»Hüllenreiniger für Mar-Coling Raumer gesucht. Muß Rh positiv haben und verstärkter Antiklaustrophobiker sein.«
»Listenmann für hochtensilen Abfalltransporter gesucht. Bedingung: Grundkenntnisse in Jenkling. Verpflegung inklusive.«
Blaine merkte, daß selbst ungelernte Arbeit im Jahre 2110 ihn im Augenblick überfordern würde. Als er die Seite ›Stellenangebote für junge Leute‹ aufschlug, las er:
»Junger Mann gesucht, der sich für Slic-Trug-Maschinen interessiert. Gute Aufstiegsmöglichkeiten. Grundkenntnisse in Integralrechnung und Erfahrung im Gebrauch der Hooteschen Formeln erforderlich.«
»Junger Mann für Außendienstarbeit auf Venus gesucht. Gehalt plus Verkaufsprovision. Grundkenntnisse in Französisch, Deutsch, Russisch und Ourescz erwünscht.«
»Zeitungsausträger: Die Eth-Col-Agentur sucht Zeitungsjungen. Müssen Spenning lenken können. Gute Stadtkenntnisse erforderlich.«
Er konnte also noch nicht einmal als Zeitungsjunge arbeiten!
Es war ein deprimierender Gedanke. Es war offenbar doch schwieriger, eine Stelle zu finden, als er gedacht hatte. War denn niemand mehr in dieser Stadt, der Gräben aushob oder Pakete austrug? Machten die Roboter alle körperlichen Arbeiten, oder brauchte man mittlerweile sogar schon einen Doktortitel, um eine Schubkarre zu schieben? Was war das nur für eine Welt?
Er blätterte zurück auf die erste Seite des New York Times und stellte sein Lesegerät schärfer ein, dann las er die Tagesneuigkeiten:
In Oxa, Südmars, wurde ein neuer Raumhafen gebaut.
Ein Poltergeist war vermutlich die Ursache für mehrere Brände in Industrieanlagen in Chicago. Man hatte mit Versuchsexorzismen begonnen.
Im Sektor Sigma-G des Asteroidengürtels waren reiche Kupfervorkommen entdeckt worden.
In Berlin waren zunehmende Doppelgängeraktivitäten zu verzeichnen.
In den Octopidörfern der Mindanao-Tiefe fanden weitere Forschungsarbeiten statt.
In Spenser, Alabama, hatte ein Mob zwei städtische Zombies gehenkt und verbrannt. Gegen die Rädelsführer waren rechtliche Schritte eingeleitet worden.
Ein führender Anthropologe vertrat die Auffassung, daß das Tuamoto-Archipel in Ozeanien die letzte Bastion des einfachen Lebens in der Art des Zwanzigsten Jahrhunderts sei.
Die Atlantische Fischwächtergesellschaft hielt ihre Jahresversammlung im Waldorf ab.
Im österreichischen Tirol hatte man ohne Erfolg einen Werwolf gejagt. Den Dorfbewohnern wurde angeraten, rund um die Uhr Wachtposten aufzustellen, damit sie sich vor dem Tier schützen könnten.
Im Kongreß war ein Gesetzesvorschlag unterbreitet worden, der Jagden und Gladiatorenkämpfe verbieten sollte. Der Antrag wurde abgelehnt.
In der Unterstadt von San Diego hatte ein Amokläufer vier Menschen getötet.
Die Zahl der Hubschrauberunfälle hatte dieses Jahr bereits die Ein-Millionen-Grenze überschritten.
Blaine legte die Zeitung beiseite, er war deprimierter denn je. Gespenster, Doppelgänger, Werwölfe, Poltergeister … Der Klang dieser vagen, grimmigen alten Worte gefiel ihm ganz und gar nicht; sie schienen heutzutage völlig reale Erscheinungen zu bezeichnen. Er wollte keinem der gefährlicheren Nebeneffekte des Jenseits mehr begegnen.
Er stand auf und ging weiter. Er kam durch das Theaterviertel, schritt an glitzernden Markisen vorbei, an Plakaten, die die Gladiatorenkämpfe im Madison Square Garden anpriesen, an Ankündigungen für Solido-Visionsprogramme und Senso-Shows, an leuchtenden Videowänden, die Übertonkonzerte und venusische Pantomimen ankündigten. Traurig dachte Blaine daran, daß er ein Teil dieses überwältigenden Märchenlands hätte sein können, wenn Reilly sich nicht eines anderen besonnen hätte. Er hätte in einem von diesen Theatern auftreten können, angekündigt als ›Der Mann aus der Vergangenheit‹ …
Natürlich! Plötzlich wurde Blaine klar, daß ein Mann aus der Vergangenheit einen einzigartigen und unzweifelbaren Neuheitswert hatte, ein latentes Talent. Die Rex Corporation hatte sein Leben im Jahre 1958 nur gerettet, um dieses Talent auszuschlachten. Aber sie hatten ihre Meinung geändert. Was sollte ihn denn nun daran hindern, seinen Neuheitswert selbst auszubeuten? Und was sollte er denn auch sonst schon tun? Es sah so aus, als sei das Showgeschäft das einzige Geschäft, das ihm offenstand.
