Bald hatte das Schiff an der Kaimauer angelegt, und Blaine ging von Bord, sich die Stadt Taiohae anzusehen.
Er sah einen Supermarkt, drei Kinos, Reihen von Häusern im Ranch-Stil, viele Palmen, einige flache Ladengebäude mit riesigen Fensterfronten, ein Dutzend Cocktailbars, zahlreiche Autos, eine Tankstelle und eine Verkehrsampel. Die Bürgersteige waren voller Menschen mit bunten Hemden und Shorts. Alle trugen Sonnenbrillen.
Dies war also das letzte Überbleibsel vom Polynesien des unverdorbenen 20. Jahrhunderts, dachte Blaine. Ein Ferienkaff aus Florida in die Südsee versetzt!
Doch, was hätte er im Jahr 2110 auch anderes erwarten sollen? Die alten Polynesier waren jetzt so tot wie das englische Empire oder das Frankreich der Bourbonen. Und das Florida des 20. Jahrhunderts konnte tatsächlich sogar recht angenehm sein, erinnerte er sich.
Er ging die Hauptstraße hinunter und sah einen Anschlag an einer Hauswand, der verkündete, daß Postmeister Alfred Gray zum Repräsentanten der Unsterblichkeitsgesellschaft für die Marquesas ernannt worden war. Ein Stückchen weiter kam er zu einem kleinen schwarzen Gebäude mit einem Schild davor, auf dem ›Öffentliche Selbstmordkabine‹ stand.
Aha, dachte Blaine sardonisch, die moderne Zivilisation erreichte auch diesen abgelegenen Ort. Als nächstes werden sie eine Geistervermittlung einrichten. Na, und wo sind wir dann hier?
Inzwischen hatte er den Stadtrand erreicht. Als er umkehrte, kam ihm ein gedrungener, rotgesichtiger Mann entgegengelaufen.
»Mr. Elgin? Mr. Thomas Elgin?«
»Das bin ich«, bestätigte Blaine mit einer gewissen Zurückhaltung.
»Tut mir furchtbar leid, daß ich Sie am Kai verpaßt habe«, sagte der rotgesichtige Mann und rieb sich seine breite, glänzende Stirn mit einer Bandanna. »Keine Entschuldigung, natürlich. Reine Nachlässigkeit meinerseits. Das müßige Klima hier auf den Inseln. Man läßt sich gehen. Oh, ich bin Davis, Besitzer des Bootsbüros Point. Willkommen auf Taiohae, Mr. Elgin.«
»Vielen Dank, Mr. Davis«, erwiderte Blaine.
»Im Gegenteil, ich habe Ihnen noch einmal dafür zu danken, daß Sie auf meine Anzeige geantwortet haben«, sagte Davis. »Ich suche schon seit Jahren einen anständigen Bootsausstatter. Sie können sich das gar nicht vorstellen! Und, ganz offen zugegeben, ich hätte nie gedacht, daß ich einmal einen Mann von Ihren Qualifikationen finden würde.«
»Mmmmm«, sagte Blaine, angenehm überrascht von der Gründlichkeit, mit der Orc hier alles vorbereitet zu haben schien.
»Gibt nicht viele Leute, die sich mit der Bootsbaukunst des 20. Jahrhunderts auskennen«, meinte Davis traurig. »Eine aussterbende Kunst – Haben Sie sich schon auf der Insel umgesehen?«
»Gerade eben, ganz kurz«, erwiderte Blaine.
»Meinen Sie, Sie könnten es hier aushalten?« fragte Davis gespannt. »Sie haben keine Ahnung, wie schwer es ist, einen guten Yachtausstatter zu finden, der sich in einem so stillen, abgelegenen Hafen niederlassen will. Sie wollen alle in die großen Boomstädte wie Papete oder Apia. Ich weiß, daß dort natürlich auch besser bezahlt wird, und es gibt mehr Nachtleben, Vergnügen, Gesellschaft und all diese Dinge. Aber Taiohae hat seinen eigenen Zauber.«
»Was Städte angeht, reicht es mir eine ganze Weile«, antwortete Blaine lächelnd. »Ich werde es hier lange aushalten, Mr. Davis.«
»Prima, prima!« rief Davis. »Lassen Sie sich ruhig erst mal ein paar Tage Zeit hier, bevor Sie zur Arbeit kommen. Ruhen Sie sich aus, lassen Sie es langsam angehen, schauen Sie sich gemütlich unsere Insel an. Es ist das letzte Überbleibsel des primitiven Polynesiens, wissen Sie. Hier sind die Schlüssel zu Ihrem Haus, Mr. Elgin. Nr. 1, Temetiu Road, gleich hier vorne den Berg hoch. Soll ich Ihnen den Weg zeigen?«
»Ich finde ihn schon«, versicherte Blaine. »Vielen herzlichen Dank, Mr. Davis.«
»Ich habe Ihnen zu danken, Mr. Elgin. Ich schau morgen mal bei Ihnen vorbei, nachdem Sie sich hier ein bißchen eingelebt haben. Dann kann ich Sie mit den Leuten hier bekanntmachen. Die Frau des Bürgermeisters gibt Donnerstag gerade eine Party. Oder ist es Freitag? Wie auch immer, ich finde es raus und laß es Sie wissen.«
Sie schüttelten sich die Hände, und Blaine ging zur Temetiu Road hinauf, wo sein neues Zuhause lag.
