»Polizeipräsidium am Rathaus«, wiederholte ich, gab Gas und brauste davon. Anfangs schlug ich die angegebene Richtung ein und fuhr über Nichols Freeway. Ich gelangte auf eine Strecke, wo der Verkehr schwächer wurde, und drückte auf den Knopf, um die Nummernschilder zu wechseln. Möglicherweise wurde der Wagen bereits gesucht. Ich wünschte, ich hätte auch die Farben und die Karosserie des Wagens ändern können.
Ehe der Freeway in den McGee Traffic Way einmündete, fuhr ich eine Rampe hinunter und hielt mich auf Seitenstraßen. Achtzehnhundert Sekunden waren im sechsten Tagesabschnitt bereits verstrichen, ich sollte also in viereinhalb Stunden wieder in Washington sein.
Die Stadt machte den Eindruck, als stimme etwas nicht. Sie hatte etwas Unechtes, Schales an sich, als wäre alles Leben und Treiben nur ein plump aufgezogenes Schauspiel. Ich versuchte genau festzustellen, woran es lag, aber ich kam nicht dahinter.
In vielen Stadtvierteln von Kansas wohnen Familien, die oft seit mehr als einem Jahrhundert hier ansässig sind. Kleine Kinder purzeln über den Rasen, und Hausherren sitzen gleich ihren Urgroßvätern vorn auf der Veranda. Wenn es in dieser Gegend Luftschutzbunker gibt, sind sie nicht zu erkennen. Die merkwürdigen alten und massiven Häuser, die von längst verstorbenen Handwerksmeistern aneinandergebaut worden sind, lassen diese Viertel wie Inseln der Geborgenheit erscheinen. Ich fuhr kreuz und quer durch solche Straßen, wich Hunden, Gummibällen und spielenden Kindern aus und versuchte, mir ein Bild von dem Leben hier zu machen. Es war die Mußestunde des Tages, die Zeit, in der man ein Gläschen trank, den Rasen sprengte und mit den Nachbarn plauderte. Ich sah eine Frau, die sich über ein Blumenbeet beugte. Sie hatte einen Luftanzug an, und ihr Rücken war nackt. Man sah deutlich, daß sie keinen Parasiten trug; auch die beiden kleinen Kin-
der, die sie bei sich hatte, waren nicht befallen. Was stimmte da nicht?
Es war ein sehr heißer Tag; ich hielt Ausschau nach Frauen in Strandkleidern und Männern in kurzen Hosen. Die Stadt Kansas liegt in einer Gegend, in der man etwas auf die Bibel hält. Warmes Wetter hat auf ihre Kleidung daher nicht den gleichen Einfluß wie in Laguna Beach oder Coral Gables. Ein völlig angezogener Erwachsener fällt niemals auf, und so entdeckte ich auch Menschen, die so oder so gekleidet waren, aber - das Verhältnis stimmte nicht. Gewiß, es gab viele Kinder, die wegen der Hitze nur wenig bedeckt herumliefen, doch auf dieser Fahrt über etliche Kilometer sah ich nur fünf Frauen und zwei Männer mit freiem Rücken. Fünfhundert hätte ich eher erwartet. Man rechne sich aus: obwohl einige Jacken zweifellos keine Schneckenwesen verhüllten, mußten nach einer einfachen Gleichung gut über neunzig Prozent der Bevölkerung befallen sein.
Diese Stadt war nicht gesichert, sie war gesättigt. Die Parasiten hatten hier nicht nur die entscheidenden Stellen und wichtigen Behörden besetzt, sie und die Stadt waren eins. Ich fühlte einen dumpfen Drang, davonzurasen und wie die Feuerwehr mit Höchstgeschwindigkeit die rote Zone zu verlassen. Man wußte, daß ich der Falle an der Schranke entronnen war, und man würde nach mir suchen.
Ich kämpfte diese Anwandlung nieder. Ein Agent, der sich fürchtet, leistet nichts.
Ich zählte bis zehn und versuchte mir ein Bild zu machen. Anscheinend hatte ich mich geirrt; es konnte unmöglich genügend Schmarotzer geben, um eine Stadt mit einer Million Einwohner zu unterjochen. Ich erinnerte mich an meine eigenen Erfahrungen und vergegenwärtigte mir, wie wir damals die Opfer ausgewählt und dafür gesorgt hatten, daß jeder neue Wirt für uns einen Gewinn bedeutete. Natürlich waren hier neue Eindringlinge mit Raumschiffen angekommen, weil sehr wahrscheinlich in der Nähe der Stadt Kansas eine fliegende Untertasse gelandet war. Dennoch war dieser Gedanke widersinnig. Ein Dutzend oder mehr fliegende Untertassen waren nötig, um ausreichend Parasiten heranzuschaffen, die eine Stadt wie Kansas sättigen konnten. Wären es so viele gewesen, hätte man bestimmt mit Radar ihre Einflugbahnen verfolgt.
