Selbst im Überschallflugzeug dauert eine Reise von zehntausend Kilometern einige Zeit, und ich konnte viele geschäftliche Dinge erledigen. Morton wollte mich mit Beschlag belegen, solange es ging, vor allem, um mir ein Treffen mit Bover auszureden.
»Sie müssen ihn ernst nehmen, Robin«, quengelte er in meinem Ohrhörer. »Bover wird vertreten von Anjelos, Carpenter und Guttmann, und das sind überaus tüchtige Leute mit hervorragenden Juraprogrammen.«
»Besser als du?«
Ein Zögern.
»Hm … ich hoffe nicht, Robin.«
»Sag mal, Morton. Wenn Bovers Sache von Anfang an auf schwachen Füßen stand, warum geben sich diese tüchtigen Leute überhaupt mit ihm ab?«
Obwohl ich ihn nicht sehen konnte, wusste ich, dass Morton seine Defensivmiene aufsetzen würde, halb bedauernd, halb »Ihr-Laien-versteht-das-nicht«.
»Ganz so schwach ist sie nicht, Robin. Und bis jetzt lief das für uns nicht gut. Es nimmt größere Dimensionen an, als wir ursprünglich vermuteten. Und ich gehe davon aus, dass sie dachten, ihre Beziehungen würden die Schwächen übertünchen. Ich unterstelle außerdem, dass sie für ein gigantisches Erfolgshonorar arbeiten. Sie wären besser beraten, einige von Ihren eigenen Schwachstellen zu beseitigen, statt es bei Bover zu riskieren, Robin. Ihr Freund, Senator Praggler, sitzt im Überwachungsausschuss für diesen Monat. Gehen Sie zuerst zu ihm.«
»Das mache ich, aber nicht zuerst«, erklärte ich Morton und schaltete ihn ab, als wir zur Landung ansetzten. Der hohe Turm der Gateway-Behörde überragte die alberne flache Untertasse auf dem Repräsentantenhaus. Oberhalb des Sees sah ich die helle Spiegelung der Blechdächer in der Freien Stadt. Ich hatte es ziemlich knapp gemacht. Meine Verabredung mit Trish Bovers Witwer (oder Ehemann, je nach Betrachtungsweise) sollte in nicht einmal einer Stunde stattfinden, und ich wollte ihn eigentlich nicht warten lassen.
Das brauchte ich auch nicht. Ich saß schon an einem Tisch unter freiem Himmel im Brasilia-Palace-Hotel, als er hereinkam. Mager. Stirnglatze. Er setzte sich nervös, als hätte er es furchtbar eilig oder wolle unbedingt anderswohin. Aber als ich ihn zum Mittagessen einlud, studierte er zehn Minuten lang die Speisekarte und bestellte am Ende alles. Salat aus frischen Palmenherzen, kleine Frischwasser-Garnelen aus dem See, bis hinunter zu den herrlichen frischen Ananas, die von Rio mit dem Flugzeug gebracht wurden.
»Das ist in Brasilia mein Lieblingshotel«, teilte ich ihm jovial mit, ganz Gastgeber, als er Dressing über die Palmenherzen schüttete. »Alt, aber gut. Sie haben sicher schon alle Sehenswürdigkeiten besichtigt?«
»Ich habe hier acht Jahre gelebt, Mr. Broadhead.«
»Ah, verstehe.« Ich hatte nicht gewusst, wo der Schweinehund lebte, er war nur ein Name und ein Ärgernis. So viel zu Reiseeindrücken. Ich versuchte es mit gemeinsamen Interessen. »Ich habe auf dem Weg hierher eine Blitz-Zusammenfassung von der Nahrungsfabrik erhalten. Die Herter-Hall-Gruppe hält sich gut und stößt auf großartige Dinge. Wussten Sie, dass wir vier der Toten Menschen als echte Gateway-Prospektoren identifiziert haben?«
»Ich habe darüber etwas im PV gesehen, ja, Mr. Broadhead. Sehr aufregend.«
»Viel mehr, Bover. Das kann die ganze Welt von Grund auf verändern – und uns alle stinkreich machen.« Er nickte, den Mund voll Salat. Er behielt den Mund auch weiterhin voll; ich erreichte nicht viel damit, ihn aushorchen zu wollen. »Also gut«, sagte ich, »warum kommen wir nicht zur Sache? Ich möchte, dass Sie diese Verfügung zurückziehen.«
Er kaute und schluckte. Die nächste Gabel Garnelen vor dem Mund, sagte er: »Ich weiß, Mr. Broadhead«, und füllte den Mund von neuem.
