, geradezu aristokratisch schlank. Als Generaldirektor der Bradford-Planungs- und Entwicklungsstelle zählte er zu den ganz großen Tieren. »Allerdings«, stieß er hervor. »Frey, was zum Teufel führen Sie eigentlich im Schilde?«
»Ich - ich weiß nicht, was Sie meinen, Mr. Wainwright«, stammelte Morey.
Wainwright schnaufte verächtlich. »Natürlich nicht. Aber nicht, weil man es Ihnen verschwiegen hat, sondern weil Sie es nicht wissen wollen. Erinnern Sie sich doch mal an die letzte Woche. Warum habe ich Sie da zur Schnecke gemacht?«
»Wegen meines Rationierungsbuchs«, sagte Morey und fühlte sich elend. »Hören Sie mal, Mr. Wainwright, ich weiß, daß ich ein bißchen im Verzug bin, aber.«
»Kein Aber! Was glauben Sie denn, was das für einen Eindruck auf das Komitee macht. Das Rationierungsbüro hat sich über Sie beschwert. Natürlich hat man die Beschwerde an mich weitergegeben. Und ich gebe Sie natürlich an Sie weiter. Die Frage ist jetzt nur - was werden Sie unternehmen? Großer Gott, Mann, schauen Sie sich doch diese Zahlen an - Textilien, einundfünfzig Prozent - Essen, siebenundsechzig Prozent - Vergnügungen, dreißig Prozent. Sie haben ihre Rationen schon seit Monaten nicht mehr erreicht.«
Morey starrte unglücklich auf die Karteikarte. »Nun ja - meine Frau und ich - wir haben gestern abend darüber gesprochen, Mr. Wainwright. Und glauben Sie mir - wir werden uns bessern. Wir werden uns die größte Mühe geben.«
Wainwright nickte, und zum erstenmal lag ein schwaches Mitgefühl in seinen Augen. »Sie sind mit Richter Elons Tochter verheiratet, nicht wahr? Sehr gute Familie. Ich hatte schon oft mit dem Richter zu tun.« Dann fügte er in kühlerem Ton hinzu: »Trotzdem, Frey, ich warne Sie. Es ist mir egal, wie Sie aus diesem Schlamassel herauskommen, aber sorgen Sie dafür, daß das Komitee nicht noch einmal mit einer solchen Klage an mich herantritt!«
»Gewiß, Sir.«
»Okay. Haben Sie die Pläne für das neue K-50-Projekt fertig?«
Moreys Miene erhellte sich.
»Fast, Sir. Ich lasse heute den ersten Teil aufzeichnen. Ich bin sehr damit zufrieden, Mr. Wainwright, wirklich. Bis jetzt habe ich über achtzehntausend bewegliche Teile drin, und das ohne die.«
»Gut, gut.« Wainwright blickte auf seinen Schreibtisch hinab. »Machen Sie nur so weiter. Und sehen Sie zu, daß Sie diese andere Sache in Ordnung bringen. Ich weiß, daß Sie das können, Frey. Es ist unsere allererste Pflicht zu konsumieren. Das dürfen Sie nie vergessen.«
Howland folgte Morey aus dem Planungsraum zu den makellos sauberen Werkstätten hinab. »War's schlimm?« fragte er besorgt.
Morey grunzte. Das ging Howland nichts an.
Howland blickte über seine Schulter, als er die Programmiertafel einstellte. Morey studierte schweigend die Matrizen, dann kontrollierte er die zusammenfassenden Bänder, verglich sie mit seinen Plänen und begann sie auf die Programmiertafel zu übertragen. Rowland hielt den Mund, während Morey die Aufzeichnung beendete und ein Testband ablaufen ließ. Alles war in bester Ordnung. Morey wandte sich von der Schalttafel ab und zündete sich zur Feier des Tages eine Zigarette an, bevor er auf den Startknopf drückte.
»Machen Sie schon!« sagte Howland. »Ich kann erst gehen, wenn Sie das Ding eingestellt haben.«
Morey grinste und drückte auf den Knopf. Das Brett leuchtete auf, und ein Metronom begann leise zu piepsen. Das war alles. Morey wußte, daß die automatischen Sortierer und Förderer am Ende der lange Halle nun in die Kupferspulen und Stahlgußblöcke griffen und Plastikpuder und Farben in die Trichter füllten, um einen komplizierten Weg für die vielen tausend individuellen Komponenten zu bahnen, aus denen sich Bradmoors neues K-50-Wirbelspiel zusammensetzte. Aber hier, im Programmierraum mit den massiven Wänden, war nichts zu sehen. Bradmoor war eine ultramoderne Fabrik. In den Werksräumen hatte man sogar die Roboter durch Maschinen ersetzt, die sich selbst kontrollierten.
