»Was bedeutet, dass ich wohl besser zum Senator gehe.« Ich schaltete Morton ab und rief Harriet, um mich nach meinen Terminen zu erkundigen.
»Ich kann Ihnen gleich das Sekretariatsprogramm des Senators geben«, sagte sie lächelnd und verschwand. An ihrer Stelle erschien eine eher skizzenhafte Darstellung eines hübschen, schwarzhäutigen Mädchens. Es war eine schwache Simulation, nicht zu vergleichen mit den Programmen, die Essie schrieb. Aber Praggler war ja auch nur U. S.-Senator.
»Guten Tag«, sagte sie. »Der Senator hat mich gebeten, Ihnen mitzuteilen, dass er sich heute Abend in Ausschuss-Angelegenheiten in Rio de Janeiro befindet, Ihnen aber morgen Vormittag gerne zur Verfügung steht, wenn Ihnen das recht ist. Sagen wir, um zehn Uhr?«
»Sagen wir um neun«, erwiderte ich etwas erleichtert. Ich hatte mir ein bisschen Sorgen wegen Pragglers Versäumnis gemacht, sich sofort bei mir zu melden, aber nun begriff ich, dass er einen guten Grund dafür hatte: das üppige Leben von Ipanema.
»Harriet?« Als sie wieder auftauchte, fragte ich: »Wie geht es Mrs. Broadhead?«
»Keine Veränderung, Robin«, sagte sie lächelnd. »Sie ist wach und verfügbar, wenn Sie mit ihr sprechen wollen.«
»Darauf kannst du dein kleines, elektronisches Hinterchen verwetten«, gab ich zurück. Sie nickte und löste sich auf. Harriet ist ein wirklich gutes Programm; sie versteht nicht immer alle Worte, aber sie kann nach dem Ton meiner Stimme eine Ja-Nein-Entscheidung treffen, und als Essie erschien, sagte ich: »S. Ya. Laworowna, du leistest großartige Arbeit.«
»Aber sicher, lieber Robin«, bestätigte sie stolz. Sie stand auf und drehte sich langsam. »Wie deine Ärzte, was du an mir sehen kannst.«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich begriff. Es gab keine Lebenserhaltungsschläuche! Sie trug an der linken Körperseite Gewebeformungsgips, aber von den Maschinen war sie endlich befreit!
»Mein Gott, Mädchen, was ist geschehen?«
»Vielleicht eine Heilung«, erwiderte sie gelassen. »Aber das ist nur ein Versuch. Die Ärzte sind soeben gegangen, und ich soll das sechs Stunden lang ausprobieren, dann wollen sie mich wieder untersuchen.«
»Du siehst phantastisch aus.« Wir plauderten einige Minuten lang belangloses Zeug. Sie erzählte mir von den Ärzten, ich ihr von Brasilia, während ich sie mir so gründlich ansah, wie das in einem PV-Tank ging. Sie stand immer wieder auf, um sich zu recken und ihre Freiheit zu genießen, bis ich mir Sorgen machte.
»Bist du sicher, dass du das alles tun sollst?«
»Man hat mir erklärt, dass ich eine Weile nicht an Wasserskifahren oder Tanzen denken darf, aber vielleicht ist nicht alles verboten, was Spaß macht.«
»Essie, du unkeusches Mädchen, ist das ein lüsterner Blick, den ich entdecke? Fühlst du dich dafür wohl genug?«
»Ganz wohl, ja. Wohl. Nicht wohl «, erläuterte sie, »aber vielleicht so, als hätten wir beide vor ein, zwei Tagen eine Nacht lang durchgezecht. Ein bisschen zerbrechlich. Aber ich glaube nicht, dass ein sanfter Liebhaber mir zum Schaden gereichen würde.«
»Ich bin morgen früh wieder zu Hause.«
»Du wirst morgen früh nicht zu Hause sein«, erklärte sie entschieden. »Du wirst zurück sein, wenn du mit deinen Geschäften in Brasilia fertig bist, und keinen Augenblick früher, sonst wirst du hier keine willige Partnerin für deine verderbten Absichten finden, mein Junge.«
Ich verabschiedete mich, erfüllt von den rosigsten Hoffnungen.
Die ganze fünfundvierzig Minuten lang anhielten, bis ich dazu kam, mich bei der Ärztin zu erkundigen.
Das dauerte ein bisschen, weil sie, als ich anrief, gerade auf dem Rückweg zu ihrer Universität war.
»Tut mir Leid, dass ich in Eile bin, Mr. Broadhead«, entschuldigte sie sich, während sie ihre graue Tweedkostümjacke auszog. »In ungefähr zehn Minuten muss ich Studenten zeigen, wie man Nerven zusammennäht.«
»Sonst sagen Sie Robin zu mir, Doktor Liederman«, meinte ich, während meine Stimmung rapide sank.
