Allerdings ist es eine glänzende Gelegenheit. Endlich, dachte Pawel Bondarew, endlich kann ich ihnen sagen, wohin sie das Raumteleskop richten sollen, und ich werde die Bilder sofort sehen können.
* * *
Es war ein heller, klarer, sonniger Frühlingstag – die Art Tag, die es wert erscheinen ließ, daß man die Regenperioden ertrug. Die schneebekrönten Gipfel des Mount Baker und der Zwillingsschwestern erhoben sich majestätisch über den Vorbergen im Osten Bellinghams. Selbst für Alteingesessene war die Aussicht eindrucksvoll, und den aus Los Angeles Zugereisten blieb vor Staunen der Mund offenstehen. Sie standen in der Nähe des alten Rathauses, eines roten Backsteinbaus im Stil alter Ritterburgen, und sahen abwechselnd über die Bucht zu den San JuanInseln und dann wieder zurück zu den Bergen hin.
Als Kevin Shakes einen Uniformierten auf sich zukommen sah, überlegte er, was möglicherweise nicht in Ordnung war. Sein Blick ging unwillkürlich zum Wagen hinüber – hatte er falsch geparkt? Eine typische Großstädterreaktion. In einer Kleinstadt wie Bellingham konnte man seinen Wagen abstellen, wo man Lust dazu hatte.
Der Uniformierte trug ein braunes, kurzärmeliges Hemd mit Dienstabzeichen und einen Revolvergürtel. Er war drei bis vier Jahre älter als Kevin mit seinen achtzehn Jahren. Breit grinsend nahm er den Hut ab, so daß dünnes Blondhaar in einer Art Treppenschnitt zum Vorschein kam. »Hallo, Miranda«, sagte er. »Ist das jetzt der ganze Verein?«
»Alle außer Papa und Mama.« Auch Miranda lächelte. »Leigh, das sind meine Brüder Kevin, Carl und Owen. Wir waren gerade einkaufen.«
Carl und Owen – dreizehn und elf Jahre alt, mit völlig gleichem, glattem braunen Haarschopf, aber dreißig Zentimeter Unterschied in der Körpergröße – sahen mißtrauisch auf den Uniformierten, der sich vorwiegend für Miranda zu interessieren schien. Er sagte jetzt: »Man könnte glauben, daß ihr den ganzen Laden leergekauft habt.«
Kevin sagte: »Vielleicht hat es Miranda schon gesagt, wir sind nicht allein da draußen. In dem Haus wohnen noch drei andere Familien. Jeder gehört ein Fünftel, und sie kommen alle auf Urlaub her.«
»Wird das nicht ziemlich eng?«
Kevin zuckte die Achseln. Mirandas Lächeln wurde zurückhaltender. »Ja. Es ist das erste Mal so. Eigentlich hatten wir uns abwechseln wollen, jede Familie eine Woche. Aber irgendwie scheint das nicht zu klappen. Mal sehen, was wird. Die anderen Familien sind nicht so groß wie unsere. Aber ich kenne sie nicht sehr gut.«
Miranda und der junge Polizist gingen ein wenig beiseite, um ungestört zu sein, und Kevin ließ sie. Als sie wieder im Wagen saßen, fragte er: »Wer ist das? Woher kennst du ihn?«
»Er heißt Leigh Young. Er war im Club, und wir haben Tennis gespielt. Er ist nicht besonders gut darin, könnte aber besser werden.«
»Gefällt er dir?«
»Schon.«
»Ich glaube, Papa hätte nichts dagegen, wenn du dich mit einem von der Polizei triffst. Kann nützlich sein.« Dann sah Kevin sich um, um sich zu vergewissern, daß die kleineren Brüder bei den Bergen von Lebensmitteln auf der Ladefläche saßen, bevor er den Motor anließ. »Voll wird es bestimmt.«
»Ja.«
»Was hältst du von der Sache, Randy? Meinst du, Papa hat recht?«
Sie zuckte die Achseln. »Zuerst hab ich gedacht, er spinnt.«
»Das weiß man bei dem nie so genau«, sagte Kevin. Miranda war nur ein Jahr älter als er, und sie hatten sich recht gut miteinander angefreundet, als sie Bruder und Schwester geworden waren. Sie kannten das undeutbare Lächeln ihres Vaters William Adolphos Shakes, der fleißig auf dem Heimcomputer alle Kosten ausrechnete. Er hatte in den letzten Jahren keinen Cent unnütz ausgegeben.
»… und jetzt kommt also tatsächlich ein Raumschiff mit Außerirdischen.«
»Ja, Mrs. Wilson hat gesagt, es hält sich schon lange versteckt. Sie behauptet, sie wäre in ‘nem Labor gewesen, als irgendwas passiert ist. Aber damals wußte niemand, daß die Außerirdischen dahintersteckten. Warum sie wohl so lange gewartet haben?«
»Was weiß ich.« Miranda öffnete das Handschuhfach. »Zumindest ist es hübsch hier.« Sie schob eine Kassette in den Schacht des Geräts, und die laute Musik einer neuen Gruppe erfüllte die Fahrerkabine des Kleinlasters. »Nur gut, daß wir Kassetten haben«, überschrie sie den Motorenlärm.
