Alles in allem hatte ich eine Stunde vergeudet.
Macon in Missouri erschien mir zu >normal<, um Vertrauen zu erwecken; von einem freien Rücken hatte man hier offenkundig noch nichts gehört. Ich überlegte ernstlich, ob ich nicht diese Stadt aufs Korn nehmen und dann - solange es mir noch möglich war - wieder auf dem gleichen Wege, auf dem ich gekommen war, umkehren sollte.
Aber der Alte hatte befohlen: »Stadt Kansas.« Ich umfuhr also Macon auf dem Außengürtel und gelangte westlich davon auf einen Landeplatz. Dort reihte ich mich in die wartende Schlange ein und ließ mich inmitten eines Wirrwarrs von Farmerhubschraubern und einheimischen Fahrzeugen in den Ortsverkehr einschleusen. Ich fuhr jetzt automatisch; wahrscheinlich war es mir gelungen, Missouri zu betreten, ohne Verdacht zu erwecken.
Außer im Osten, wo früher Independence lag, war die Stadt Kansas bei den Bombenangriffen nicht beschädigt worden. Daher hatte man sie auch niemals neu aufgebaut. Von Südosten her kann man bis Swope Park fahren, dann hat man die Wahl, den Wagen abzustellen oder Gebühren zu zahlen, um in die Innenbezirke zu gelangen. Man kann aber auch hineinfliegen und hat dann wieder mehrere Möglichkeiten. Entweder landet man nördlich des Flusses auf dem Flugplatz und benützt die Tunnel zur Einfahrt in die Stadt, oder man geht südlich vom Memorial Hill auf den Plattformen nieder.
Ich beschloß, nicht zu fliegen; denn ich hatte kein Verlangen, den Wagen von den Kontrollstellen aufgreifen zu lassen. In einer schwierigen Lage sind Tunnel und Plattformen mit ihren Aufzügen die reinsten Mausefallen. Am liebsten aber hätte ich, offen gestanden, die Stadt überhaupt nicht betreten.
Ich brachte den Wagen auf Straße 40 und fuhr an die Zollschranke des Meyer-Boulevards. Die Wagenreihe, die dort wartete, war ziemlich lang, und als ein anderes Fahrzeug auf den Platz hinter mir einrückte, überkam mich das Gefühl, eingekreist zu sein. Doch der Schrankenwärter nahm meine Gebühr entgegen,
ohne mich eines Blicks zu würdigen. Ich dagegen musterte ihn eingehend, hätte aber nicht sagen können, ob er von einem Parasiten befallen war oder nicht.
Mit einem Seufzer der Erleichterung fuhr ich durch das Tor und wurde dicht dahinter angehalten. Ein Schlagbaum ging vor mir nieder, und ich konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, worauf ein Schutzmann den Kopf hereinsteckte. »Sicherheitsprüfung«, erklärte er. »Verlassen Sie den Wagen.«
Ich wehrte mich dagegen. »Die Stadt will Unfälle verhüten«, erläuterte er. »Hier ist Ihr Wagenschein. Sie können ihn hinter dem Schlagbaum abholen. Steigen Sie aus, und gehen Sie zu jener Tür hinein.« Er wies auf ein Gebäude, das in der Nähe am Straßenrand stand.
»Wozu?«
»Sehvermögen und Reflexe nachsehen. Sie halten die Wagenreihe auf.«
Grollend kletterte ich aus dem Wagen und schritt langsam auf das Gebäude zu. Es war nur ein Behelfsbau mit einem altmodischen, nicht selbsttätig schließenden Tor. Ich stieß es mit einer Zehe auf und spähte nach beiden Seiten, ehe ich eintrat. Nun stand ich in einem leeren Vorraum, der am anderen Ende eine Tür hatte. Von drinnen rief jemand: »Herein!« Immer noch auf der Hut, trat ich ein. Zwei Männer, von denen einer am Kopf einen Augenspiegel trug, standen in weißen Kitteln vor mir. »Es dauert keine Minute«, sagte der eine, »treten Sie näher.« Er machte die Tür zu, durch die ich gekommen war; ich hörte das Schloß einschnappen.
Es war alles viel harmloser aufgemacht, als wir es seinerzeit für den Klub der Verfassungstreuen eingerichtet hatten. Auf einem Tisch lagen Übertragungszellen für Titanier herum, sie waren bereits geöffnet und angewärmt. Der eine Mann hielt schon eine bereit - für mich, davon war ich überzeugt-, und er drückte sie so an sich, daß ich das Schneckenwesen darin nicht sehen konnte.