»Ja, das stimmt … Robin. Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe keine schlechten Nachrichten.« Während sie antwortete, zog sie sich weiter aus bis auf die Unterwäsche, bevor sie Hose, Rollkragenpullover und Operationskittel anzog. Wilma Liederman ist eine gut aussehende Frau, aber ich war nicht da, um ihre Reize zu beglotzen.
»Aber gute auch nicht?«
»Noch nicht. Sie haben mit Essie gesprochen, also wissen Sie, dass wir es bei ihr ohne Maschinen versuchen. Wir müssen wissen, wie weit sie es aus eigener Kraft schafft, und das erfahren wir erst in vierundzwanzig Stunden. Hoffe ich jedenfalls.«
»Essie sprach von sechs.«
»Sechs Stunden bis zu den Messungen, vierundzwanzig für den ganzen Versuch. Außer, sie lässt vorher stark nach und muss sofort wieder an die Maschinen.« Sie sprach über die Schulter mit mir, während sie sich an ihrem kleinen Waschbecken wusch. Sie hielt die tropfenden Hände in die Luft und trat näher an das Kom-Gerät heran. »Ich möchte nicht, dass Sie sich Sorgen machen, Robin«, sagte sie. »Das ist alles ganz normal. Sie hat an die hundert Transplantate in sich, und wir müssen feststellen, ob die angewachsen sind. Ich würde sie nicht so weit gehen lassen, wenn ich nicht der Meinung wäre, dass sie zumindest passable Aussichten hat, Robin.«
»›Passabel‹ hört sich aber gar nicht gut an, Wilma!«
»Mehr als passabel, aber nageln Sie mich nicht fest. Und zerbrechen Sie sich nicht den Kopf. Sie erhalten laufend Berichte und können mein Programm jederzeit anrufen, wenn Sie mehr wissen wollen – mich natürlich auch. Wollen Sie die Chancen hören? Zwei zu eins, dass alles gut geht. Hundert zu eins, dass, wenn etwas versagt, es etwas ist, das wir beheben können. Jetzt muss ich einen kompletten Geschlechtsapparat für eine junge Dame einpflanzen, die Gewissheit haben will, dass sie später noch Spaß hat.«
»Ich glaube, ich sollte heimfliegen«, meinte ich.
»Wozu? Sie können nichts tun, als im Weg stehen. Robin, ich verspreche Ihnen, ich lasse sie nicht sterben, bevor Sie zurück sind.« Im Hintergrund ertönte ein Gong aus der Lautsprecheranlage. »Da wird mein Lied gespielt, Robin. Wir sprechen später miteinander.«
Es gibt Zeiten, da sitze ich im Mittelpunkt der Welt und weiß, dass ich jedes der Programme ansprechen kann, die meine liebe Frau für mich geschrieben hat, um jedes Faktum in Erfahrung zu bringen. Ich weiß auch, dass ich jede Erklärung aufnehmen oder jedes Ereignis abspielen lassen kann.
Und es gibt Zeiten, da sitze ich vor einer vollen Konsole, den Kopf voll brennender Fragen, und erfahre nichts, weil ich nicht weiß, was ich fragen soll.
Dann gibt es Zeiten, in denen ich so voll von Lernen und Leben bin, dass die Augenblicke vorbeirasen und die Tage vollgestopft sind; und andere, zu denen ich in einem Brackwasser neben der Strömung treibe und die Welt rasch an mir vorbeizieht. Es gab genug zu tun. Ich hatte keine Lust dazu. Albert war mit Nachrichten vom Hitschi-Himmel und der Nahrungsfabrik bis zum Bersten geladen. Ich ließ ihn das loswerden. Aber die Zusammenfassung klatschte in mein Gemüt, ohne eine Frage oder auch nur eine Kräuselung auszulösen; als er über bauliche Schlussfolgerungen und Auslegungen des Gefasels der Toten Menschen zu Ende berichtet hatte, schaltete ich ihn ab. Es wäre zutiefst interessant gewesen, aber aus irgendeinem Grund interessierte es mich nicht. Ich befahl Harriet, meinem Holophantom alle Routinedinge zu überlassen und jeden, bei dem es nicht dringend war, zu bitten, er möge mich ein andermal anrufen. Ich streckte mich auf dem Wassersofa aus und blickte auf die sonderbare Skyline von Brasilia hinaus, während ich mir wünschte, das möchte die Liege in der Nahrungsfabrik sein, verbunden mit jemandem, den ich liebte.
Wäre das nicht großartig? Hinausgreifen können zu jemandem, der ganz weit entfernt war, so wie Wan zur ganzen Erde hinausgegriffen hatte, und mit ihnen zu fühlen, was sie fühlten, ihnen sein Inneres öffnen? Unvorstellbar schön für ein Liebespaar!
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