Ich hatte nicht Muße gehabt, meinem Fahrgast mehr als einen flüchtigen Blick zu widmen. Er lag ausgestreckt auf den Bodenmatten und war bewußtlos oder tot. Da ich mich jetzt wieder unter Menschen befand und nicht mehr imstande war, unerlaubt schnell zu fliegen, konnte ich getrost auf automatische Steuerung übergehen. Ich knipste eilig den Transponder an, gab das Zeichen, meinen Kurs auf den gewünschten Block einzustellen, und schaltete auf Blindflug. Dann schwang ich mich in den Rücksitz und sah mir meinen Gefangenen an.
Er atmete noch. Auf seinem Gesicht war eine Strieme, aber Knochen schienen nicht verletzt zu sein. Ich schlug ihn leicht auf die Wange und bohrte ihm die Daumennägel in die Ohrläppchen, aber ich vermochte ihn nicht aufzuwecken. Der tote Parasit fing schon zu stinken an, aber ich hatte keine Möglichkeit, ihn loszuwerden. So ließ ich den Mann liegen und kehrte wieder auf den Fahrersitz zurück.
Der Chronometer zeigte einundzwanzig Uhr siebenunddreißig Minuten Washingtoner Zeit, und ich hatte noch über neunhundertsechzig Kilometer vor mir. Selbst wenn ich für die Landung und den schnellsten Weg ins Weiße Haus, wo ich erst noch den Alten suchen mußte, keinen Spielraum einrechnete, konnte ich Washington erst ein paar Minuten nach Mitternacht erreichen. Also kam ich auf alle Fälle zu spät, und der Alte würde mich todsicher dafür >nachsitzen< lassen.
Ich wandte mich dem Sprechgerät zu und zog den Nothebel. »Kontrolle!« rief ich, »Kontrolle!«
Der Schirm leuchtete auf, und ich erblickte einen jungen Mann. Wie ich erleichtert feststellte, war er bis zur Mitte nackt. »Kontrolle antwortet - Block Fox elf. Was haben Sie in der Luft zu suchen? Seit Sie in mei-nen Block eingeflogen sind, bemühe ich mich dauernd, Sie anzupeilen.«
»Kümmern Sie sich um wichtigere Dinge!« schnauzte ich ihn an. »Schalten Sie mich in die nächstgelegene Militärleitung ein. Gefahr einer Bruchlandung! Das geht allem anderen vor!«
Der Mann sah unsicher drein, aber der Schirm flimmerte und zeigte kurz darauf eine militärische Nachrichtenzentrale. Der Anblick tat meinem Herzen wohl, weil jeder Soldat in Sicht halb entkleidet war. Im Vordergrund stand ein junger Wachoffizier. Ich sagte: »Dringende Dienstsache, verbinden Sie mich mit dem Pentagon und mit dem Weißen Haus.«
»Wer sind Sie?«
»Keine Zeit für langatmige Erklärungen. Ich bin Agent im Zivildienst, und meinen Ausweis von der Abteilung würden Sie doch nicht kennen. Eilen Sie!«
Ich hätte ihn vielleicht überreden können, aber ein Oberstleutnant schob ihn beiseite und trat an seine Stelle. »Landen Sie sofort«, war alles, was er sagte.
»Herr Kommandant, es handelt sich um eine äußerst dringende militärische Meldung. Sie müssen meinen Anruf unbedingt durchgeben. Ich ...«
»In den letzten drei Stunden mußten alle Zivilfahrzeuge zu Boden gehen, das ist im Augenblick die wichtigste militärische Maßnahme«, unterbrach er mich. »Landen Sie umgehend.«
Er schaltete ab und ließ mich japsend sitzen.
Ich ging zu Boden.
Es wurde eine Bruchlandung, aber mein Fahrgast und ich waren nicht verletzt. Lange brauchte ich nicht zu warten. Leuchtkugeln stiegen hoch, und ehe ich mich noch vergewissert hatte, ob mein Wagen nicht in Rauch und Wolken auf ging, stießen Jäger aus der Luft herab. Sie nahmen mich mit, und ich bekam den Oberstleutnant persönlich zu Gesicht.
Nachdem seine Psychologen meine Glaub würdigkeit mit dem Schlaftest geprüft und mich mit dem Gegenmittel wieder aufgeweckt hatten, gab er meinen Bericht sogar weiter. Aber nun war es in Zone fünf bereits ein Uhr dreißig, und der geplante Gegenschlag war seit eineinhalb Stunden in Gang.
Der Alte hörte sich meinen kurzen Bericht an, knurrte und befahl mir dann, ihn am Morgen aufzusuchen.
