»Wie sie wohl sein mögen?« überlegte Jenny laut.
Gillespie schüttelte den Kopf. »Ich lese schon lange nicht mehr so viel Science Fiction wie als kleiner Junge.« Er sah einen Augenblick lang hinaus und lachte dann. »Eins ist sicher, dem Raumfahrtprogramm wird es nützen! Im Kongreß spricht man bereits vom Bau weiterer Raumfähren, damit der Stützpunkt auf dem Mond vergrößert werden kann – auf einmal tun die Mistkerle so, als wären sie schon immer große Raumfahrtbefürworter gewesen.«
Je mehr sie sich Washington näherten, desto dichter wurde der Verkehr. Am Ende der Schnellstraße standen sie hinter einer geschlossenen Wand aus roten Heckleuchten. Der Fahrer murrte etwas vor sich hin und versuchte, sich vorwärtszuschlängeln, ohne dabei auf das wütende Gehupe zu achten.
Jenny erkundigte sich: »Wen treffen wir im Weißen Haus?«
Gillespie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich den Präsidenten.«
»Um Himmels willen, ich hab ihm doch gar nichts zu bieten «, sagte sie. »Alles was ich weiß, steht in meinem Telegramm von gestern.«
Er zuckte erneut die Achseln. »Man wird ja sehen«, sagte er, »wir gelten nun mal als die Fachleute. Immerhin haben wir als erste davon gewußt…«
Als sie den Potomac überquerten, hatte der Nieselregen aufgehört, und die Sonne bemühte sich durchzubrechen. Trotz der morgendlichen Kühle war etwa ein Dutzend Jogger unterwegs. Jenny schloß die Augen. Sie dachte: Die Außerirdischen kommen, und ich bin berühmt.
Gillespie stritt sich mit dem Fahrer herum. Es war deutlich, daß dieser kein Wort von dem verstand, was Ed sagte. Er wurde nervös, und Gillespie wurde immer wütender.
»Laß mich mal«, mischte sich Jenny ein. »Wo sind wir hier?«
»Wenn ich das wüßte. Vorhin sind wir über eine Brücke mit steinernen Büffeln drauf gefahren.«
»Dann sind wir in der Nähe der Kathedrale«, sagte Jenny. Aus dem Taxifenster sah sie ein typisches Washingtoner Wohngebiet. Ältere Häuser, alle mit efeubewachsener Veranda. »Wo ist Norden?«
Gillespie machte eine Handbewegung.
»Schön.« Sie beugte sich vor und wies den Fahrer an: »Geradeaus, dann links.«
Der Mann wirkte erleichtert. Nachdem sie ein paar Nebenstraßen durchfahren hatten, nickte Jenny befriedigt. »Gleich sind wir da.«
»Warum, zum Kuckuck, können die keine Fahrer einstellen, die Englisch sprechen?« machte Ed seinem Ärger Luft. »Angeblich haben wir so viele Arbeitslose – aber keiner von den verdammten Taxifahrern am Flughafen unserer Hauptstadt spricht Englisch. Die dämlichen Politiker kriegen natürlich nichts davon mit – die werden ja von Fahrern am Flughafen abgeholt.«
Vermutlich hatten die Außerirdischen nicht nur Lösungen für Alltagsprobleme wie die Sache mit der Taxe, sondern waren auch so fortgeschritten, daß sie eine über eine Million Jahre bewährte Regierungsform und einen mächtigen missionarischen Drang mitbrachten. Das würde die Schwierigkeiten der USamerikanischen Regierung mit einem Schlag lösen.
Das im glanzvollen Kolonialstil errichtete Herrenhaus Flintridge erhob sich auf einem sich breit hinlagernden Hügel. In ganz Washington gab es kein Dutzend solcher Besitzungen. Von der großen, mit Säulen verzierten Veranda aus war kein anderes Haus zu sehen. Der größte Teil des umliegenden Waldes gehörte zum Rock Creek Nationalpark, und das war sehr angenehm, weil niemand dort bauen durfte.
Die Taxe fuhr knirschend über die kiesbestreute Auffahrt des aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden Herrenhauses. Das haitianische Dienstmädchen Phoebe kam zur Tür, erkannte Jenny und verschwand blitzschnell im Haus. Wenige Augenblicke später trat Onkel Henry, Colonel Weston, aus der Tür. Ein solcher Onkel war sehr praktisch, wenn man sich in Washington aufhielt, denn auf Flintridge lebte es sich weit angenehmer als in jedem Hotel.