Morey blickte auf seine Uhr und notierte die Startzeit, während Howland rasch Moreys Rohmaterialfließbandprogramm gegencheckte.
»Alles okay«, sagte Howland beglückt und schlug ihm auf die Schulter. »Das muß gefeiert werden. Das ist doch Ihr erstes Design, was?«
»Ja, das erste, das ich ganz allein gemacht habe.«
Howland suchte bereits in seinem Privatschrank nach der Flasche, die er dort für besondere Gelegenheiten aufbewahrte. Schwungvoll goß er die Gläser voll. »Auf Morey Frey! Unseren Lieblingsdesigner, der uns so viel Freude bereitet!«
Morey trank. Der Whisky floß mühelos durch seine Kehle hinab. Morey war im Lauf der Jahre immer sehr vorsichtig mit seinen Alkoholrationen umgegangen, und wenn er das Minimum auch nie unterschritten hatte und durchaus ans Trinken gewöhnt war, erwärmte dieser einzige Drink sofort seinen ganzen Körper -seinen Mund, seinen Hals, seinen Magen. Howland war ausnehmend nett, übertraf sich nahezu selbst, lobte Moreys Design über den grünen Klee und goß noch zwei Drinks ein. Morey dachte gar nicht daran zu protestieren.
Howland leerte sein Glas. »Sie werden sich fragen, warum ich so zufrieden mit Ihnen bin, Morey Frey. Nun, ich werde es Ihnen sagen.«
Morey grinste. »Tun Sie das, bitte.«
Howland nickte. »Weil ich mit der ganzen Welt zufrieden bin. Meine Frau hat mich gestern verlassen.«
Morey erschrak so sehr, wie nur ein frischgebackener Ehemann erschrecken kann, wenn er von einer gescheiterten Ehe hört. »Das ist ja furchb. Ich meine - ist es endgültig?«
»Ja. Sie verließ mein Bett, mein Haus und meine fünf Roboter, und ich weine ihr keine Träne nach.« Er füllte die Gläser zum drittenmal. »Frauen! Mit ihnen kann man nicht leben und ohne sie auch nicht. Zuerst seufzt man und keucht und jagt hinter Ihnen her.« Plötzlich unterbrach sich Howland. »Mögen Sie eigentlich Gedichte?«
»Nun-ja - einige«, erwiderte Morey vorsichtig.
»Wie lang, mein Lieb, soll noch die Mauer zwischen unseren Gärten stehen?'« zitierte Rowland. »Zwischen deinen Rosen und meinen schmachtenden Lilien?' Gefällt Ihnen das? Hab ich für Jocylen geschrieben - das ist meine Frau. Kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten.«
»Es ist sehr schön«, sagte Morey.
»Als ich es ihr vorgelesen hatte, weigerte sie sich zwei Tage lang, mit mir zu reden.« Rowland trank sein Glas leer. »Eine intelligente Frau. Nun, ich habe sie wie ein Tiger gejagt - und schließlich erwischte ich sie. Wumm!«
»Was meinen Sie mit - Wumm?«
»Wumm!« Howland zeigte mit einem Finger auf Morey. »Ich meine Wumm! Ich habe sie geheiratet und in mein bescheidenes Heim geholt. Wumm - schon hatte ich ein Kind. Wumm - schon hatte ich Ärger mit dem Rationierungsbüro. Natürlich war es nichts Ernstes - aber ich hatte immerhin Unannehmlichkeiten. Und Wumm - diese Streitereien! Zuerst fing sie nur ab und zu ein bißchen zu nörgeln an, und natürlich habe ich ihr gelegentlich widersprochen, und - peng - schon waren wir mitten im schönsten Streit. Haushaltsplan, Haushaltsplan, Haushaltsplan! Ich möchte sterben, wenn ich das Wort Haushaltsplan noch einmal höre. Morey, Sie sind ein verheirateter Mann. Sie wissen ja, wie das ist. Sagen Sie mir die Wahrheit - waren Sie nicht auch nahe dran, zum erstenmal mit Ihrer Frau zu streiten, als Sie ihr auf diese Betrügereien drauf gekommen sind?«
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