Und auf diesen Gedanken reagierte ich, indem ich an meiner Konsole Morton anrief und ihn aufforderte, die Möglichkeit zu erforschen, ob diese Anwendung der Liege patentierbar sei.
Es war keine sehr romantische Reaktion auf einen durchaus romantischen Gedanken. Das Problem war: Ich war mir nicht ganz sicher, mit wem ich mir eine solche Verbindung wünschte. Mit meiner lieben Frau, die jetzt so bedürftig war? Oder mit jemandem, der viel weiter entfernt und viel schwerer zu erreichen war?
So verbrachte ich den langen brasilianischen Nachmittag träge, lag im Badebecken, ließ mich von der untergehenden Sonne bescheinen, aß in meiner Suite elegant zu Abend und trank eine Flasche Wein dazu. Dann rief ich noch einmal Albert, um ihn zu fragen, was ich in Wahrheit wissen wollte.
»Albert? Wo genau ist Klara jetzt?«
Er stopfte Tabak in seine Pfeife und zog die Brauen zusammen.
»Gelle-Klara Moynlin«, sagte er schließlich, »ist in einem Schwarzen Loch.«
»Ja. Und was bedeutet das?«
»Das ist schwer zu sagen«, erwiderte er bedauernd. »Ich meine, es ist schwer, das einfach auszudrücken, und auch schwer zu sagen, weil ich es eigentlich nicht weiß. Nicht genug Daten.«
»Tu, was du kannst.«
»Klare Sache, Robin. Ich würde sagen, sie ist in dem Teil des Forschungsschiffes, der in der Umlaufbahn blieb, knapp unter dem Ereignishorizont der Singularität, der ihr begegnet seid – was«, er winkte beiläufig mit der Hand, und hinter ihm tauchte eine schwarze Tafel auf, »natürlich genau am Schwarzschild-Radius ist.«
Er stand auf, stieß die unangezündete Pfeife in die Hüfttasche seiner ausgebeulten Hose, griff nach einem Stück Kreide und schrieb:

»An dieser Grenze kann das Licht nicht weiter vordringen. Sie können das als eine stehende Wellenfront betrachten, wo das Licht so weit vorgedrungen ist, wie es kann. Daran vorbei kann man nicht in das Schwarze Loch blicken. Von dahinter kann nichts herauskommen. Die Symbole stehen natürlich für Gravitation und Masse, und einem alten ÜLG-Kenner wie Ihnen brauche ich wohl nicht zu erklären, was c 2ist, oder? Nach den Messungen, die Sie mitbrachten, hat es den Anschein, dass dieses bestimmte Loch einen Durchmesser von etwa sechzig Kilometern besitzt, was ihm eine Masse vom ungefähr Zehnfachen der Sonne verleihen würde. Sage ich Ihnen da mehr, als Sie wissen wollen?«
»Ein bisschen, Albert«, sagte ich und rutschte auf dem Wassersofa unbehaglich hin und her. Ich wusste selbst nicht genau, was ich wissen wollte.
»Vielleicht möchten Sie wissen, ob sie tot ist, Robby«, meinte er. »O nein. Das glaube ich nicht. Es gibt da sehr viel Strahlung und weiß Gott welche Gravitation. Aber sie hat noch nicht viel Zeit gehabt, um tot zu sein. Das hängt von ihrer Winkelgeschwindigkeit ab. Sie weiß vielleicht noch nicht einmal, dass Sie fort sind. Zeitdehnung, wissen Sie. Das ist die Folge von …«
»Was Zeitdehnung ist, weiß ich«, unterbrach ich. Und das traf auch zu, weil ich beinahe das Gefühl hatte, sie am eigenen Leib zu erleben. »Gibt es irgendeinen Weg, das festzustellen?«
»›Ein Schwarzes Loch hat keine Haare‹, Robby«, zitierte er ernsthaft. »Das nennen wir das Carter-Werner-Robinson-Hawking-Gesetz, und es bedeutet, dass man über ein Schwarzes Loch nichts in Erfahrung bringen kann als Masse, Ladung und Winkelgeschwindigkeit. Aus.«
»Es sei denn, man gelangt hinein, wie sie es getan hat.«
»Hm, ja. Robby«, räumte er ein, setzte sich und beschäftigte sich mit seiner Pfeife. Lange Pause. Paff, paff. Dann: »Robin?«
»Ja, Albert?«
Er wirkte verlegen, oder so verlegen, wie ein Hologramm wirken kann.
»Ich bin zu Ihnen nicht ganz fair gewesen«, sagte er. »Es gibt Information, die aus Schwarzen Löchern kommt. Aber das führt uns zur Quantenmechanik. Und außerdem nützt es Ihnen nichts. Nicht für Ihre Absichten.«
Es war mir nicht gerade angenehm, mir von einem Computerprogramm sagen lassen zu müssen, welche »Absichten« ich hegte. Zumal da ich mir selbst nicht ganz sicher war.