Da es in der ersten Etage, zu der eine großartig geschwungene Treppe führte, nicht genug Schlafzimmer gab, war Jenny in der zweiten untergebracht, wo ursprünglich die Dienstboten getrennt von der Familie gehaust hatten. Deren Kammern waren später zu kleinen behaglichen Apartments mit Badezimmern umgebaut worden. Allerdings ließen sie sich lediglich über eine schmale, gewundene Hintertreppe erreichen.
Jenny stellte ihr Gepäck ab und ließ sich auf das Bett sinken. Nur gut, daß es für Tante Rhonda um acht Uhr noch zu früh war. Sie hätte sich endlos über Jennys nicht existierende Sonnenbräune ausgelassen und nach jungen Männern erkundigt – beständig war Jenny Ziel ihrer unermüdlichen Kuppelversuche.
Tante Rhonda war liebenswert, aber sehr ermüdend, wäre es vor allem jetzt, vor dem auf elf Uhr angesetzten Termin im Weißen Haus!
Jenny sah aus dem Fenster in den großen Wintergarten hinab und wäre beinahe errötet. Vor langer Zeit, nach einem Schulball, war es dort geschehen… Kopfschüttelnd legte sie sich hin und versank in den weichen, schwellenden Federbetten.
Auch wenn Jennys Vater, Joel MacKenzie Crichton, nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß ihm die Gesellschaften zuwider waren, die Rhonda Weston dort für seine Töchter arrangierte »Der ganze DebütantinnenZirkus ist Mumpitz«, pflegte er zu sagen –, hatte er vernünftigerweise nicht versucht, sie davon fernzuhalten. So kam es, daß zuerst Linda und später Jeanette bei großen Bällen auf Flintridge die jungen Herren aus den passenden Kreisen der Washingtoner Gesellschaft kennenlernten. Ein einstiger Präsident der Vereinigten Staaten hatte den Glanzpunkt bei Lindas Ball abgegeben, während sich Jenny mit zwei Senatoren und dem Außenminister hatte begnügen müssen.
Niemand, der die Familie näher kannte, war im geringsten überrascht, als Jenny die Berufsoffizierslaufbahn einschlug.
* * *
Ed Gillespie lenkte den Buick durch die offenstehenden Gittertore auf die Auffahrt an der Pennsylvania Avenue. Ein uniformierter Polizeibeamter prüfte seine Papiere, sah auf eine Liste und ließ den Wagen passieren. Vor dem Eingang zum Gebäude tauchte wie aus dem Nichts ein Fahrer auf. »Ich stelle den Wagen für Sie ab, Sir.«
Ein Soldat öffnete Jenny den Schlag, trat einen Schritt zurück und salutierte. »General, Captain, wenn Sie mir bitte folgen wollen…«
Er führte sie zum Weißen Haus hinüber. Irgendwo aus der Ferne hörte man das Geplapper von Schulkindern, die die Hauptstadt besichtigten. Der Mann führte sie durch einen langen Gang.
In all ihren Jahren in Washington hatte Jenny nie Gelegenheit gehabt, das Weiße Haus kennenzulernen. Da ihre Eltern und Colonel Weston häufig ins Weiße Haus eingeladen wurden, einmal sogar zu einem Staatsbankett, hätten es die Mädchen sonderbar gefunden, sich einer öffentlichen Führung anzuschließen. Eines Tages kämen sie sicher an die Reihe.
Und heute ist der Tag, dachte Jenny.
Sie erreichten einen weiteren Gang. Ein junger Mann in grauem Anzug erwartete sie dort. »Elf Uhr«, sagte der Soldat.
»In Ordnung. Hallo, ich heiße Jack Clybourne und habe den Auftrag, Ihre Ausweise zu überprüfen.«
Zwar lächelte er bei diesen Worten, wirkte aber durchaus geschäftsmäßig. Er sah sehr jung und gepflegt aus, und äußerst athletisch.
Jenny kam es vor, als werfe er nur einen flüchtigen Blick auf Eds und ihren Ausweis. Ganz offensichtlich war er mehr an den Besuchern als an deren Papieren interessiert.
Dem entgeht wahrscheinlich nichts; und er hält sich für unwiderstehlich…
Er führte die Besucher einen Gang entlang zum Oval Office, dem Amtszimmer des Präsidenten.
Dort sah es eigentlich genauso aus, wie man es aus dem Fernsehen kannte. Da sie in Uniform waren, salutierten sie vor dem Präsidenten, der hinter dem riesigen Schreibtisch saß.
David Coffey wirkte davon peinlich berührt. Er winkte ihnen grüßend zu. »Ich freue mich, Sie zu sehen.« Es klang aufrichtig. »Captain Jeanette Crichton«, sagte er mit einem leichten Heben der Braue, und Jenny war sicher, daß er sich ihren Namen merken würde. »Und General Gillespie. Ich freue mich, Sie wiederzusehen, General.«
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