Jenny stand vorsichtig auf. Sie meinte, ihn nicht geweckt zu haben, doch war das ohne weiteres nicht zu merken. Er hatte einen leichten Schlaf und hielt die Augen geschlossen, wenn er wach wurde.
Sie holte die Uniform aus dem Schrank. Bei ihrem ersten Besuch war ihre Kleidung auf dem Fußboden gelandet, aber die Ordnung, die hier herrschte, wirkte ansteckend… Sie ging ins Bad.
Als sie zurückkam, war das Bett leer. Sie hörte die Dusche im zweiten Badezimmer. Ein mustergültig rücksichtsvoller Liebhaber.
Das Wort ›Liebhaber‹ schien ihr zwar nicht ganz angebracht, aber etwas anderes paßte auch nicht. Verlobt waren sie nicht und hatten auch nicht von Heirat gesprochen. Das Heer erwartete von Männern, daß sie als Lieutenants unverheiratet blieben, Captains durften verheiratet sein, und als Majore waren es die meisten dann auch; bei einer Frau allerdings bedeutete eine Eheschließung das Ende der Offizierslaufbahn.
Was auch immer Jack war – mit Sicherheit war er mehr als eine einfache Beziehung. Sie wohnten zwar nicht zusammen, teils, weil sowohl Heer wie Geheimdienst ziemlich prüde waren, auch wenn sie sich den gegenteiligen Anschein zu geben bemühten. Vor allem aber hatte Jenny keine Lust, all die Erklärungen abzugeben, die Tante Rhonda von ihr erwarten würde, wenn sie aus Flintridge auszöge. Trotzdem verbrachte sie viel Zeit in Jacks Wohnung. Er wie sie reisten viel und hatten unregelmäßig Dienst, aber es war klar, daß sie ihre Freizeit miteinander verbrachten, sofern beide in Washington waren und dienstfrei hatten.
Unterwegs hatte sie sich zweimal mit anderen Männern verabredet gehabt, aber es war nicht dasselbe. Irgend etwas fehlte. Zauber, dachte sie und gab sich keine Mühe, nach einem anderen Wort dafür zu suchen. Es genügte, daß es so war, und es war wunderbar.
»Abendessen?«
»Einverstanden. Soll ich kochen?«
»Du mußt nicht…«
»Jack, ich tue es gern, und ich habe nicht oft Gelegenheit dazu.«
»Na schön. Dann müssen wir aber noch einkaufen, ich hab nichts im Haus.«
»In Ordnung. Ich fang schon mal an, und du kannst ja…«
Sie sprach nicht weiter, weil er den Kopf schüttelte. »Laß uns zusammen gehen. Wir könnten unterwegs überlegen, was wir essen wollen.«
»Einverstanden.« Wie immer, bevor er das Haus verließ, nahm er seine Dienstwaffe aus dem in der Hose versteckten Holster und sah nach, ob die Kammern der Trommel Patronen enthielten.
Sie lachte leise vor sich hin und sagte: »Nach Hause wollte er mich bringen. ›Ich fahr sowieso in die Richtung‹, hat er gesagt.«
»Aber es hat doch funktioniert, oder?«
Sie nahm seine Hand. »Ja, und ich bin froh darüber.«
»Ich auch.«
Nach einer Weile blieb er plötzlich stehen und fragte: »Jenny, was, zum Teufel, geht eigentlich vor sich?«
»Was meinst du?«
»Das Raumschiff – Leute wie ich hören eine ganze Menge, reden aber nicht darüber. Auch mit dir würde ich es nicht tun, wenn es nicht auch deine Arbeit wäre – der Präsident hat Angst, Jenny. Wenn du das bis jetzt nicht wußtest, wird es Zeit, daß du es erfährst.«
»Angst? Jack – Liebling, wir wollen weitergehen.«
In der Wohnung hat er nichts davon gesagt. Hier auf der Straße ist es wahrscheinlich ungefährlich, wenn wir leise sprechen. So was Albernes. Es hört doch niemand zu… »Was meinst du mit ›er hat Angst‹? Ich hab ihm ein dutzendmal vorgetragen und dabei nichts dergleichen bemerkt.«
»Dir und dem Admiral zeigt er es nicht«, sagte Jack, »aber Mrs. Coffey. Er macht sich Sorgen, weil das Raumschiff nicht antwortet.«
»Darüber zerbrechen wir uns doch alle den Kopf.«
»Ich glaube, er ist fest davon überzeugt, daß auch die Russen Angst haben.«
»Hm«, sagte Jenny. »Wir können natürlich nur vermuten, was sie wirklich denken.«
»Aber es stimmt doch? Jeder beknackte Funkamateur hat ihnen Botschaften geschickt, aber es kommt keine Antwort…«
