»Klingt riskant«, sagte Blaine. »Was ist, wenn ich nicht reinkommen sollte?«
»Mann, Sie können gar nichts dagegen tun, reinzukommen! Hören Sie, Sie haben doch bestimmt schon mal von dämonischer Besessenheit gehört, nicht wahr? Leute, die von sogenannten Dämonen beherrscht werden? Dieser Gedanke zieht sich durch den größten Teil der Volksüberlieferungen auf der ganzen Welt. Manche der Besessenen waren natürlich schizophren, und manche waren echte Betrüger. Aber es gab eine Menge Fälle echter spiritueller Invasion, bei der Geister von anderen in Besitz genommen wurden, die es verstanden, aus ihrem eigenen Körper zu scheiden und sich in einen anderen zu begeben. Die Invasoren haben die Gewalt ohne mechanische Hilfe übernommen, und zwar gegen einen echten, starken Widerstand ihrer Opfer. In Ihrem Fall besitzen wir die Yogamaschine, und die Leute sind bereit, Sie einzulassen. Warum sollten Sie sich also Sorgen machen?«
»Also gut«, sagte Blaine. »Wie ist es auf den Marquesas?«
»Schön«, sagte Orc und stach die Nadel in den Arm. »Es wird Ihnen gefallen.«
Blaine trieb langsam in die Besinnungslosigkeit; er dachte an Palmen, an schäumende Wellen, die gegen Korallenriffs peitschten und an Mädchen mit dunklen Augen, die einem steinernen Götzen dienten.
Es gab kein Gefühl des Aufwachens, kein Gefühl des Übergangs. Wie eine brillant gefärbte Dia-Aufnahme, die auf eine weiße Leinwand projiziert wurde, war er abrupt wieder bei Bewußtsein. Plötzlich erwachten die Marionetten zappelnd zum Leben, und er handelte und bewegte sich.
Er war nicht völlig Thomas Blaine. Er war auch Edgar Dyersen. Oder er war Blaine innerhalb Dyersen, ein integraler Bestandteil von Dyersens Körper, ein Teil von Dyersens Geist, der die Welt durch Dyersens matte Augen betrachtete, Dyersens Gedanken dachte und alle schattigen halbbewußten Fragmente von Dyersens Erinnerungen, Hoffnungen, Ängsten und Wünschen erfuhr. Und doch war er immer noch Blaine.
Dyersen-Blaine kam aus dem beackerten Feld und lehnte sich gegen einen Holzzaun. Er war ein Farmer, ein altmodischer Lastwagenfarmer in Südjersey, der nur wenige Maschinen besaß, weil er ihnen sowieso nicht traute. Er war fast siebzig und immer noch verdammt gesund. Seine Glieder wiesen eine Spur Arthritis auf, die der schlaue junge Mediko im Dorf aber schon zum größten Teil geheilt hatte; und manchmal machte ihm sein Rücken Schwierigkeiten, bevor es regnete. Aber er meinte, daß er gesund wäre, gesünder als die meisten, und daß er noch gut zwanzig Jahre machen könnte.
Dyersen-Blaine ging auf seine Hütte zu. Sein graues Arbeitshemd war von saurem Schweiß durchtränkt, und Schweiß machte auch seine formlosen Jeans fleckig.
Weit entfernt hörte er einen Hund bellen und sah unscharf, wie eine gelbbraune Gestalt sich ihm näherte. (Brille? Nein danke. Geht auch so ganz gut.)
»He, Champ! He, alter Junge!«
Der Hund rannte im Kreis um ihn herum, dann trottete er neben ihm her. Er hatte etwas Graues im Maul, vielleicht eine Ratte oder ein Stück Fleisch. Dyersen-Blaine konnte es nicht genau erkennen.
Er bückte sich, um Champs Kopf zu tätscheln …
Wieder war da kein Gefühl des Übergangs oder der vergehenden Zeit. Es wurde einfach ein neues Dia auf die Leinwand geworfen, und eine neue Marionette erwachte zappelnd zum Leben.
Jetzt war er Thompson-Blaine, neunzehn Jahre alt, der dösend auf seinem Rücken auf den rauhen Planken eines Segelskiffs lag und Hauptsegel und Ruderpinne mit einer braunen Hand festhielt. Gen Steuerbord lag die flache Ostküste, und zur Backbordseite konnte er ein Stück des Hafens von Baltimore erkennen. Das Skiff trieb leicht vor der leichten Sommerbrise, und unter dem Stevenanlauf gluckerte fröhlich das Wasser.