»Heraus damit!«, befahl ich.
»Tja … eigentlich wissen wir nicht sehr viel. Das geht zurück auf Stephen Hawkings erste Theorien. Er wies darauf hin, dass man einem Schwarzen Loch in einem bestimmten Sinn eine ›Temperatur‹ zuschreiben kann – was irgendeine Art von Strahlung unterstellt. Es entkommen also doch Teilchen. Aber nicht aus der Art von Schwarzen Löchern, die Sie interessieren, Robby.«
»Aus welcher Art können sie dringen?«
»Meistens aus den winzigen. Denen mit der Masse vom, sagen wir, Mount Everest. Submikroskopische. Nicht größer als ein Atomteilchen. Sie werden sehr heiß, hundert Milliarden Kelvin und mehr. Je kleiner sie sind, desto rascher verläuft die Quantentunnelung, desto heißer werden sie – sie fahren also fort, immer kleiner und heißer zu werden, bis sie einfach auseinander fliegen. Die großen tun das nicht. Da geht es anders herum. Je größer sie sind, desto mehr stürzt hinein, womit sie ihre Masse auffüllen können, und desto schwerer wird es für ein Teilchen zu entkommen. Ein Schwarzes Loch wie das von Klara hat eine Temperatur irgendwo im Bereich von einem hundertmillionstel Kelvin, was wirklich kalt ist, Robin. Und immer kälter wird.«
»Aus solchen kommt man also nicht heraus.«
»Auf keine Weise, die ich kenne, nein, Robin. Beantwortet das Ihre Fragen?«
»Vorerst«, sagte ich und entließ ihn. Die Fragen waren auch wirklich beantwortet, bis auf eine: Woher kam es, dass er mich, wenn er von Klara sprach, »Robby« nannte?
Essie schrieb gute Programme, aber ich gewann langsam den Eindruck, dass sie anfingen, sich zu überschneiden. Ich hatte einmal ein Programm gehabt, das mich von Zeit zu Zeit mit Namen aus meiner Kindheit ansprach. Aber es war ein psychiatrisches Programm gewesen. Ich nahm mir vor, Essie zu bitten, dass sie ihre Programmierung auf Vordermann brachte, weil ich ganz gewiss nicht das Gefühl hatte, ich bedürfte jetzt der Dienste von Sigfrid Seelenklempner.
Senator Pragglers Büro auf Zeit befand sich nicht im Gateway-Turm, sondern im 26. Stockwerk des Bürogebäudes der Gesetzgeber. Eine Freundlichkeit des brasilianischen Kongresses einem Kollegen gegenüber, und eine schmeichelhafte dazu, weil es nur zwei Etagen unter der höchsten lag. Trotz der Tatsache, dass ich beim Hellwerden aufgestanden war, kam ich ein paar Minuten zu spät. Ich hatte die Zeit damit verbracht, am frühen Morgen in der Stadt herumzulaufen. Ich befand mich immer noch in einer Art Zeitstillstand.
Aber Praggler riss mich heraus, strahlend und energiegeladen.
»Wunderbare Nachrichten, Robin!«, rief er, zog mich in sein Büro und bestellte Kaffee. »Mein Gott! Wie dumm wir alle gewesen sind!«
Einen Augenblick lang glaubte ich, er wolle damit sagen, Bover hätte seine Klage zurückgezogen. Das bewies nur, wie dumm ich immer noch war; was er meinte, war eine späte Blitzmeldung von der Relaisstation zur Nahrungsfabrik. Die vielgesuchten Hitschi-Bücher hatten sich als die Gebetsfächer herausgestellt, die wir alle schon seit Jahrzehnten kannten.
»Ich dachte, Sie wissen schon Bescheid«, entschuldigte er sich, als er mich eingeweiht hatte.
»Ich bin spazieren gegangen«, sagte ich. Es war für ihn ziemlich verwirrend, mir etwas derart Bedeutendes über mein eigenes Projekt mitzuteilen. Aber ich erholte mich rasch. »Das scheint mir ein großer Vorteil für unser Bestreben zu sein, diese Verfügung annullieren zu lassen, Senator«, meinte ich.
Er grinste. »Wissen Sie, ich hätte mir denken können, dass Sie es so sehen. Möchten Sie mir verraten, wie Sie darauf kommen?«
»Na ja, was ist der wichtigste Zweck der Expedition? Wissen über die Hitschi zu beschaffen. Und jetzt erfahren wir, dass eine Riesenmenge einfach herumliegt und nur darauf wartet, dass wir danach greifen.«
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