»Gentlemen!« sagte Fairless sanft. »Wir wollen mt der Arbeit beginnen. Mr. Frey ist zu uns gekommen, weil er Hilfe braucht -und nicht, um unsere Wutanfalle mitzuerleben.«
»Es tut mir leid«, sagte Semmelweiss. »Trotzdem bitte ich um eine Abstimmung.«
Fairless nickte. »Wer ist dagegen, daß wir vom Arbeitsplan abweichen?« Er blickte in die Runde. Neun Hände hatten sich erhoben. »Sie sind überstimmt, Dr. Semmelweiss. Dann wollen wir also mit dem Psychodrama beginnen. Wenn der Protokollführer bitte die Notizen und Kommentare der letzten Sitzung vorlesen würde.«
Der Protokollführer, ein dicker junger Mann namens Sprogue, blätterte in seinem Notizbuch und begann mit sonorer Stimme: »>Sitzung am 24. Mai, Patient - Morey Frey. Behandelnde Ärzte
- Dr. Fairless, Dr. Bileck, Dr. Semmelweiss, Dr. Carrado, Dr. Weber<���«
Fairless unterbrach ihn mit milder Stimme. »Bitte nur die letzte Seite, Dr. Sprogue.«
»Hm - o ja.>Nach einer zehnminütigen Pause, in der zusätzliche Rorschachtests und ein Elektro-Enzephalogramm gemacht wurden, trat die Gruppe wieder zusammen und ließ den Patienten Wortassoziationen bilden. Die Resultate wurden in Tabellen eingetragen und mit den StandardAbweichungsschemata verglichen. Dabei wurde festgestellt, daß die vorrangigen Traumata des Patienten.<���«
Moreys Aufmerksamkeit ließ nach. Die Therapie war gut. Das wußte jeder. Aber er fand sie manchmal ein bißchen langweilig. Trotzdem - wenn er sich dieser Therapie nicht unterzog, konnte man nicht wissen, was passieren würde.
Natürlich hatte man ihm schon sehr geholfen. Immerhin hatte er sein Haus nicht angezündet und den Feuerwehrroboter nicht angeschrien, wie Newell, der einen Block weiter unten wohnte -damals, als sich seine älteste Tochter scheiden ließ und mitsamt ihren Rationierungsquoten nach Hause zurückkehrte. Morey hatte noch nicht einmal das Bedürfnis verspürt, etwas so Ungeheures und beängstigend Unmoralisches zu tun wie Dinge zu zerstören oder zu verschwenden - nun ja, wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß er manchmal in Versuchung geraten war. Aber er wurde von keinen Gefühlen heimgesucht, die zur Besorgnis Anlaß geben könnten. Er war gesund - völlig gesund.
Verwirrt hob er den Kopf. »Mr. Frey«, wiederholte Fairless, »würden Sie bitte ihren Platz einnehmen?« »Natürlich«, sagte Morey hastig. »Eh - wo denn?«
Semmelweiss brach in wieherndes Gelächter aus. »Das haben wir Ihnen doch gesagt. Na ja, macht nichts, Morey. Sie haben nicht viel versäumt. Wir spielen jetzt die wichtigsten Szenen Ihres Lebens durch, von denen Sie uns letztesmal erzählt haben. Erinnern Sie sich? Sie waren vierzehn, und es war Weihnachten. Ihre Mutter hatte Ihnen etwas versprochen.«
Morey schluckte. »Ja, ich erinnere mich«, sagte er unglücklich. »Okay. Wo soll ich mich denn hinstellen?«
»Da drüben«, erwiderte Fairless. »Sie sind Sie selber, und Carrado ist Ihre Mutter. Ich bin Ihr Vater. So, der Weihnachtsmorgen ist angebrochen. Fröhliche Weihnachten, Morey!«
»Fröhliche Weihnachten«, sagte Morey halbherzig. »Eh - lieber Vater, wo ist denn das - eh - das Hündchen, das Mutter mir versprochen hat?«
»Ach was, ein Hündchen!« rief Fairless in herzlichem Ton.
»Deine Mutter und ich haben etwas viel Schöneres für dich. Schau doch mal, was da unter dem Baum steht - ein Roboter! Ja, Morey, er gehört dir ganz allein - ein richtiger, vollautomatischer Robot-Kamerad mit achtunddreißig Röhren. Geh doch hin und sprich mit ihm, Morey! Er heißt Henry. Geh nur, mein Junge!«
Morey verspürte ein plötzliches, unbegreifliches Prickeln über seinem Nasenrücken.
»Aber - ich wollte keinen Roboter«, sagte er mit zitternder Stimme.