Thompson-Blaine legte seinen schlaksigen, braungebrannten Körper auf den Planken zurecht und zappelte herum, bis er seinen Fuß endlich gegen den Mast gestützt hatte. Er war erst seit einer Woche wieder zu Hause, nachdem er zwei Jahre auf dem Mars gearbeitet und studiert hatte. Es war wirklich sehr interessant gewesen, besonders die Archäologie und Speläologie. Die Sandbebauung war ab und an ein bißchen eintönig gewesen, aber es hatte ihm Spaß bereitet, die Erntemaschinen zu steuern.
Nun war er wieder für zwei Jahre zu Hause, um einen zweijährigen Intensivkurs am College zu absolvieren. Dann sollte er auf den Mars zurückkehren, als Farmmanager. So wollte es sein Stipendium. Aber sie konnten ihn nicht dazu zwingen, noch einmal dort hinzugehen, wenn er nicht wollte.
Vielleicht würde er zurückgehen wollen. Vielleicht aber auch nicht.
Die Mädchen auf dem Mars waren so fanatisch. Zäh, kompetent und immer ein bißchen herrisch. Wenn er zurückginge – sofern er überhaupt zurückginge –, dann würde er eine Frau mitbringen und sich nicht dort eine suchen. Natürlich, da war Marcia gewesen, gar nicht so übel. Aber ihr ganzer Kibbuz war zur südlichen Polarkappe umgezogen, und sie hatte auf seine drei letzten Briefe nicht mehr geantwortet. Na ja, vielleicht war sie ja auch doch nicht so berauschend gewesen.
»He, Sandy!«
Thompson-Blaine blickte hoch und sah Eddie Duelitle, der auf seiner Thistle segelte und ihm zuwinkte. Träge winkte Thompson-Blaine zurück. Eddie war erst siebzehn und noch nie von der Erde weg gewesen; dabei wollte er Raumschiffkapitän werden. Haha! Da hatte er aber auch eine dicke Chance!
Die Sonne ging am Horizont unter, und Thompson-Blaine war froh, sie sinken zu sehen. Heute abend hatte er ein Date mit Jennifer Hunt. Sie wollten im Starsling in Baltimore tanzen gehen, und Dad würde ihm seinen Heli leihen. Mann, was war Jennifer in den letzten beiden Jahren gewachsen! Und sie konnte einen vielleicht anschauen, gleichzeitig schüchtern und frech! War gar nicht abzusehen, was nach dem Tanzen noch alles passieren würde, auf dem Rücksitz des Helis. Vielleicht auch nichts. Aber vielleicht, vielleicht …
Thompson-Blaine setzte sich auf und legte das Ruder um. Das Skiff nahm Wind auf und schwenkte herum. Es war Zeit, zum Yachthafen zurückzukehren, dann ging’s nach Hause zum Abendessen und dann …
*
Die schwarze Schlangenpeitsche flackerte über seinen Rücken.
»An die Arbeit, du da!«
Piggot-Blaine strengte sich doppelt so sehr an, hob den schweren Pickel, schwang ihn hoch nach oben und hieb ihn mit voller Wucht in die staubige Straße. Der Wächter stand daneben, das Schrotgewehr in der linken Armbeuge, die Peitsche in der rechten Hand; ihr Ende schlängelte sich im Staub. Piggot-Blaine kannte jede Linie und Pore im schlanken, dummen Gesicht dieses Wächters, kannte den Abwärtszug des verkniffenen kleinen Mundes, kannte das zusammengekniffene Blinzeln der blassen Augen wie sein eigenes Gesicht.
Warte nur, du Geierspeise, sagte er still zu dem Wächter. Auch deine Zeit kommt noch. Warte nur, warte nur ein kleines bißchen.
Der Wächter entfernte sich und schritt die Reihe der Gefangenen hinauf und hinab, die unter der gleißenden Mississippisonne schufteten. Piggot-Blaine versuchte zu spucken, konnte jedoch nicht genug Speichel im Mund ansammeln. Er dachte: Das nennt ihr also eure schöne moderne Welt? Ihr redet also von euren großen alten Raumschiffen, von euren automatisierten Farms, von eurem feinen, fetten alten Jenseits? So soll es sein? Dann fragt doch mal, wie man die Straßen im Quilleg County in Nordmississippi baut. Sie werden es euch nicht erzählen, also kommt ihr besser mal selbst vorbei und schaut es euch an. Denn so ist die Welt wirklich!
Arny, der vor ihm an der Arbeit war, flüsterte: »Bist du bereit, Otis? Vorbereitet?«
»Bin fertig«, flüsterte Piggot-Blaine, und seine breiten Finger klammerten sich fester um den Plastikgriff des Pickels und ließen wieder los. »Bin schon mehr als fertig, Arny.«
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