Oder ließen sie sich vielleicht nicht nachweisen? Wir kannten die technischen Fähigkeiten der Parasiten nicht, und es war nicht ratsam, die Grenzen ihres Könnens nach unseren eigenen zu beurteilen.
Jedenfalls führten die Einzelheiten, die ich beobachtet hatte, zu einem Ergebnis, das den Gesetzen der Logik widersprach. Ehe ich daher dem Alten berichtete, mußte ich mich vergewissern. Eines schien sicher: wenn die fremden Machthaber tatsächlich diese Stadt fast ganz besetzt hatten, hielten sie trotzdem die Maskerade aufrecht und wahrten nach außen hin den Schein, als sei sie eine Wohnstätte freier Menschen. Vielleicht fiel ich daher nicht so stark auf, wie ich fürchtete.
Gemächlich fuhr ich etwa eineinhalb Kilometer ohne festes Ziel weiter. Dabei gelangte ich unversehens in den Bezirk mit den kleineren Läden rings um die Plaza. Ich kehrte um. Wo sich Menschen drängen, gibt es Schutzleute. Dabei kam ich an einem Schwimmbad vorbei. Ich betrachtete es und merkte mir, was ich gesehen hatte. Erst als ich einige Häuserzeilen davon entfernt war, wertete ich meine Beobachtungen aus. Viel hatte ich nicht festgestellt. Das Bad trug ein Schild: >In diesem Sommer geschlossen!<
Ein Schwimmbecken, das in der heißesten Zeit gesperrt blieb?
Was galt es also festzuhalten? Erstens: eine Falle am Stadteingang - zweitens: zuwenig Sonnenanzüge, und drittens: ein geschlossenes Schwimmbad.
Daraus folgt: die Schneckenwesen waren weit zahlreicher, als wir es uns hatten träumen lassen.
Ergebnis: der geplante Gegenschlag ging von einer falschen Annahme aus; er würde ebensoviel nützen, wie wenn man Nashörner mit einer Schleuder jagen wollte.
Was würde man einwenden? Daß meine Beobachtungen einfach nicht stimmten. Ich konnte förmlich Minister Martinez' mühsam beherrschten Hohn vernehmen, mit dem er meine Worte zerpflückte. Daher benötigte ich einen Beweis, der so schlagend war, daß er den Präsidenten überzeugte. Erst dann konnte sich unser Staatsoberhaupt über die anscheinend so vernünftigen Einwände seiner Ratgeber hinwegsetzen. Ich mußte daher so schnell wie möglich handeln.
Was tun? Die Innenstadt aufsuchen, mich unter die Menschenmenge mischen und dann Martinez erzählen, ich sei überzeugt, daß fast jeder Vorübergehende einen Parasiten getragen habe? Wie konnte ich das belegen? Ja, worauf gründete sich meine eigene Gewißheit? Solange die Titanier die Posse weiterspielten, als ginge alles den gewohnten Gang, waren die verräterischen Anzeichen nur schwer erkennbar, denn sie bestanden in nichts weiter als besonders häufigen runden Schultern und wenigen freien Rücken.
War genügend Nachschub an Parasiten vorhanden, konnte ich mir ausmalen, wie die Stadt besetzt worden war. Dabei hatte ich das untrügliche Gefühl, daß ich beim Verlassen der Stadt an der Schranke wieder auf eine Falle stoßen würde. Sicher gab es sie auch bei den Startplattformen und an jedem Aus- und Eingang des Ortes. Jeder, der die Stadt verließ, wurde ein neuer Agent, jeder, der sie betrat, ein neuer Sklave.
An der letzten Ecke, an der ich vorbeigekommen war, hatte ich einen Druck- und Verkaufsautomaten für die Zeitung >Kansas Star< bemerkt. Nun umfuhr ich den Häuserblock, hielt bei dem Apparat und stieg aus. Ich schob ein Zehn-Cent-Stück in den Schlitz und wartete nervös, bis meine Zeitung gedruckt war.
Die Ausgabe des >Star< enthielt das übliche, ehrbar langweilige Geschwätz, keine aufregenden Berichte, nirgends ein Wort von dem gegenwärtigen Notstand, keine Zeile über die Losung: >Rücken frei<. Der Leitartikel trug die Überschrift: >Telefondienst durch stürmische Sonnenfleckentätigkeit unterbrochen^ der Untertitel lautete: >Stadt durch Vorgänge auf der Sonne fast ganz von der Umwelt abgeschnitten! < Ein farbiges Halbstereobild nahm drei Spalten ein. Es zeigte das Gesicht der Sonne, von kosmischen Pickeln entstellt. Fürwahr eine überzeugende und wenig aufregende Erklärung, warum Mamie Schultz, die noch frei von Parasiten war, die Großmutter in Pittsburgh nicht anrufen konnte.
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