Er konnte Archer gut leiden, hatte ihn auf Anhieb sympathisch gefunden. Aber — und diesen Gedanken wollte er nicht zu genau analysieren — vielleicht war das ein weiterer Grund dafür, dass er ihn nicht anrief. Er mochte Archer und ahnte, dass er ihm keinen Gefallen tun würde, wenn er ihn in diese Sache mit hineinzog. Hilf uns, hatten die Maschinenkäfer gesagt. Defekt, hatten sie signalisiert. Reparatur ist notwendig. Welche Schlussfolgerung ergab sich daraus? Irgendetwas war nicht in Ordnung. Irgendetwas hatte innerhalb irgendeiner besonders leistungsfähigen Maschinerie nicht funktioniert. Tom konnte das nicht ignorieren. Er hatte seine Wahl getroffen. Aber wenn er Archer wirklich mochte — dieser lästige Gedanke hielt sich beharrlich —, dann wollte er ihn lieber von dem Haus an der Post Road fernhalten.
In dieser Zeit ging er weiterhin seiner Arbeit nach — er war sogar pünktlich —, aber seine Leistungen ließen zu wünschen übrig. Das konnte er nicht leugnen, und er konnte auch nichts daran ändern. Das Verkaufen von Gebrauchtwagen, selbst an den interessiertesten Kunden, erschien ihm zunehmend sinn- und perspektivlos, fast schon lächerlich. Tom bemerkte, dass Klein ihn im Laden häufiger beobachtete. Dabei verzog er sein Gesicht zu einem missbilligenden Stirnrunzeln, aber auch das war bedeutungslos. Während der heißen Nachmittage entwickelte Tom eine geradezu zenartige Ruhe und Abgeklärtheit, als beobachtete er das ganze Herumgerenne aus dem Korb eines Heißluftballons. Nüchtern betrachtet, das war ihm klar, brauchte er diesen Job, um etwas zu essen zu haben. Aber er könnte sich für eine Weile über Wasser halten, selbst wenn er den Job verlor. Außerdem gab es auch noch andere Jobs. Vor allem gab es einen seltsamen Tunnel, hinter einer Wand in seinem Keller. Sein Zuhause wimmelte von kleinen funkelnden Kreaturen, die meisten nicht größer als sein Daumen. In seinem Blutkreislauf waren friedliche, mikroskopisch kleine Roboter unterwegs, und dann hatte auch noch sein Fernseher angefangen, sich mit ihm zu unterhalten. Wenn man all das in Erwägung zog, dann war es außerordentlich schwierig, nicht fröhlich zu lächeln und irgendwelche alternativen Möglichkeiten aufzuzeigen, um diesen lästigen 76er Coronet loszuwerden.
Zu Hause achtete er darauf, dass der Fernseher die meiste Zeit nicht ans Stromnetz angeschlossen war. Er nannte den Kasten immer noch Fernseher, aber er war überzeugt, dass das nicht mehr zutraf. Er war eine private Kommunikationsleitung für die Wesen, mit denen er sich das Haus teilte. Er beschloss, ihn nur noch zu benutzen, wenn er eine spezielle Frage hatte — nicht dass er damit rechnete, dass die Antworten ihm eine Hilfe wären.
Eines Abends steckte er den Stecker in die Steckdose und fragte, was sich am anderen Ende des Tunnels im Keller befand — was er vorfinden würde, wenn er sich dorthin begäbe. ZERSTÖRUNGantwortete die Maschine. Die Antwort erschreckte Tom und brachte ihn zu der nächsten Frage: »Für mich? Ihr meint, ich würde vernichtet?«
DER TERMINAL WURDE ZERSTÖRT
NICHT DU ABER AUCH DAS WÄRE MÖGLICH
Der Tunnel beschäftigte ihn weiterhin. Er vermutete, es wäre unausweichlich, dass er den Zugang erneut öffnete, in den Tunnel eindrang und seinem Verlauf folgte. Er hatte diesen Schritt verschoben, weil er sich davor fürchtete — aber er wollte ihn auch tun, wünschte es sich mit einer geradezu alarmierenden Intensität. Der Kauf dieses Hauses war der Beginn einer Kette von Ereignissen gewesen, die nicht eher beendet war, als bis er dem Tunnel so weit gefolgt war, wie dieser ihn führen würde.
Aber diese Erkenntnis war beängstigend, und das hochempfindliche Gleichgewicht zwischen Angst und Besessenheit hielt ihn vom Keller fern.