Ich trank langsam und lange einen Schluck Wein, vermischt mit Mineralwasser, und sagte, Stimme und Haltung völlig in der Gewalt: »Mr. Bover, ich glaube nicht, dass Sie begreifen, worum es geht. Ich will Sie nicht niedermachen. Ich kann einfach nicht glauben, dass Sie alle Fakten kennen. Wir werden beide verlieren, wenn Sie diese Verfügung aufrechterhalten.« Ich ging sorgfältig den ganzen Fall mit ihm durch, wie Morton mir das klargelegt hatte: das Eingreifen der Gateway-Gesellschaft, Enteignungsrecht des Staates, das Problem, einer gerichtlichen Verfügung nachzukommen, wenn deine Zustimmung die Leute, die sie betrifft, erst eineinhalb Monate, nachdem sie fort sind und getan haben, was sie tun wollten, erreicht, die Gelegenheit für ein Verhandlungsergebnis. »Was ich sagen möchte«, schloss ich, »ist, dass das wirklich eine sehr große Sache ist. Zu groß, als dass wir gegeneinander arbeiten sollten. Die geben sich mit uns nicht lange ab, Bover. Die gehen einfach her und enteignen uns.«
Er hörte nicht auf zu kauen, hörte nur zu, und als er nichts mehr zu kauen hatte, trank er einen Schluck von seinem Mokka und sagte: »Wir haben wirklich nichts zu besprechen, Mr. Broadhead.«
»Aber natürlich haben wir das!«
»Nicht, wenn wir das nicht alle beide unterstellen«, betonte er, »und ich tue es nicht. Sie täuschen sich bei manchen Dingen ein bisschen. Ich habe keine Verfügung mehr. Ich habe ein Urteil.«
»Das ich aufheben lassen kann, wenn es hart …«
»Ja, das mag sein. Aber nicht so rasch. Das Recht geht seinen Gang und braucht seine Zeit dazu. Ich lasse mich auf nichts ein. Trish hat für das bezahlt, was hier herauskommt. Da sie nicht hier ist, um für die Wahrung ihrer Rechte zu sorgen, muss ich das wohl tun.«
»Aber das bezahlen wir alle beide!«
»Mag sein. Mein Anwalt sagt das auch. Er hat mir von diesem Zusammentreffen abgeraten.«
»Weshalb sind Sie dann gekommen?«
Er blickte auf die Reste seiner Mahlzeit, dann schaute er auf den Springbrunnen im Garten. Drei zurückgekehrte Gateway-Prospektoren saßen am Rand eines Spiegelteiches mit einer leicht angetrunkenen Stewardess der Fluglinie Varig zusammen, sangen und warfen den Goldfischen Pastetenbröckchen zu. Sie waren reich geworden.
»Das ist eine schöne Abwechslung für mich, Mr. Broadhead«, sagte er.
Vom Fenster meiner Suite hoch oben im neuen Palace Tower aus konnte ich die Dornenkrone der Kathedrale in der Sonne glitzern sehen. Das war besser, als auf mein Anwaltsprogramm im Voll-Monitor zu blicken, denn er hielt mir eine Standpauke.
»Sie haben unserer Sache möglicherweise massiv geschadet, Robin. Ich glaube, Sie begreifen nicht, wie sehr sich das Ganze ausdehnt.«
»Das habe ich Bover auch erklärt.«
»Nein, im Ernst, Robin. Nicht nur die Robin Broadhead AG, auch nicht mehr nur die Gateway-Gesellschaft. Die Regierung mischt sich ein. Die Staaten treten an. Und auch nicht bloß die Unterzeichner des Gateway-Abkommens. Das könnte vor die UNO kommen.«
»Ach, hör aber auf, Morton! Können sie denn das?«
»Natürlich können sie, Robin. Enteignungsrecht des Staates. Ihr Freund Bover ist auch nicht gerade hilfreich. Er beantragt einen Vermögensverwalter für Ihren gesamten Besitz, damit die Ausbeutung ordnungsgemäß erfolgt.«
Der Saukerl. Er musste gewusst haben, dass das im Gange war, während er das von mir bezahlte Essen verschlungen hatte.
»Was heißt ›ordnungsgemäß‹? Was habe ich denn falsch gemacht?«
»Kurze Liste, Robin.« Er zählte an den Fingern ab. »Erstens: Sie haben Ihre Befugnisse überschritten, als Sie der Herter-Hall-Gruppe mehr Handlungsfreiheit ließen, als vorgesehen war, was, zweitens, zu deren Ausflug in den Hitschi-Himmel führte, samt allen möglichen Folgen, und damit, drittens, eine Situation ernsthafter nationaler Gefahr heraufbeschwor. Streichen Sie das. Ernsthafte Gefahr für die Menschheit .«
»Das ist doch Quatsch, Morton!«
»So hat er es im Antrag formuliert«, sagte er nickend, »und es kann sein, dass wir jemanden davon überzeugen können, es sei Quatsch. Früher oder später. Aber im Augenblick ist es Sache der Gateway-Gesellschaft, zu handeln oder nicht zu handeln.«
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