»Ja.« Im Radio gab es an diesem gottverlassenen Ort bestimmt nichts Vernünftiges.
* * *
William Shakes und Max Rohrs gingen zum Haus zurück, quer über die Betondecke, die Rohrs in der Vorwoche gegossen hatte. Sie war jetzt fest und trocken. Rohrs war hochgewachsen, breitschultrig und muskulös. Neben ihm kam sich William Shakes fast wie ein Zwerg vor, obwohl der Unterschied nicht so groß war. Rohrs sagte: »Das hätten wir. Wenn es Schwierigkeiten geben sollte, Sie haben ja meine Nummer.«
»Ja. Danke. Wir werden uns wohl gelegentlich wiedersehen.«
»Hoffentlich. Sie sind ein guter Kunde«, sagte Rohrs. »So wie Sie Leitungen legen, könnte man glauben, daß Sie ein Hotel aufmachen wollen.« Als Shakes nicht darauf einging, erklärte er: »War nur ‘n Witz.«
»Nun, ich find es nicht zum Lachen. Es wird auch wie im Hotel. Drei Familien kommen noch. Ich denke, die Sickergruben reichen jetzt für alle. Betten sind jedenfalls genug da.«
»Trotzdem gibt es wohl ein ziemliches Gedränge.«
Shakes nickte. Ein feines Lächeln lag unter seinem nichtssagenden Gesichtsausdruck. Rohrs hatte die Sickergrube im April angelegt. Man hatte ihm gesagt, die zweite Grube auf der anderen Seite des Hauses sei zu alt und zu klein. Keins von beiden stimmte. Rohrs konnte nicht wissen, daß unter der von ihm gegossenen Betondecke eine zweite, mit Steinen und Erde bedeckte lag – und unter ihr ein geräumiger Schutzkeller, von dem niemand etwas wußte.
Als Rohrs davonfuhr, konnte er in seinem Rückspiegel William Shakes’ zufriedenes Lächeln sehen.
Jack und Harriet McCauley hatten Bill und Gwen Shakes sechs Jahre zuvor aufgefordert, der Gruppe Wagenburg beizutreten. Den Shakes war schon damals klar, worauf sie sich einließen, denn es war bekannt, daß Jack, Harriet und verschiedene andere das Überleben trainierten und ständig mit dem Ende der Zivilisation rechneten – ein Thema, über das sie sich endlos verbreiten konnten.
Es war nicht ganz klar, warum sie gerade auf Bill und Gwen Shakes verfallen waren. Vielleicht weil sie gut zuhörten und die McCauleys nie verspotteten? Die Shakes sahen keinen Anlaß, jemanden zu verspotten, der sich auf eine Katastrophe einstellte. Nur waren sie davon überzeugt, daß sich Katastrophen nicht voraussagen ließen. Ihrer Ansicht nach stellte sich die Gruppe auf etwas viel zu Spezifisches ein. Die Wirklichkeit würde sie übertölpeln, wenn es soweit war.
Also hatten die Shakes keineswegs begierig zugegriffen, sondern erst in aller Ruhe gemeinsam überlegt, worum es ging… bis Bill begriff, worauf die Gruppe hinauswollte.
Sie schlossen sich an und zahlten ihre Beiträge, die gerade noch erschwinglich waren, kauften an Ausrüstung, was man ihnen vorschrieb, und pflegten sie. Waffen und Lebensmittelvorräte im Haus zu haben war nie falsch. Sie stapelten die Druckschriften und Bücher, lasen sogar einiges davon und brachten ihren Kindern den sicheren Umgang mit Schußwaffen bei. Bei den Donnerstagssitzungen sprachen sie sich entschieden für den Ankauf eines Refugiums in irgendeiner abgelegenen Gegend aus, möglichst in der Nähe eines Dorfs mit Ackerbau. Schließlich fanden sie etwas Passendes, und wie die übrigen Mitglieder der Gruppe übernahmen auch die Shakes ein Fünftel der Kosten.
Bill gefiel das Spiel, und er mogelte nicht. Die Gruppe bekam, wofür die Mitglieder bezahlt hatten – die Familie Shakes aber verfügte über einen ständig nutzbaren Ferienwohnsitz, der sie nur rund zwanzig Prozent dessen gekostet hatte, was sie sonst dafür hätten bezahlen müssen. Außerdem investierten sie Zeit, Anstrengung und weiteres Geld, das Anwesen nicht nur einfach in Schuß zu bringen, sondern es zu einer richtigen Fluchtburg auszubauen.
Читать дальше