Seine Träume baten ihn nicht mehr um Hilfe, aber als er am Freitagabend nach Hause zurückkam und feststellen musste, dass der Radiowecker auf seinem Nachttisch die Worte »Hilf uns, Tom Winter« mit der Stimme des Rundfunksprechers eines bekannten Radiosenders in Seattle von sich gab, riss er das Netzkabel aus der Dose und machte sich auf die Suche nach seinem Brecheisen. Er hatte schon zu lange gewartet. Es wurde Zeit, den seltsamen Traum auszuleben, zu dem sein Dasein sich entwickelt hatte, und ihn bis zu seinem Ende zu verfolgen.
Er öffnete erneut die Wand. Eine Reihe von Maschinenkäfern saß auf dem Deckel des Wäschetrockners und sah ihm mit großen, glänzenden Augen und ohne eine sichtbare Reaktion zu. Er vermutete, dass er sich ihre geduldige, verkniffene Missbilligung dessen, was er tat, nur einbildete.
Danach überstürzten sich die Ereignisse beinahe.
Innerhalb der folgenden Woche unternahm er drei Abstecher in den Tunnel.
Der erste — an diesem Abend — diente einem ersten Kennenlernen. Seine Zweifel meldeten sich erneut, als er den Tunnel wiedersah und in dessen Licht eintauchte. Er machte ein paar zaghafte Schritte in seiner weißen Lichtfülle, dann hielt er inne und schaute zurück. Die Rigipswand seines Kellers stand grotesk mitten im Raum, als habe sie diesen ungehindert sich ausdehnenden Raum fast zufällig unterbrochen. Sie erschien dort ebenso unpassend und unerklärlich wie ein Märchenschloss auf einer Müllkippe. (Aber der Tunnel konnte noch gar nicht dagewesen sein, als das Haus gebaut wurde, oder? Die Bauherren hätten sicherlich einiges einzuwenden gehabt.) Der Tunnel selbst hatte einen rechteckigen Querschnitt. Die Wände fühlten sich glatt und warm an. Die Luft roch frisch und war überhaupt nicht schal und abgestanden. Er machte einen weiteren zaghaften Schritt, dann ging er entschlossen weiter. Der Fußboden schien ganz schwach zu federn, und seine Füße erzeugten keinen Laut. Alle paar Meter drehte Tom sich um und versuchte die Strecke zu schätzen, die er zurückgelegt hatte.
Nach seinen Berechnungen war er mehrere hundert Meter gegangen — vermutlich befand er sich jetzt tief im Berg unter der Post Road —, als die Biegung des Tunnels endlich lang genug war, dass er sein Zuhause nicht mehr sehen konnte. So seltsam der Anblick aus dieser Perspektive auch gewesen war, er hatte etwas Beruhigendes gehabt. Er stand einen Moment lang da, während beunruhigende Gedanken auf ihn einstürmten. »Das ist aber ein verdammt verrückter Ort«, sagte er laut und erwartete ein Echo. Aber der Tunnel schluckte die Laute. In beiden Richtungen gab es nichts anderes zu sehen als die glatte Wand und die Tunnelbiegung.
Er ging weiter. Er hatte keine Möglichkeit, den Winkel der Tunnelkrümmung zu messen, aber die Biegung hörte nicht auf — er hätte schwören können, dass er bereits eine Hundertachtzig-Grad-Biegung hinter sich gebracht hatte. Er hätte einen Kompass mitnehmen sollen… doch eine Ahnung sagte ihm, dass er hier sicherlich nicht funktioniert hätte, dass seine Nadel sich ständig gedreht oder vielleicht sogar stur nach vorn gezeigt hätte. Er stand in diesem hellen, glatten Gang fernab seiner vertrauten Umgebung. Kalter Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Er machte lautlose kleine Katzenschritte, strengte sein Gehör an, um irgendwelche Geräusche vor sich wahrzunehmen. Die Angst meldete sich wieder, begleitet von einem klaustrophobischen Empfinden. Der Tunnel war etwas höher als sein Kopf und bot rechts und links ebenso viel Platz. Sich umzudrehen fiel nicht leicht. Und es gab keinen anderen Fluchtweg als die lang gezogene Biegung hinter ihm.
Aber dann verlief der Tunnel nach und nach immer gerader, und einige Minuten später sah er vor sich das, was er für das Ende des Gangs hielt: eine graue Masse, die auf diese Entfernung nicht genau zu identifizieren war. Er beschleunigte seine Schritte ein wenig.
Als er sie erreichte, war die Wand keine Wand, sondern eine Ruine. Es war kaum mehr als ein Haufen Ziegelsteine, Zementklötze und Staub, verstreut auf dem jungfräulich weißen Boden. Es schien keinen Weg hindurch zu geben.
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