Er eilte in ein riesiges Bürogebäude und sah, daß auf der Liste sechs Theateragenturen standen. Er wählte Barnex, Scofield & Styles aus und nahm den Aufzug zu ihrem Büro im neunzehnten Stock.
Er kam in einen luxuriösen Warteraum, an dessen Wänden gigantische Solidografien von lächelnden Schauspielerinnen hingen. Am anderen Ende des Raums sah ihn eine hübsche Empfangsdame mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Blaine schritt an ihren Schreibtisch. »Ich möchte jemanden wegen meiner Nummer sprechen«, sagte er.
»Tut mir sehr leid«, sagte sie, »wir sind völlig ausgebucht.«
»Das ist aber eine ganz besondere Nummer.«
»Es tut mir ehrlich leid. Vielleicht nächste Woche.«
»Hören Sie«, sagte Blaine, »meine Nummer ist wirklich einmalig. Sehen Sie, ich bin ein Mann aus der Vergangenheit.«
»Es würde mich auch nicht interessieren, wenn Sie das Gespenst von Kirk Douglas wären«, flötete sie. »Wir sind ausgebucht. Versuchen Sie’s nächste Woche noch einmal.«
Blaine wandte sich ab, um zu gehen. Ein kurzer, gedrungener Mann schoß an ihm vorbei und nickte der Empfangsdame knapp zu.
»Morgen, Miss Thatcher.«
»Morgen, Mr. Barnex.«
Barnex! Einer der Agenten! Blaine rannte hinter ihm her und packte ihn am Ärmel.
»Mr. Barnex«, sagte er, »ich habe eine Nummer -«
»Jeder hat eine Nummer«, sagte Barnex gelangweilt.
»Aber diese Nummer ist einmalig!«
»Jedermanns Nummer ist einmalig«, sagte Barnex. »Lassen Sie meinen Ärmel los. Versuchen Sie’s nächste Woche noch einmal.«
»Ich bin aus der Vergangenheit!« rief Blaine und kam sich plötzlich ziemlich lächerlich vor. Barnex drehte sich um und starrte ihn an. Er sah so aus, als würde er gleich die Polizei oder die Feuerwehr anrufen. Aber Blaine redete weiter, ohne Rücksicht auf Verluste.
»Ich bin es wirklich!« sagte er. »Ich habe absolut sichere Beweise. Die Rex Corporation hat mich aus der Vergangenheit gerissen. Fragen Sie sie doch!«
»Rex?« sagte Barnex. »Ja, bei Lindys habe ich davon gehört … Hmm. Kommen Sie mit in mein Büro, Mister -«
»Blaine, Tom Blaine.« Er folgte Barnex in eine winzige überfüllte Nische. »Haben Sie eine Verwendung für mich?« fragte er.
»Vielleicht«, sagte Barnex und winkte Blaine in einen Sessel. »Kommt drauf an. Sagen Sie mir, Mr. Blaine, aus welcher Epoche der Vergangenheit stammen Sie?«
»Aus 1958. Ich habe genaue Kenntnisse der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich habe auf der Schulbühne gestanden und eine Berufsschauspielerin, die ich mal kannte, hat mir gesagt, daß ich eine natürliche -«
»1958? Zwanzigstes Jahrhundert, ja?«
»Ja, genau.«
Der Agent schüttelte den Kopf. »Zu schade. Wenn Sie nun ein Schwede aus dem sechsten Jahrhundert gewesen wären oder ein Japaner aus dem siebten, dann hätte ich Ihnen eine Stelle verschaffen können. Ich hatte auch keine Schwierigkeiten damit, Verträge für unsere Römer aus dem ersten Jahrhundert und unseren Sachsen aus dem vierten Jahrhundert zu bekommen, und von denen könnte ich noch ein paar mehr gebrauchen. Aber es ist verdammt schwierig, jemanden aus diesen frühen Jahrhunderten zu bekommen, seitdem die Zeitreisen verboten wurden. Und vor Christus, das kann man erst recht vergessen.«
»Aber was ist mit dem 20. Jahrhundert?« fragte Blaine.
»Ausgebucht.«
»Ausgebucht?«
»Klar. Ben Therler aus 1953 bekommt schon alle zur Verfügung stehenden Auftritte.«
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