Der sorgfältig vorbereitete Gegenangriff war der schlimmste Versager der Militärgeschichte. Genau um Mitternacht der Zeitrechnung in Zone fünf wurden an mehr als neuntausendsechshundert wichtigen Punkten Fallschirmtruppen abgesetzt. Sie landeten bei Zeitungsverlagen, Blockkontrollen, Nachrichtenagenturen und dergleichen. Die Jagdkommandos waren ausgesuchte Leute unserer Luftwaffe, sie wurden durch Techniker verstärkt, die jede eroberte Nachrichtenzentrale wieder verwendungsfähig machen sollten.
Anschließend wollte man von allen örtlichen Sendern die Ansprache des Präsidenten ausstrahlen; die Losung >Rücken frei!< sollte im ganzen befallenen Gebiet wirksam werden. Abgesehen von den Aufräumungsarbeiten wäre damit der Krieg beendet gewesen.
Etwa fünfundzwanzig Minuten nach Mitternacht trafen allmählich die Meldungen ein, daß dieser oder jener Stützpunkt gesichert sei. Ein wenig später forderte man andernorts Hilfe an. Um ein Uhr morgens waren die meisten Reserven eingesetzt, jedoch schien die militärische Operation gut zu klappen - tatsächlich so gut, daß Gruppenkommandeure landeten und vom Boden aus Bericht erstatteten.
Doch dann hörte man nichts mehr von ihnen. Die rote Zone verschluckte die Streitkräfte, die für diese Aufgabe vorgesehen waren, als hätte es sie nie gegeben. Die Vereinigten Staaten hatten ihre schlimmste militärische Niederlage seit dem >schwarzen Sonntag< erlebt.
Wie ich hörte, war es schon fast Tag, ehe Martinez und Rexton endlich einsahen, daß die Erfolgsmeldungen in Wahrheit gefälscht waren. Ihre eigenen Soldaten hatten die irreführenden Berichte gesandt - unsere Leute, aber sie unterstanden dem Befehl von Parasiten, waren befallen und von ihren Gebietern gezwungen worden, das Täuschungsmanöver durchzuführen. Nach meinem Bericht, der mehr als eine Stunde zu spät kam, als die Jagdkommandos bereits unterwegs waren, hatte der Alte versucht, die leitenden Männer wenigstens davon abzubringen, weiteren Nachschub an Truppen zu entsenden; aber die Militärs waren voller Stolz über den vermeintlichen Sieg und brannten darauf, reinen Tisch zu machen.
Der Alte beschwor den Präsidenten, er solle sich unbedingt durch den Augenschein vergewissern, aber das Unternehmen wurde über Raumstation Alpha geleitet, und bei Übertragungen von diesen Außensendern gibt es einfach nicht genug Kanäle, um Bild und Ton gleichzuschalten. Rexton meinte: »Seien Sie unbesorgt. Sobald wir die örtlichen Stationen wieder in unserer Hand haben, werden unsere Leute das Erdnetz benützen, und Sie können sich dann wunschgemäß selbst von allem überzeugen.«
Der Alte hatte dringend gewarnt, daß es bis dahin zu spät sein werde. Wütend hatte Rexton losgepoltert: »Verdammt noch mal! Wollen Sie, daß Tausende zugrunde gehen, nur um Ihre bibbernde Angst zu beruhigen?«
Und der Präsident hatte ihm recht gegeben.
Am Morgen bekamen sie den Beweis zu sehen. Nicht eine einzige Station brachte die Ansprache des Präsidenten, nicht eine gab zu, daß sich irgend etwas Besonderes ereignet hätte. Die Meldungen von der Truppe setzten um vier Uhr früh allmählich aus, und als Rexton wie wahnsinnig Funksprüche hinausjagte, erhielt er keine Antwort. Die Befreiungsarmee hatte aufgehört zu bestehen - sie war spurlos untergegangen.
Den Alten bekam ich erst zu sehen, als es schon fast elf Uhr am nächsten Morgen war. Er ließ mich berichten, ohne sich dazu zu äußern und ohne mich abzukanzeln, was noch schlimmer war.
Als er mich gerade wegschicken wollte, fragte ich noch: »Wie steht es mit meinem Gefangenen? Hat er meine Angaben bestätigt?«
»Ach der? Er ist noch immer bewußtlos. Man glaubt nicht, daß er am Leben bleiben wird.«
»Ich möchte ihn gern besuchen.«
»Nun, hast du etwas für mich zu erledigen?«
»Beschränke du dich auf Dinge, von denen du etwas verstehst.«
»Trabe einmal zum Zoo hinunter. Dort wirst du etwas sehen, das auf deine Erlebnisse in Kansas ein ganz neues Licht wirft.«
Читать дальше