Das Telefon klingelte, kaum daß die Nachrichten vorüber waren.
»Hallo, Vicki.«
»Hallo. Nun, hast du es dir angesehen?«
»Ja.« Jeri kicherte.
»Was hältst du davon?«
»Außerirdische, die vom Saturn kommen. Toll! Vicki, ich wette, die waren schon da, als die VoyagerRaumsonde vorbeigeflogen ist. Ich erinnere mich noch genau an all die dämlichen Unterhaltungen damals. John Deming, Gregory und – und David und ich haben versucht, uns zu überlegen, wie ein auf einer Umlaufbahn befindliches Teilchenband so verdreht sein konnte. David hat damals sogar das Wort ›Außerirdische‹ gesagt. Aber es war ihm nicht ernst damit.«
»Das ist es jetzt aber, und genau darüber müssen wir uns unterhalten «, sagte Vicki. »Wir haben uns entschieden – die Wagenburg geht nach Bellingham. Du und Melissa, ihr könnt mitkommen.«
»Ach. Warum?«
»Nun, erstens haben du und David lange mitgemacht.«
»Das ist ein Grund«, sagte Jeri. »Und weiter?«
Vicki TateEvans seufzte. »Du verstehst was von Naturwissenschaft – und, nun schön, außerdem bist du attraktiv und ungebunden. Möglicherweise müssen wir noch einen alleinstehenden Mann an Bord ziehen.«
Interessantes Kompliment. Eigentlich nett, daß die mir das in meinem Alter noch zutrauen… »Ach, wohl als Gespielin für Ken Dutton?«
»Den haben wir nicht eingeladen.«
»Gut.«
»Ich dachte, du magst ihn. Ich hatte sogar geglaubt…«
Was du so denkst. Natürlich stimmte es. Ken Dutton hatte sich bei den Wilsons zum Abendessen eingeladen, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte, und als David nach Colorado gezogen war, kam er weiterhin. An einer Affäre lag Jeri nicht, obwohl das Alleinschlafen nicht schön war. David fehlte ihr sehr, in jeder Hinsicht, und Ken war nicht nur keineswegs unansehnlich, sondern auch ungewöhnlich aufmerksam. An dem Abend, als sie erfuhr, daß David die Scheidung eingereicht hatte, war Ken bei ihr gewesen, hatte sie tröstend in den Armen gehalten, ihr zugehört, und sie hatte ihn, wütend wie sie war, an Ort und Stelle verführt. Einige Nächte hatte er ihr Bett geteilt, dann merkte sie, worum es ihm ging.
»Praktisch war ich für ihn«, sagte sie jetzt. »Er brauchte nicht so weit zu fahren. Das war mir als Grundlage für eine Beziehung zu wenig.«
»Ach so«, Vicki lachte verlegen. »Wie auch immer, wir haben ihn nicht eingeladen, und ich soll dir sogar ausrichten, daß du ihn auf keinen Fall mitbringst. Das wäre also erledigt. Jeri, wir fahren nächste Woche. Isadore und Clara bleiben bis auf ein paar Tage vor dem Eintreffen der Außerirdischen hier. Es wäre ideal, wenn du mitkämst, aber du kannst auch warten und mit Isadore hinfahren, wenn dir das lieber ist.«
»Mhm. Vielen Dank, Vicki. Ah… ich meld mich dann wieder, ja?«
»Unbedingt. Wir müssen ja noch gemeinsam die Ausrüstung überprüfen und feststellen, was David dagelassen hat und was du mitnehmen mußt. Ich helf dir gern dabei.«
»Danke. Hier ist ziemlich viel. Ich such alles raus. Vielen Dank, daß ihr mich dabeihaben wollt.«
»Ist doch selbstverständlich. Also dann.«
Jeri legte auf und zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe.
Außerirdische. Sie würden bald da sein.
Und sie hatten sich in der Nähe des Saturn versteckt gehalten, ohne Hinweis auf ihre Gegenwart, über ein Dutzend Jahre lang. Spricht das für friedliche Absichten?
Spiel jetzt nicht verrückt, mahnte sie sich. Aber immerhin, mochte es ratsam sein, sich nicht in einer Großstadt aufzuhalten, wenn sie kamen – vorsichtshalber.
Einmal hatte sie George und Vicki mit David und Melissa im Haus der WagenburgGruppe in Bellingham im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten im Staat Washington besucht. Hübsch war es gewesen, ein schöner Urlaub…
Ihr letzter gemeinsamer Urlaub. Einen Monat später war David nach Colorado versetzt worden.