Es stellte sich als kleiner, frisch gestrichener Bungalow mit einem spektakulär schönen Blick über Nuku Hivas drei südliche Buchten heraus. Blaine bewunderte minutenlang die Aussicht, dann probierte er die Türe. Sie war unverschlossen, und er ging hinein.
»Es wurde Zeit, daß du dich hier sehen läßt.«
Blaine starrte sich die Augen aus dem Kopf und wollte nicht glauben, was er da sah.
»Marie!«
*
Sie schlank, begehrenswert, lieb und kühl wie immer. Aber sie war nervös. Sie redete sehr schnell und vermied, ihm in die Augen zu sehen.
»Ich dachte, es wäre am besten, wenn ich die letzten Arrangements an Ort und Stelle treffe«, sagte sie. »Ich bin seit zwei Tagen hier und warte auf dich. Du hast Mr. Davis schon getroffen, nehme ich an. Er scheint ein sehr netter Bursche zu sein.«
»Marie …«
»Ich habe ihm erzählt, ich wäre deine Verlobte«, fuhr sie fort. »Ich hoffe, das macht dir nichts aus, Tom. Ich brauchte dringend irgendeine Entschuldigung, um meine Anwesenheit hier zu erklären. Ich habe erzählt, ich wäre früher gekommen, um dich zu überraschen. Mr. Davis war ganz entzückt, denn er möchte nichts lieber, als daß sein Bootsausstatter sich hier niederläßt und Familie gründet. Ist das schlimm, Tom? Wir können immer noch sagen, wir hätten die Verlobung kurzfristig aufgelöst …«
Blaine nahm sie in den Arm und sagte: »Ich möchte die Verlobung aber nicht auflösen. Ich liebe dich, Marie.«
»O, Tom, Tom, ich liebe dich!« Sie drückte ihn wild an sich und trat dann schnell zurück. »Wir sollten dann besser bald die offizielle Heirat vorbereiten, wenn es dir nichts macht. Sie sind hier sehr prüde und altmodisch, weißt du, ist noch echtes 20. Jahrhundert.«
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Blaine. »Doch, doch.«
Sie sahen einander an und brachen dann in schallendes Gelächter aus.
Marie bestand darauf, im South Sea Motel zu wohnen, bevor sie offiziell geheiratet hatten. Blaine schlug eine stille Zeremonie vor einem Friedensrichter vor. Aber Marie überraschte ihn mit dem Wunsch, das größte Hochzeitsfest zu veranstalten, das in Taiohae möglich war. Es fand am Sonntag statt, im Haus des Bürgermeisters.
Mr. Davis lieh ihnen einen kleinen Kutter seines Bootsbüros. Bei Sonnenaufgang setzten sie Segel für eine Hochzeitskreuzfahrt nach Tahiti.
Für Blaine wurde die Fahrt zu einem köstlichen, schwebenden Traum. Sie segelten über eine See aus grüner Jade und sahen den Mond, gelb und riesig, vom Mastkreuz des Kutters gevierteilt. Die Sonne hob sich aus langen, schwarzen Wolken, erreichte den Zenit und stieg wieder hinab, wobei sie die See in eine schimmernde Schale voller flüssigem Messing verwandelte. Sie gingen in der Lagune von Papete vor Anker und sahen die Berge von Moorea, die im Sonnenuntergang brannten und phantastischer waren als die Berge des Mondes. Und Blaine erinnerte sich an einen Tag an der Chesapeake Bay, als er geträumt hatte: Oh, Raiatea, die Berge von Moorea, der frische Handelswind …
Ein Kontinent und ein Ozean hatte ihn von Tahiti getrennt und noch einige andere Dinge mehr. Aber das war in einem anderen Jahrhundert gewesen.
Irgendwann kehrten sie schließlich nach Taiohae zurück. Marie übernahm den Haushalt, und Blaine begann mit seiner Arbeit auf der kleinen Werft von Davis’ Bootsbüro.
*
Gespannt warteten sie die nächsten Wochen ab, was sich in New York tat, lasen aufmerksam die Zeitungen, warteten auf die weiteren Reaktionen von Rex. Aber das Unternehmen rührte sich nicht, kein Anzeichen für eine weitere Verfolgung, war auszumachen. So entschieden sie, daß die unmittelbare Gefahr vorüber sein mußte. Trotzdem waren sie erst richtig erleichtert, als sie zwei Monate später lasen, daß Rex die Blaine-Jagd offiziell eingestellt hatte.
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