»Es wäre mir lieb, wenn Sie Marina nicht nachäfften«, sagte er. »Außerdem haben Sie unrecht. Es hat mit einer Rückkehr nach Moskau nicht das geringste zu tun. Außerdem werde ich Sie mitnehmen, wenn es eines Tages dazu kommt. Welcher Russe will nicht in Moskau leben?«
»Ich. Ich möchte hierbleiben, und zwar mit Ihnen. Hier paßt Ihre Frau nicht so auf. In Moskau hätte sie Sorge, ihre Freundinnen könnten erfahren, daß ihr Mann eine Geliebte hat.«
Zwar hatte sie damit recht, aber es spielte kaum eine Rolle. »Das ist jetzt unwichtig«, sagte er. »Die Dinge werden sich bald ändern, früher, als Sie denken. Uns allen stehen große Veränderungen bevor.«
Sie runzelte die Stirn. »Das klingt ernst.«
»Mir war es noch nie so ernst.«
»Veränderungen zum Besseren?«
»Das weiß ich nicht.« Er stand auf und nahm ihre Hände in seine. »Aber mit Sicherheit gehen sie über unsere Voraussagemöglichkeiten hinaus und sind so tiefgreifend wie in der Revolution.«
Pawel Bondarew vertiefte sich in die ihm übergebenen Dokumente, warf aber von Zeit zu Zeit einen Blick auf den Mann, der sie gebracht hatte. Dmitri Parfenowitsch Gruschin war trotz seiner Jugend schon Oberstleutnant im KGB. Er trug einen so tadellos sitzenden Anzug aus weichem Wollstoff, daß er nur in Paris oder London geschneidert sein konnte. Gruschin war von durchschnittlicher Körpergröße und schlank, aber sein Händedruck war sehr fest gewesen, und er ging mit federndem Schritt.
Die Papiere bestätigten, was General Narowtschatow bereits gesagt hatte. »Aha«, sagte Bondarew, »ich soll nach Baikonur.«
»Ja, Genosse Akademiemitglied.« Gruschin sprach mit Achtung in der Stimme. Es war schwer. Schlüsse auf das zu ziehen, was er dachte, da er Gesicht und Stimme vollkommen unter Kontrolle zu haben schien.
Er hatte einen Brief von General Narowtschatow gebracht, in dem Marina und die Kinder nach Moskau eingeladen wurden. Die erforderlichen Reisebescheinigungen lagen bei. Marina würde sich freuen. »Hier ist noch viel ungesagt«, nahm Bondarew den Faden auf.
»Ich kann alles erklären«, sagte Gruschin.
»Bitte.«
»Man hat General Narowtschatow zum Ersten Parteisekretär ernannt«, sagte Gruschin zurückhaltend. Er ließ eine hinreichend lange Pause eintreten, um Bondarew Gelegenheit zu geben, das volle Ausmaß dessen zu erfassen, was das bedeutete. »Es wird im Lauf der Woche noch öffentlich bekanntgegeben. Im Politbüro macht man sich gewisse Sorgen wegen dieses interstellaren Raumschiffs. Viele Marschälle der Sowjetunion glauben nicht an Außerirdische.«
»Man hält es also…«
»… für einen Trick der CIA«, ergänzte Gruschin.
»Unmöglich!«
»Das nehme ich auch an, ebenso wie der Vorsitzende Petrowski.«
»Und Genosse Trussow?«
Gruschin zuckte die Achseln. »Sie verstehen, ich sehe den Vorsitzenden des KGB nicht besonders häufig – allerdings hat man mir gesagt, daß der Verteidigungsrat einstimmig beschlossen hat, ein Wissenschaftler, der Zivilist ist, solle die Vorbereitungen zum Empfang der Außerirdischen leiten. Sie, Genosse.«
»Viel Ehre. Ich muß allerdings gestehen, daß ich für diese Aufgabe nicht besonders geeignet bin.«
»Wer ist das schon? Ich bin für den diplomatischen Dienst ausgebildet, doch – was für eine Ausbildung braucht jemand, der mit Lebewesen von einem anderen Stern zusammentreffen soll? Wir müssen tun, was uns aufgetragen ist.«
»Heißt daß, daß Sie als mein Vize mitkommen?« Es war üblich, für ein solches Projekt einen KGBFunktionär als Personalbeauftragten mitzuernennen. Bestimmt würde der KGB darauf bestehen, seine Leute an hoher Stelle innerhalb der entscheidenden Organisation einzuschleusen.