»Immerhin eine mächtige Gehaltserhöhung«, hatte er voll freudiger Erregung gesagt.
»Und was ist mit meiner Stelle?«
»Was soll damit sein, Jeri? Du mußt doch nicht arbeiten.«
»Schon, David, aber ich möchte.« Als Melissa eingeschult wurde, wollte Jeri etwas zu tun haben und arbeitete als freie Lektorin für einen Großverlag an der Westküste. Sie bewährte sich, ihre frühere Erfahrung kam ihr dabei zugute. Nach einem Jahr hatte sie Glück gehabt und eine Autorin entdeckt, die viel Hilfe mit ihrem ersten Roman brauchte, gutes Zureden, Händchenhalten, und das Manuskript mußte auch stark redigiert werden. Das Buch landete sofort auf der BestsellerListe.
Danach wurde Jeri fest angestellt. »Ich bin da unabkömmlich.«
»Das bist du bei mir. Und bei Melissa.«
»David…«
»Jeri, es ist wirklich eine ganz unglaubliche Beförderung.«
Wie dumm von mir. Und von ihm. Warum konnte er mir nicht gleich sagen, daß sie ihn raussetzen würden, wenn er sich nicht versetzen ließ? Daß es viele eifrige junge Erdölgeologen gibt und die Großunternehmen lieber einen frisch Diplomierten einstellen als einen, der schon lange nichts mehr mit der Theorie zu tun hatte…?
Er hat sich geschämt. Sie wollten ihn gar nicht mehr, aber er hat es nicht fertiggebracht, mir das zu sagen. Und bitten mochte er mich auch nicht.
Der Teufel soll es holen, ich habe ihn gebeten! Aber das ist nicht wirklich dasselbe. David, David, warum nur kann ich dich nicht einfach anrufen und sagen, daß ich zu dir komme…
Warum eigentlich nicht?
* * *
Ein herrlicher Frühlingshimmel lag über Washington. Trotz der Neuigkeit war es in der Stadt überraschend ruhig. Ihre Bewohner ließen sich nicht so ohne weiteres aus der Fassung bringen.
Roger Brooks ging zu Fuß vom NASAHauptquartier zum Weißen Haus. Für ihn war die Pressekonferenz der NASA unergiebig gewesen. Bei dem Kongreßabgeordneten Wes Dawson war das etwas anderes: er durfte zur Kosmograd hinauffliegen, der Raumstation der Sowjets, um von dort die Ankunft der Außerirdischen zu beobachten, großartig. Vielleicht sprang dabei sogar eine Geschichte heraus, aber um den Nachrichtenteil kümmerte sich Jose Mavis. Außerdem war noch reichlich Zeit, um Hintergrundmaterial zu sammeln.
Einen Augenblick lang hatte er gedacht, er habe etwas. Jeanette Crichton entdeckt den Satelliten, und Wes Dawson geht mit der Neuigkeit zum Präsidenten. Nur die wenigsten würden die Verbindung zwischen Linda Crichton Gillespie und Carlotta Dawson erkennen. Er dachte immer noch über die Sache nach, als die Presseleute der NASA sie bereits in allen Einzelheiten schilderten. Captain Crichton ruft ihren Schwager, den General, an, dieser benachrichtigt den Abgeordneten Dawson, der seinerseits den Präsidenten aufsucht. Da lag alles offen für jedermann zutage, und jeder konnte es sehen. Mist!
Zu Fuß dauerte es zum Mayflower gut zwanzig Minuten. Trotzdem erreichte Roger es vor der verabredeten Zeit. Die Grillstube des Restaurants lag günstig, auch wenn man dort nicht besonders gut aß. Viel lieber wäre Roger in eins der französischen Restaurants in der Nähe der KStreet gegangen, aber heute traf er mit John Fox zusammen, und den bekam man in kein Feinschmeckerlokal, ganz gleich, wer bezahlte. Roger bestellte ein Glas Weißwein und lehnte sich zurück, während er auf seinen Gesprächspartner wartete.
Ohne Jackett und Krawatte hat ein Mann nirgendwo in Washington Zutritt, und so hatte sich auch Fox verkleidet: grauer Anzug mit sehr dezenter Krawatte. Mit diesem Aufzug aber hätte er niemanden hinters Licht führen können – seine Manschetten verrieten ihn, sie schlackerten ihm förmlich um die Handgelenke. Dürr wie ein Frettchen, mit knochigen Schultern und sichtbaren Muskeln sogar auf den Handrücken und im Gesicht, wirkte John Fox wie jemand, der gerade aus der Wüste zurückkehrt.
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