»Natürlich willst du einen Roboter«, entgegnete Carrado. »Geh nur, Kind, spiel mit deinem schönen Roboter!«
»Ich hasse Roboter!« stieß Morey wütend hervor. Er sah die Ärzte der Reihe nach an, blickte sich um in dem Behandlungsraum mit den graugetäfelten Wänden. »Hört ihr mich? Ich hasse die Roboter immer noch!«
Eine kurze Pause trat ein. Dann begann man ihm Fragen zu stellen.
Eine halbe Stunde später kam die Sprechstundenhilfe herein und verkündete, daß die Zeit um war.
In dieser halben Stunde hatte er sein Zittern und die wilden Emotionen überwunden, aber er hatte sich an etwas erinnert, das er vor dreizehn Jahren vergessen hatte.
Er haßte Roboter.
Das Erstaunliche an der ganzen Sache war nicht der Haß, den der junge Morey gegen die Roboter gehegt hatte, sondern das Faktum, daß die Revolte gegen die Roboter, der letzte heftige Kampf zwischen Fleisch und Metall, die tödliche Schlacht zwischen der Menschheit und ihren Maschinenerben niemals stattgefunden hatte. Ein kleiner Junge hatte die Roboter gehaßt
- aber nachdem er herangewachsen war, arbeitete er mit den Robotern zusammen.
Und doch - der neue Arbeiter, der Berufsrivale, stand unabänderlich außerhalb des Gesetzes. So war es schon immer gewesen. Die Iren, die Neger, die Juden, die Italiener - die wurden in Ghettos abgeschoben, wo sie sich einkapselten, innerlich zu kochen begannen und dann ausbrachen, um sich einen Weg in die etablierte Gesellschaft zu bahnen, mit der sie sich vermischten, bis sie in späteren Generationen nicht mehr von ihr zu unterscheiden waren.
Für die Roboter war dieser genetische Ausweg noch nicht in Sicht. Trotzdem kam es zu keinem Konflikt. Die Rückkoppelungsstromkreise richteten die Flugabwehrgeschütze, fanden in neuer Gestalt, mit neuen Verwendungszielen einen Platz in neuen Maschinen - zusammen mit einer wunderbaren Vielfalt von Nocken und Hebeln, bildeten unzerstörbare, nie versiegende Energiequellen, die aus hunderttausend Teilen und Ergänzungsmontagen bestanden.
Und so sprang der erste Roboter vom Fließband.
Seine Mission war die eigene Vernichtung. Aber aus dem gereinigten Wrack seines Metallkörpers bezogen hundert bessere Roboter ihre Inspirationen. Und die hundert machten sich an die Arbeit, gefolgt von weiteren hundert, bis es unzählige Millionen von Robotern gab.
Und die Menschen rebellierten immer noch nicht.
Denn die Roboter hatten ihnen ein Geschenk gebracht, und dieses Geschenk hieß »Überfluß«.
Und als man die Nachteile dieses Geschenks erkannt hatte, war die Zeit des Aufstands vorüber. Der Überfluß ist eine Droge, die süchtig macht. Man setzt die Dosis nicht herab. Man versucht, die Droge überhaupt nicht mehr zu nehmen. Aber die Krämpfe, die man dann erleidet, können den Körper für immer zerstören.
Der Süchtige sehnt sich nach dem körnigen weißen Pulver. Er haßt es nicht, er haßt auch den Händler nicht, der es ihm verkauft. Und wenn Morey als kleiner Junge den Roboter hassen konnte, der ihn um sein Hündchen gebracht hatte, so war sich der erwachsene Morey voll der Tatsache bewußt, daß die Roboter seine Diener und Freunde waren.
Aber der kleine Junge, der in Morey weiterlebte, hatte sich nie überzeugen lassen.
Normalerweise freute sich Morey auf seine Arbeit. Dieser einzige Tag in der Woche, an dem er wirklich etwas tat, war eine wundervolle Abwechslung, die den zermürbenden Konsumzwang erleichterte. In gehobener Stimmung betrat er den Planungsraum der Bradmoor-Amüsement-Company. Aber als er seinen Straßenanzug mit dem Arbeitskittel vertauschte, kam Rowland von der Vermittlung mit einem wissenden Blick zu ihm. »Wainwright hat schon nach Ihnen gesucht«, flüsterte er. »Gehen Sie lieber gleich rein!«
Morey bedankte sich nervös und machte sich auf den Weg. Wainwrights Büro war so groß wie eine Telefonzelle und so kahl wie das antarktische Eis. Jedesmal, wenn Morey diesen Raum sah, wurde ihm ganz schlecht vor Neid. Wenn man sich das vorstellte - ein Schreibtisch ohne Kalenderuhr, ohne Zwölffarbenkugelschreiber, ohne Diktiergerät.
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