Ich wurde aufgefordert, meine Augen an das Brillengestell eines ganz gewöhnlichen Apparats zu halten, mit dem man die Sehschärfe zu prüfen pflegt. Dorthin wollte mich der >Doktor< voraussichtlich setzen, und ohne daß ich seine dunklen Absichten merkte, konnte ich dann meine Augen nicht mehr frei gebrauchen. Während ich die Zahlen ablesen würde, könnte mir sein >Assistent< in aller Ruhe einen Parasiten verpassen. Das würde alles ohne Gewalt oder Gegenwehr geschehen und konnte nicht mißlingen.
Wie ich während meiner eigenen >Dienstzeit< gelernt hatte, war es nicht nötig, den Rücken des Opfers zu entblößen. Man brauchte nur mit dem Schmarotzer den nackten Hals zu berühren, ihn dem neuen
Sklaven zu überlassen, die Kleider zurechtzurücken und seinen Dämon zu bedecken.
»Kommen Sie hier herüber«, wiederholte der >Dok-tor<. »Legen Sie die Augen an die Rahmen.«
Mit raschen Schritten begab ich mich zu der Bank, an der man den Apparat befestigt hatte. Dann wandte ich mich plötzlich um.
Der Helfershelfer mit der vorbereiteten Zelle hatte sich bereits genähert. Als ich mich umdrehte, neigte er sich von mir weg.
»Doktor, ich trage Haftgläser. Soll ich sie abnehmen?«
»Nein, nein«, herrschte er mich an. »Wir wollen keine Zeit vergeuden.«
»Aber Doktor«, widersprach ich. »Sehen Sie doch bitte nach, ob sie passen. Mit dem linken hatte ich ein wenig Schwierigkeiten.« Ich hob beide Hände und zog mein Augenlid zurück. »Sehen Sie?«
ärgerlich meinte er: »Wir sind hier in keiner Klinik. Wenn Sie bitte ...« Sie waren jetzt beide in Reichweite, und plötzlich spannte ich die Arme zu einer mächtigen >Bärenzange<, bekam sie zu fassen und packte sie zwischen den Schulterblättern. Mit jeder Hand stieß ich unter den Mänteln auf etwas Weiches und fühlte, wie ich mich vor Ekel schüttelte.
Einmal habe ich mit angesehen, wie eine Katze von einem Auto angefahren wurde; das arme Ding sprang senkrecht hoch, der Rücken krümmte sich in die verkehrte Richtung, und die Pfoten flogen in die Luft. Genauso erging es diesen beiden Unglücklichen; jeder Muskel war in einem gewaltigen Krampf verzerrt. Ich konnte sie nicht halten. Mit einem Ruck entglitten sie meinen Armen und plumpsten zu Boden. Aber ich brauchte mich nicht zu ängstigen; nach den ersten Zuckungen lagen sie wie gelähmt.
Jemand klopfte an die Tür. Ich rief hinaus: »Einen Augenblick, der Arzt ist beschäftigt.«
Das Pochen hörte auf. Ich vergewisserte mich, daß die Tür verschlossen war, dann beugte ich mich über den >Doktor< und zog ihm den Kittel hoch, um nachzusehen, wie es um seinen Parasiten stand. Er war nur noch eine zerplatzte Masse; auch der andere, der auf dem Helfer gesessen hatte, war erledigt. Jetzt brauchte ich nur die Männer zurückzulassen. Eine Möglichkeit, ihnen zu helfen, hatte ich nicht.
Bei den Unholden in ihren Zellen lag der Fall anders. Mit einem Fächerstrahl und höchster Ladestärke räucherte ich sie allesamt aus. An der Wand standen noch zwei Lattenkisten; auch sie sengte ich mit meinem Flammenwerfer, bis das Holz verkohlt war.
Wiederum pochte jemand. Ich blickte mich hastig nach einem Versteck für die beiden Männer um, fand aber keines; so beschloß ich, mich aus dem Staube zu machen. Als ich gerade hinausgehen wollte, hatte ich das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Ich sah mich erneut im Raum um.
Es schien nichts vorhanden zu sein, das für meinen Zweck taugte. Dann entdeckte ich die Schutzhülle des Untersuchungsgeräts. Ich öffnete meine Jacke, ergriff die Hülle, knüllte sie zusammen und stopfte sie mir zwischen den Schultern unter das Hemd. Nachdem ich den Reißverschluß der Jacke zugezogen hatte, besaß ich einen Höcker.
Dann ging ich hinaus.
Ein anderer Polizist nahm meinen Schein für den Wagen entgegen. Er blickte mich scharf an, dann winkte er mir, einzusteigen. Das tat ich und erhielt den Befehl: »Fahren Sie in das Polizeipräsidium unterhalb des Rathauses.«
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