»Nicht nur die«, sagte Jenny. »Auch unsere Sicherheitsbehörde hat mit unseren stärksten Sendern versucht, Verbindung zu ihnen aufzunehmen, sowie das JPL über die große Goldstone Antenne. Die Russen machen es ebenso.«
»Und alles vergeblich.« Trotz des warmen Juniabends fröstelte es Jack ein wenig. »Wer weiß, vielleicht hab ich auch schon Angst!«
Zwar war niemand in der Nähe, dennoch senkte sie die Stimme und sagte zögernd: »Auch der Admiral macht sich Sorgen.«
»Wahrscheinlich haben die Russen beschlossen, mobil zu machen?«
»Einen Beschluß kann man das nicht nennen, die machen automatisch mobil, sobald was Ungewöhnliches passiert, weil ihnen nichts anderes einfällt. Zum Glück ist die Lage drüben ziemlich stabil, denn ihre Theoretiker sind der Ansicht, daß Wesen, die interstellare Flugkörper herstellen können, zwangsläufig auch wirtschaftlich hoch entwickelt sind. Für sie bedeutet das natürlich, daß die Außerirdischen auch Kommunisten sind.«
»Das scheint mir kein zwingender Schluß zu sein.«
»Mir ebensowenig. Mit Sicherheit haben auch die Russen keinen Kontakt zu ihnen bekommen. Das Raumschiff reagiert einfach nicht.«
»Vielleicht ist es ein RoboterRaumschiff.«
»Darüber haben wir nicht mal brauchbare Theorien, und der Admiral möchte dringend welche.«
»Von wem hat er sich beraten lassen?«
»Von wem nicht?« Jenny lachte. »Sogar ungefragt haben uns Hinz und Kunz ihre Ansichten mitgeteilt. Draußen an der Akademie der Luftstreitkräfte haben wir die merkwürdigste Sammlung von Anthropologen, Historikern, Politologen und anderen Wissenschaftlern, die du dir vorstellen kannst – sogar einen Hellseher. Aber nächste Woche gehen wir noch einen Schritt weiter: der Admiral hat eine Gruppe Science FictionAutoren eingeladen.«
Jack lachte nicht. »Vielleicht gar kein schlechter Gedanke.«
»Das finde ich auch. Die meisten sind an der LuftfahrtAkademie, und mit einer kleineren Gruppe geht er in den CheyenneBerg. Ich soll übrigens nächste Woche auch dahin und bei dem Projekt mitwirken. Keine Ahnung, wie lange ich bleibe.«
»Fein – für dich. Du wirst mir fehlen.«
Sie drückte seine Hand und sah sich dann verstohlen um. Da es dunkel war, würde niemand sehen, daß sie sich in Uniform unpassend aufführte, und falls doch, so war es ihr gleichgültig. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn. Zuerst war er überrascht, dann drückte er sie fest an sich, und sie gaben sich einen langen Kuß.
»Zu essen haben wir noch immer nichts«, sagte sie schließlich.
»Nein. Was möchtest du?«
»Etwas, das schnell geht.«
Er lachte. »Hast recht. Wir haben bessere Dinge zu tun, als zu essen.«
* * *
»Die Kirche hat schon immer die Möglichkeit eingeräumt, daß es andere Formen der Intelligenz als die des Menschen gibt«, sagte Kardinal Manelli. »Ein deutliches Beispiel dafür sind die Engel.«
»Sicherlich sind die christlichen Kirchen an diesem Raumschiff interessiert«, äußerte sich der Bischof der Episkopalkirche, »aber ich kann mich nicht der Ansicht anschließen, daß die Existenz Außerirdischer die Offenbarung widerlegt.«
Jeri Wilson hörte nachdenklich zu. Sie hatte an diesem Sonntagnachmittag ganz gegen ihre Gewohnheit den Fernseher eingeschaltet und war in dieser aus dem Kardinal der römischkatholischen Kirche, dem Bischof der Episkopalkirche von Kalifornien, zwei protestantischen Geistlichen und dem Historiker Professor Boyd von der Universität von Kalifornien bestehenden Diskussionsrunde gelandet. Letzterer schien als Moderator zu fungieren und zugleich die anderen Teilnehmer durch provokante Äußerungen zu verunsichern.
»Und wenn sie nun noch nie etwas vom Christentum gehört haben?« fragte Boyd jetzt, »weder Berichte über Götter besitzen, keinerlei Vorstellung von Sünde und keinen Begriff von Erlösung?«
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