»Nein, diese Aufgabe übernimmt ein anderer«, sagte Gruschin. »Ich habe Befehl, nach Kosmograd aufzubrechen.«
»Aha, Sie haben eine Ausbildung als Kosmonaut?«
»Nein, aber als Pilot.« Gruschin sagte es mit dünnem Lächeln. »Genosse Akademiemitglied, Ihr Schwiegervater hat mir gesagt, ich könne Ihnen vertrauen, also sage ich Ihnen alles, was ich weiß. Das ist ungewöhnlich. Noch seltsamer ist, daß mir Genosse Trussow persönlich eingeschärft hat, ebenso zu verfahren.«
In der Tat ungewöhnlich. Also nahm man das Raumschiff im Politbüro sehr ernst. General Nikolai Narowtschatow hatte gesagt: »Du darfst dem Mann vom KGB vertrauen, so weit das bei jemandem vom KGB möglich ist.« Was das zu bedeuten hatte, war nicht ganz ersichtlich.
»Was also muß ich wissen?« fragte Bondarew.
»Nicht alle Militärs«, sagte Gruschin, »werden mit uns am selben Strang ziehen, und nicht alle werden Ihrem Kommando unterstehen. Sie werden in Baikonur großes Geschick brauchen, um zu erkennen, welche Marschälle Ihnen vertrauen und welche nicht. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das nicht leicht sein wird.«
»Nein.« Das durfte er ohne Gefahr sagen. Mehr aber nicht.
»Außerdem ist von wesentlicher Bedeutung, daß die Amerikaner keinen Einblick in das Ausmaß unserer Mobilmachung bekommen.«
»Ich verstehe.« Aha. Einige der Marschälle sind offenbar nicht mehr bei der Fahne. Sie machen unabhängig von den Vorstellungen des Kremls mobil. Das dürfen die Amerikaner selbstverständlich nie erfahren! »Was muß ich noch wissen?«
»Wer gegenwärtig in Kosmograd ist, und wen wir einladen werden.«
»Einladen?«
»Amerikaner. Sie haben uns bereits gebeten, einige ihrer Leute an Bord zu lassen, wenn das Raumschiff kommt. Das Politbüro wünscht binnen drei Tagen Ihre Empfehlung zu erfahren.« Er ließ eine Pause eintreten. »Ich denke allerdings, daß man die Amerikaner einladen wird, ganz gleich, was Sie dazu sagen.«
»Aha. Und wenn die USA den Wunsch haben, werden andere Völker folgen.« Er zuckte die Achseln. »Ich sehe nicht, wie die alle in Kosmograd unterkommen sollen.«
»Ich auch nicht, aber das werde ich Ihnen mitteilen, sobald ich dort bin. Ebenso werde ich Sie über die an Bord befindliche Besatzung in Kenntnis setzen. Selbstverständlich bekommen Sie auch Berichte von Kommandant Rogatschow.«
»Ein guter Mann«, sagte Bondarew.
Mit bauernschlauem Lächeln sagte Gruschin, an dem sonst nicht viel an einen Bauern erinnerte: »Geradezu legendär – aber nicht alle sehen ihn so wie Sie.«
»Warum nicht?«
»Weil er Schwierigkeiten macht, wenn er vermutet, daß seine Mission in Gefahr ist. Aber technisch ist er der beste Kommandant, den wir für Kosmograd haben.«
»Doch Sie zweifeln – woran? Gewiß nicht an seiner Loyalität?«
»Nicht an seiner Loyalität zur Sowjetunion.«
»Aha.« In dieser Äußerung hatte etwas mitgeschwungen. Gelegentlich hatte es Rogatschow an der nötigen Achtung vor der Partei fehlen lassen… »Und in welcher Hinsicht macht er Schwierigkeiten?«
Gruschin hob die Schultern. »Kleinigkeiten. Ein Beispiel. Er hat seinen alten Feldwebel da oben, der während des Äthiopienkonflikts seinen Hubschrauber gewartet hat. Der Mann hat bei den Kampfhandlungen beide Beine verloren. Als er im Zuge der Rotation zur Erde zurück sollte, hat Rogatschow Ausreden gefunden, um ihn dort zu behalten. Er hat erklärt, ein Besserer stehe nicht zur Verfügung, und es sei für Kosmograd von großer Bedeutung, ihn dort zu behalten.«
»Und? Hat er recht?«
Gruschin hob wieder die Schultern. »Auch das werde ich in Erfahrung bringen. Verstehen Sie mich, Genosse Akademiemitglied. An Bord von Kosmograd werde ich nur einer der stellvertretenden Kommandanten sein, Erster Vize ist die Tutsikowa. Aber ich werde Ihnen unmittelbar berichten. Wenn es erforderlich ist, können Sie Rogatschow ablösen lassen.«
Bondarew nickte verstehend. Er empfand eine unbestimmte Furcht.
Ich bin für die Raumstation zuständig, aber es gibt eine ganze Reihe technischer Fragen. Welche sind wichtig, und welche nicht? Ich brauche Rat – doch wem kann ich trauen? Er lächelte dünn. Das war wohl auch das Dilemma des Vorsitzenden Petrowski und des Ersten Parteisekretärs Narowtschatow. Deshalb hat man mir diese Aufgabe aufgehalst.
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